Hengeler Mueller Praktischer Kommunismus

Wie eine der letzten rein deutschen Großkanzleien ihren Platz in der Spitze der umsatzstärkstenSozietäten verteidigt. 

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Schöner hätte sich auch Bestsellerautor John Grisham die Kulisse für einen seiner Romane kaum ausdenken können: Die Lobby des modernen Glas-und-Stahl-Baus in der Benrather Straße in Düsseldorf zeigt jene Weitläufigkeit, die sonst Hotels höchster Kategorie zu Eigen ist. In den mit Magnetkarten zugangsgesicherten Fahrstühlen strahlt warmes Licht durch vier Millimeter starke Platten aus massivem Onyx, als wäre die Kabine in Cappuccinoschaum getaucht. Im fünften Stock zieren zeitgenössische Künstler die Wände der Flure. Dahinter Konferenzräume, der größte mit Platz für 150 Personen. 

Wichtiger aber ist Andreas Austmann ein Detail, das Diskretion ermöglicht: „Die Gänge sind so angelegt, dass wir bei großen Transaktionen wie einer M&A-Auktion mehrere Parteien ins Haus führen können, ohne dass sie sich begegnen.“ Austmann, 44, gehört zur ersten Liga der deutschen M&A- und Gesellschaftsrechtler und ist seit neun Jahren Partner bei der wahrscheinlich erfolgreichsten deutschen Wirtschaftsrechtskanzlei – Hengeler Mueller. 

Die Sozietät ist an vielen der bedeutendsten und einträglichsten Transaktionen beteiligt. Etwa als Berater von Tchibo bei der Beiersdorf-Übernahme oder wenn die Deutsche Bank eine Kapitalerhöhung für die Münchener Rück begleitet. Auch in Krisensituationen wie bei der angeschlagenen Mannheimer Leben waren die Anwälte von Hengeler Mueller gefragt. Den RWE-Konzern berieten sie beim Kauf des britischen Energieunternehmens Innogy. 

Austmann und seine Kollegen helfen bei der Entwicklung von neuen Beteiligungsstrukturen, bereiten Abspaltungen und Verschmelzungen vor, sorgen dafür, dass EU-Vorschriften beachtet werden und gleichzeitig möglichst noch die Steuerlast für die Unternehmen sinkt. 

Auch für die Anwälte ein einträgliches Geschäft: Keine Großkanzlei in Deutschland setzt pro Kopf der dort beschäftigten Anwälte mehr um als die Sozietät, die mit ihren wichtigsten Büros in Düsseldorf und Frankfurt sitzt. Knapp 734 000 Euro, so schätzt das renommierte Branchenmagazin „Juve“ (siehe Tabelle), setzte im Schnitt jeder der rund 200 Anwälte im Jahr 2002 um. „Die ‚Juve‘-Zahlen stimmen nicht“, sagt Andreas Austmann, freilich ohne den wirklichen Betrag zu nennen. Doch Branchenkenner sind sich einig: Wenn sie nicht stimmen, dann weil sie zu niedrig sind. 

Was macht die Kanzlei, die sich im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern der grenzübergreifenden Fusionitis der großen Wirtschaftssozietäten bisher entzogen hat, so erfolgreich? Aled Griffiths, „Juve“-Chefredakteur und Kenner der deutschen Anwaltsszene, nennt vor allem zwei Gründe: „Spitzenleute mit großen Namen und über Jahrzehnte gewachsene Mandantenkontakte“. 

Den Grundstein für Letztere legte Hans Hengeler in den Dreißigerjahren. Der Aktien- und Konzernrechtler knüpfte zu dieser Zeit enge Bande zu den Großindustriellen des Ruhrgebiets. Auch der Gründer der zweiten namensgebenden Sozietät, Rudolf Mueller, verfügte über hervorragende Kontakte, vor allem zur Frankfurter Bankenszene. Kein Wunder, die Alliierten hatten den Juristen 1945 als Minister für Wirtschaft und Verkehr in der ersten hessischen Landesregierung eingesetzt. Als 1990 die Kanzleien Hengeler Kurth Wirtz und Mueller Weitzel Weisner den Zusammenschluss wagten, titelte das englische Magazin „Legal Business“: „A marriage made in heaven.“ 

An großen Namen fehlt es der Kanzlei bis heute nicht. Dazu gehören etwa der Starwirtschaftsrechtler Michael Hoffmann-Becking und der Prozessexperte Peter Heckel. Oder Stefan Krauss, in der Bankenszene ein Guru, weil er komplizierte Finanzprodukte nicht nur juristisch absichert, sondern selbst entwickelt. An der Spitze der Kanzlei, die alle zwei Jahre von den 75 Partner-Anwälten gewählt wird, stehen heute Gerd Krieger und Hendrik Haag. 

Mit den Köpfen steht und fällt der Erfolg der Kanzlei. „Hengeler muss weiterhin die besten Absolventen an sich binden, sonst könnte es mit dem Glanz mittel- bis langfristig vorbei sein“, sagt „Juve“-Chef Griffiths. Die Einstellungsbedingungen der Kanzlei zählen zu den härtesten der Branche. Wer hier anfangen will, muss beide Examen mit Prädikat abschließen. 

Statistisch kommen zurzeit bei Hengeler Mueller auf jeden Partner 1,6 angestellte Anwälte (Associates). Bei Mitbewerber Clifford Chance liegt das Verhältnis bei über eins zu sechs (siehe Tabelle). Auch mit dieser Kennzahl sticht die deutsche Kanzlei heraus. „Zwar lässt sich mit mehr angestellten Anwälten mehr Umsatz erzielen“, räumt Austmann ein, „aber ich glaube nicht, dass wir dann Qualität und Preise halten könnten.“ 

Deren Niveau ist gleichermaßen hoch. Nicht zuletzt auch, weil Hengeler noch den unter Topberatern einst üblichen Brauch pflegt, über Honorare erst nach erfolgreicher Beendigung eines Auftrags zu verhandeln. Doch die Bereitschaft der Kunden, sich auf diese Art von Abrechnung einzulassen, sinkt. „Die Macht der Controller in den Konzernzentralen hat merklich zugenommen, und die wollen vorher wissen, was es kostet“, sagt Austmann. 

Auch bei ihrer eigenen Vergütung halten die Hengeler-Mueller-Sozii an Bewährtem fest. Während vor allem Kanzleien mit angelsächsischem Einfluss ihren Partnern eine Erfolgsbeteiligung an den von ihnen vertretenen Mandaten zugestehen, halten die Deutschen streng am so genannten Lock-Step-Verfahren fest. Das heißt: Alle Einnahmen, ganz gleich, ob es sich um Mandantenhonorare, Einkünfte aus Buchverkäufen oder Vorträgen handelt, wandern in einen gemeinsamen Topf. Der Anteil der Partner ist nach der Dauer der Kanzleizugehörigkeit gestaffelt. „Wir leben hier den praktischen Kommunismus“, sagt Hengeler-Partner Austmann. Mitbewerbern und Kritikern, die das System als Einladung zum Faulenzen kritisieren, entgegnet Austmann: „Wir haben fünf Jahre Gelegenheit, die Kollegen mit der richtigen Arbeitseinstellung herauszufiltern. Erst dann können sie Partner werden.“ 

Dass sie nicht jeden Trend mitmachen, zeigen die Edelanwälte auch in Bezug auf die Frage nach einer Fusion mit einem ausländischen Partner. „Wir haben bereits ein gut funktionierendes Netzwerk von Partnerkanzleien in anderen Ländern.“ Dazu gehören etwa die französische Bredin Prat, die derzeit den Pharmariesen Aventis bei seiner Verteidigungsstrategie gegen die mögliche Übernahme durch Sanofi Synthélabo berät, oder die britische Kanzlei Slaughter and May. In den USA arbeitet Hengeler mit mehreren der Top-Wall-Street-Adressen zusammen. 

Ein Zusammenschluss mit nur einem Partner mache ohnehin keinen Sinn. „Wenn überhaupt, müsste es schon der Big Bang sein – eine Fusion mit einer britischen und einer US-Kanzlei“, so Austmann. „Aber die wird nicht kommen. Wir sind zwar M&A-Experten, aber wir bleiben eigenständig.“ 

Thomas Katzensteiner 

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