Energie Fuss in der Tur

Ob China, Libyen oder Russland, im Ausland wirkt Gerhard Schröder gern als Türöffner der deutschen Wirtschaft. Bei russischem Gas und Öl verfolgt der Kanzler auch strategische Ziele – mit hohem Risiko. 

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Wenn Gerhard Schröder auf Weltreisen geht, ist die deutsche Wirtschaft mit an Bord – und nicht nur als kleine Kohorte wie bei seinen Amtsvorgängern. Gleich 41 Manager begleiteten den Kanzler auf seinen China-Trip zu Beginn der Woche. Die Stimmung war prächtig und Schröder zufrieden – schließlich wurden in seinem Beisein 15 Aufträge und Vereinbarungen in Höhe von über drei Milliarden Euro unterzeichnet. Einmal mehr konnte sich Schröder als Türöffner der Wirtschaft präsentieren. 

Unter Schröder ist die Außenwirtschaftspolitik zu neuer Blüte erwacht. Ihm geht es dabei aber um mehr als um die Hilfe für heimische Konzerne – er betrachtet deren Aktivitäten im Ausland auch als Werkzeug zur Durchsetzung nationaler Interessen. Dass Chinas Premier Wen Jiabao postwendend ankündigte, einen stärkeren Einfluss Deutschlands in der UN zu unterstützen, dürfte den Kanzler darin nur bestärken. 

Noch augenfälliger ist seine Strategie im Fall Russland. Auf einer vom Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft veranstalteten Russland-Konferenz in Stuttgart forderte Schröder Ende Oktober „eine strategische Energiepartnerschaft, die alle Sektoren umfasst: Erzeugung, Verarbeitung, Transport und Verteilung“. Seitdem arbeitet das Kanzleramt in vertraulichen Runden und Gesprächen mit Hochdruck an diesem Konzept. Kernidee: Die Regierung pusht die Bildung eines Konsortiums deutscher Topkonzerne, das sich in die russische Energiewirtschaft einkaufen soll. Die Liste der angeblich angesprochenen Unternehmen – eine offizielle Bestätigung dafür gibt es bisher nicht – liest sich wie das Who’s who der deutschen Wirtschaft: Deutsche Bank, Allianz, Siemens, große Energieversorger. Das Ziel: die Energieversorgung für die rohstoffarme Bundesrepublik langfristig zu sichern. Angesichts der politisch instabilen Lage in den arabischen Ölstaaten ist dem Kanzler das von seinem Männerfreund Wladimir Putin autoritär regierte Riesenreich als Partner allemal lieber. 

Das Risiko einer wachsenden Abhängigkeit von Russland ist Schröder dabei bewusst. „Die russische Elite, die immer noch das Ziel einer hegemonialen Großmacht verfolgt, sieht in den immensen Öl- und Gasreserven ein Druckmittel für imperiale Ziele“, warnt der Russland-Experte Heinrich Vogel und verweist auf Tschetschenien, Georgien und die Ukraine. Schröder will daher mit einer stärkeren Verflechtung der Wirtschaft gegensteuern. Das Kalkül: Ein unter dem Einfluss des Kremls stehender russischer Konzern, an dem auch deutsche Unternehmen maßgeblich beteiligt sind, würde selbst in politischen Eiszeiten Deutschland kaum den Öl- und Gashahn zudrehen. 

Da Russland die vielen Milliarden Euro nicht aufbringen kann, die das Land zur Erschließung der Öl- und Gasreserven für die eigene Energieversorgung und den Export braucht und weil selbst ein großer Energiekonzern wie E.On diese Investitionen allein nicht schultern kann, will das Kanzleramt große Finanzdienstleister wie die Deutsche Bank und Allianz mit ins Boot holen. Sie sollen Finanzierungspakete für die Investitionen in die Infrastruktur mit neuen Förderanlagen und Pipelines schnüren, die einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten dürften. Die Regierung hofft zudem, dass ein schlagkräftiges Konsortium mit politischer Rückendeckung schneller zu Ergebnissen kommt und weniger erpressbar ist als ein einzelnes Unternehmen. 

Die Abhängigkeit von Russland ist schon heute immens. „Die Pipelines für a Öl und Gas aus Russland werden die Nabelschnüre sein, von deren Funktionieren Deutschlands Wohlstand abhängt“, sagt ein hoher Regierungsbeamter. Mitte November sicherte sich der staatliche russische Ölpipelinebetreiber Transneft für 15 Jahre die alleinigen Durchleitungsrechte für die durch die Ukraine laufenden Leitungen nach Mitteleuropa. Rund 80 Prozent aller russischen Öl- und Gasexporte fließen durch diese Rohre. Über Transneft kann nun der Kreml steuern, wer wie viel Energie auf die Reise in den Westen schicken darf. Von den rund 106 Millionen Tonnen Rohöl, die Deutschland importiert, stammt ein knappes Drittel aus GUS-Staaten, überwiegend aus Russland (siehe Grafik). Damit haben sich die Russen zu unserem wichtigsten Öllieferanten entwickelt. Die Opec-Staaten bringen es nur auf knapp 20 Prozent. 

Eine noch dominantere Rolle spielt Russland für die deutsche Erdgasversorgung – es deckt fast 40 Prozent des hiesigen Bedarfs ab. Da sowohl Privathaushalte als auch Stromkonzerne verstärkt auf Gas setzen und die Kernkraft in Deutschland nach dem von Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg als Option ausfällt, wird die Gasnachfrage mittel- und langfristig steil ansteigen. Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet mit einem Zuwachs in Europa von über 60 Prozent bis 2030. Russland, das über die weltweit größten Gasreserven verfügt, wird davon überdurchschnittlich profitieren. 

Im Zentrum steht dabei der aus dem sowjetischen Erdgasministerium hervorgegangene Konzern Gazprom. Das Unternehmen ist ein Staat im Staate, es generiert 8 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts, 20 Prozent der Steuereinnahmen und produziert ungefähr die Hälfte der russischen Elektrizität. Nach eigenen Berechnungen hält Gazprom einen Anteil von 90 Prozent an der russischen Gasförderung und 20 Prozent an der Weltproduktion. Tendenz: steigend. 

Politik und Unternehmen sind aufs Engste verflochten. Der ökonomische Koloss, dem auch die drittgrößte Bank des Landes gehört, hilft Staatspräsident Wladimir Putin bei der Verwirklichung seiner strategischen Ziele. Gazprom-Aufsichtsratschef Dmitrij Medwedew ist in Personalunion auch Leiter von Putins Präsidialadministration. Zwar besitzt der russische Staat offiziell nur rund 38 Prozent des Unternehmens, kontrolliert jedoch über weitere halbstaatliche Anteilseigner insgesamt mehr als die Hälfte der Aktien des Konzerns. 

Seit drei Jahren regiert der 42-jährige Vorstandsvorsitzende Alexej Miller den Riesenkonzern. Wie Präsident Putin, in dessen Gefolge er in Moskau Karriere machte, war Miller vor einem Jahrzehnt noch Kommunalbeamter in St. Petersburg. Unter seiner Führung breitet sich Gazprom nun auch in der Stromwirtschaft und Ölindustrie aus. So kauft sich der Konzern derzeit massiv ins Netz der russischen Elektrizitätsversorger ein. Und noch im kommenden Winter wird Gazprom mit dem staatlichen Erdölkonzern Rosneft fusionieren. 

Am wichtigsten aber: Miller steht bereit, die Perlen der russischen Ölwirtschaft zu erwerben, sollte der von Staat und Justiz misshandelte Yukos-Konzern zu Notverkäufen gezwungen werden. Am 19. Dezember wird Gazprom nach derzeitigem Stand bei der Zwangsversteigerung der zu Yukos gehörenden Ölfördergesellschaft Yuganskneftegaz mitbieten. Erhält Gazprom den Zuschlag – das Mindestgebot liegt bei 8,7 Milliarden US-Dollar –, entstünde ein Konzern, dessen Bedeutung für die Energieversorgung der Welt nur noch mit dem saudischen Monopolisten Aramco vergleichbar wäre. 

In deutlichen Worten warnte die IEA daher in der vergangenen Woche vor den unkalkulierbaren Risiken für die europäische Energieversorgung, wenn Westeuropa noch stärker als bisher von einem staatlich gelenkten und undurchschaubaren Monopolisten abhängig würde. Dadurch würde auch der Druck auf Russland zu Reformen hin zu Demokratie und Marktwirtschaft schwinden, kritisiert Russland-Experte Vogel: „Wirtschaftliches Wachstum wird nicht automatisch den autoritären, korrupten Charakter der Elite um Putin korrigieren.“ 

Von solchen Bedenken hält Schröder wenig. Vielmehr machte er bei einem vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) arrangierten Treffen im Berliner Haus der Wirtschaft Druck auf die Chefs deutscher Energiekonzerne, ihr Russland-Engagement zu erhöhen. Zwar ist die E.On AG bereits über ihre Tochter Ruhrgas mit 6,5 Prozent an Gazprom beteiligt und damit größter ausländischer Aktionär; E.On-Ruhrgas-Chef Burckhard Bergmann sitzt im Gazprom-Aufsichtsrat. Schröder, so heißt es in Regierungskreisen, sähe es aber gern, wenn der deutsche Anteil auf 20 Prozent aufgestockt würde – auch, um nicht irgendwann den Amerikanern das Feld zu überlassen. Insider halten es für wahrscheinlich, dass die Duzfreunde Schröder und Putin dieses Thema bereits diskutieren. Auch auf einem im kommenden Jahr geplanten deutsch-russischen Energiegipfel dürfte das Thema auf der Tagesordnung stehen. 

Gerade von E.On erwartet der Kanzler Loyalität: Schließlich war es eine Ministererlaubnis, die E.On vor zwei Jahren die vom Kartellamt untersagte Fusion mit dem Gaskonzern Ruhrgas ermöglichte – um einen großen deutschen Player im internationalen Energiegeschäft zu schaffen. Das Wirtschaftsministerium lässt sich seitdem regelmäßig von E.On-Ruhrgas Bericht über die internationalen Aktivitäten erstatten, um zu prüfen, ob dieses Ziel erreicht wird. 

Die deutschen Energiekonzerne reagierten dennoch vorsichtig auf die Kanzleroffensive. Ihr Interesse, räumt man im Kanzleramt ein, sei „äußerst verhalten“. Grund ist unter anderem das Interesse von Gazprom an den Yukos-Perlen. Wer sich „am Fleddern der Yukos-Leiche“ beteilige, dem drohten in den USA „Anfechtungsklagen vonseiten der Yukos-Eigner“, warnt der frühere Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff. Erst nachdem Schröder in Einzelgesprächen mit führenden Energiemanagern noch einmal nachdrücklich für seine Pläne warb, scheint der Widerstand abzubröckeln. Bei einem erneuten Treffen Ende November im Hotel Adlon habe sich „das Klima bereits verändert“, so ein Teilnehmer. 

Dabei geht die Verflechtung deutscher Unternehmen mit der russischen Energiewirtschaft schon längst über die Ruhrgas- a Beteiligung an Gazprom hinaus: So hat Gazprom mit der BASF-Tochter Wintershall erstmals ein ausländisches Unternehmen an der Erdgasförderung beteiligt. Das neue Gemeinschaftsunternehmen Achimgaz will in den kommenden Jahren rund 700 Millionen US-Dollar in Sibirien investieren. Umgekehrt ist Gazprom mit 35 Prozent an der Wintershall-Vertriebstochter Wingas beteiligt und versorgt das Gemeinschaftsunternehmen mit Erdgas für Deutschland. Vor wenigen Wochen erst einigten sich Wingas und Gazprom auf eine vorzeitige Vertragsverlängerung bis 2030. Auch personell sind die Unternehmen verbandelt: Gazprom-Vizechef Jurij Komarow war vier Jahre lang Manager bei Wintershall. 

Ein weiteres Beispiel: Im Beisein von Schröder und Putin unterzeichneten die Chefs von E.On und Gazprom im Juli eine Absichtserklärung über mehrere gemeinsame Großprojekte. Eine Gaspipeline von Sibirien durch die Ostsee nach Deutschland soll – frühestens ab 2012 – die Erdgaslieferungen nicht nur erweitern, sondern auch unabhängiger machen von den politisch unruhigen Transitstaaten Weißrussland und Ukraine. Kosten: rund 4,5 Milliarden Euro. Zudem wollen die beiden Großkonzerne gemeinsam das westsibirische Gasfeld Yushno Russkoje erschließen. Hier will sich E.On-Ruhrgas zum ersten Mal nicht nur mit einem langfristigen Handelsvertrag, sondern auch mit Produktionsrechten beteiligen. 

In der Energiestrategie des Kanzlers spielen aber nicht nur die Energieriesen, sondern auch die Finanzkonzerne eine wichtige Rolle. So ist die Allianz für eine Finanzierungsrolle bei einem deutsch-russischen Energiedeal bestens geeignet, seit sie durch ihren Einstieg beim viertgrößten russischen Versicherer Rosno größte ausländische Assekuranz in Russland ist. 2003 kassierte sie Beiträge in Höhe von 220 Millionen Euro, für dieses Jahr erwartet sie einen Zuwachs von 40 Prozent. 

Vor allem aber verfügt die Deutsche Bank, die mit 40 Prozent am russischen Brokerhaus UFG beteiligt ist, über exzellente Kontakte nach Moskau. Kein Wunder, dass die Deutschbanker beim möglichen Gazprom/Yukos-Deal mit im Boot sind: Das Frankfurter Geldhaus soll der Gazprom-Führung in einem Strategiepapier geraten haben, nicht nur Yuganskneftegaz zu übernehmen, sondern auch bei den Ölkonzerne Sibneft und Surgutneftegaz einzusteigen. Allein für den Erwerb der Yuganskneftegaz soll nach russischen Medienberichten ein von der Deutschen Bank und ABN Amro geführtes Konsortium Gazprom einen Kredit von 7,5 Milliarden Euro gewähren, insgesamt, so heißt es, soll die Deutsche Bank zusammen mit Partnern ein Paket von 50 Milliarden Dollar schnüren – was in der Frankfurter Zentrale freilich niemand bestätigen mag. Ohnehin ist das Echo in Russland negativ. Die russischen Demokraten sind entsetzt, dass die Deutsche Bank bei dem Deal offenbar mitmachen will. „Deutsche Bank-UdSSR“, höhnt der bekannte russische Wirtschaftsjournalist Michael Berger. Axel Lebahn, einst Deutsche-Bank-Chef in Moskau und im Streit aus dem Unternehmen ausgeschieden, unkt: „Das Geschäft wird im sibirischen Sumpf versinken.“ 

Für diesen Fall gibt es aber durchaus andere lohnende Investitionsziele in Russland. Das Land ist mittlerweile mehr als ein Öl-und Gasriese. „Eine eindeutige Tendenz zur Diversifizierung“, registriert Uwe Kumm, Russland-Chef der Unternehmensberatung Roland Berger. Über 3500 deutsche Unternehmen sind mittlerweile in Russland vertreten, der deutsch-russische Handel steigt seit Jahren (siehe Grafik). Vor allem deutsche Einzelhändler haben in Russland ein lohnendes Expansionsziel gefunden. Obi (Tengelmann), Marktkauf (AVA), Rewe und Douglas sind vor Ort, C&A startet 2005. Die Metro Group, die 2001 mit zwei Cash & Carry-Großmärkten startete, hat sich mit demnächst 21 Standorten zum größten Lebensmittelhändler Russlands gemausert. „Russland ist für uns einer der größten Wachstumsmärkte der Zukunft“, sagt Metro-Sprecher Jürgen Homeyer. In den kommenden Monaten werden die Düsseldorfer dort auch mit der Vertriebslinie Real starten. 

Auch andere Branchen strecken die Fühler in Richtung Osten aus. DaimlerChrysler denkt über den Bau eines Lkw-Werks nach. Der hessische Generikahersteller Stada verhandelt über den Kauf des russischen Konkurrenten Nizhpharm. Der Flugzeugbauer EADS hat in Moskau ein Forschungszentrum errichtet und Ende November zehn Prozent am russischen Flugzeugproduzenten Irkut erworben. Einen weiteren Schub könnten die Wirtschaftsbeziehungen im kommenden Jahr bekommen: Auf der Hannover Messe im April wird Russland als Partnerland präsentiert, zur Eröffnung kommt auch Präsident Putin. 

Wiedersehen wird Gerhard Schröder seinen russischen Freund aber schon früher, und der Termin ist gut gewählt. Die beiden treffen sich am 20. Dezember in Hamburg – einen Tag nach der Versteigerung der Yukos-Tochter Yuganskneftegaz. 

Mario Brück/Daniel Delhaes/Hans Jakob 

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