Hyrican Einziger Wessi

Der thüringische PC-Bauer Hyrican ist profitabler als Dell oder Medion – und doch fast unbekannt. 

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Michael Lehmann spart! Auch an den Wegen. Zehn Schritte nur trennen den Schreibtisch des Vorstandschefs beim thüringischen Computerhersteller Hyrican vom Großraumbüro des Vertriebs. Zehn weitere, und der 45-Jährige steht in der Fertigungshalle, in der die Monteurinnen im Zweischichtbetrieb Computer zusammenschrauben. „Wissen Sie“, sagt Lehmann, „die IT-Branche ist so schnelllebig, da können schon zu lange Berichtswege über Erfolg und Misserfolg entscheiden.“ 

Den PC-Bauer treibt die stete Sorge, einen wichtigen Auftrag oder einen guten Kunden zu verlieren – getreu dem Motto von Intel-Mitgründer Andy Grove, „only the paranoid survive“ – nur die Paranoiden überleben. Mit nur zwei Prozent Marktanteil im deutschen PC-Geschäft ist Hyrican alles andere als ein Schwergewicht der Branche. „Wir sind nur ein ganz kleines Korn zwischen den Mühlrädern der Computerindustrie“, sagt Lehmann. 

Allerdings ein überaus erfolgreiches. Die gut 80 Köpfe starke Rechner-Truppe aus dem 2000-Einwohner-Dörfchen Kindelbrück, rund 50 Kilometer nördlich von Thüringens Landeshauptstadt Erfurt, erzielte im Geschäftsjahr 2002 bei knapp 100 Millionen Euro Umsatz einen Jahresüberschuss von gut 6,5 Millionen Euro. Der Exunternehmensberater hat seine Mannschaft so konsequent auf Effizienz getrimmt („Ich drehe hier jeden Euro dreimal um!“), dass Hyrican mit 6,6 Prozent eine Umsatzrendite abwarf, die selbst Branchenführer schlapp aussehen lässt. Der deutsche PC-Primus Medion etwa schaffte nur gut die Hälfte. 

Nicht einmal DelL, der wegen seiner hoch effizienten Produktionsprozesse gerühmte PC-Marktführer, konnte da mit knapp sechs Prozent Rendite mithalten. Wie Dell, fertigt auch Hyrican Computer ausschließlich auf Bestellung. Egal, ob Großkunde oder On-lineshopper, „bei uns geht der Rechner erst in die Produktion, wenn er bereits verkauft ist“, sagt Lehmann. So minimiert er nicht nur Zahlungsausfälle, sondern vor allem das für die High-Tech-Produktion typische Abschreibungs- und Preisverfallsrisiko. 

In diesem Jahr sieht es für das nach dem Wirbelsturm Hurrikan benannte Unternehmen sogar noch besser aus, obwohl die gesamte Computerbranche seit gut zwei Jahren unter der Flaute ächzt: In den ersten neun Monaten hat Lehmann, trotz leicht gesunkener Umsätze, das Vorsteuerergebnis verglichen mit dem Vorjahr um fast 30 Prozent verbessert. Ein Wert, von dem der große Rest der Branche träumt. 

Das hat den Aktienkurs des Unternehmens in den vergangenen zwölf Monaten von unter 5 auf zeitweilig 17 Euro getrieben. Denn Dividende gibt’s auch noch: In zwei Jahren stieg sie von 26 auf zuletzt 65 Cent. Insgesamt bringt es Hyrican heute auf einen Börsenwert von 52 Millionen Euro. 

Im Sommer 2000 war Hyrican für sieben Euro an der Münchner Börse gestartet, um mit den Emissionserlösen vor allem große Kundenprojekte finanzieren zu können. „Ich war’s einfach satt, bei jedem Großauftrag erst mit den Banken über den Kredit zu verhandeln“, erzählt Lehmann. Dass es mit dem zuerst angepeilten Start am Neuen Markt nicht geklappt hat – „denen waren a wir in den Hypezeiten einfach zu klein und unspektakulär“ –, empfindet der 33-Prozent-Großaktionär im Rückblick fast als glückliche Fügung. „Die Blase ist geplatzt – und wir machen weiter unseren Weg“. 

Für Pomp und Prunk gibt der Firmengründer trotzdem kein Geld aus. Prestigeobjekte sind ihm ein Graus: „Was soll ich mit einem Kunstwerk oder einer Fontäne vor dem Haus?“ Seine Firmenzentrale, einst Werkshalle der größten Kofferfabrik der DDR, ist spartanisch nüchtern. Die Nachbarschaft versprüht den Charme postsozialistischer Industriebrachen. Lehmann, einziger Wessi bei Hyrican und nach eigener Aussagen „längst assimiliert“, stört das nicht: „Die Halle haben wir günstig bekommen.“ 

Der Weg in die Geschäftsräume führt aus dem Hinterhof über ein enges Treppenhaus direkt ins Großraumbüro der Vertriebstruppe. Der Chef hat in seinem eigenen Büro nicht einmal ein Fenster nach draußen. Etwas Tageslicht fällt durch die Glasscheiben in den Trennwänden in den Raum, die den Blick ins Vertriebsbüro und in die Fertigung öffnen: „So bekomme ich sofort mit, wenn es irgendwo hakt.“ 

Falls nötig, fährt die ganze Mannschaft am Wochenende Sonderschicht, wenn kurzfristig ein größerer Auftrag eingegangen ist. Die Vorführcomputer bringt der zweifache Familienvater mit seinem alten BMW-5er-Kombi dann auch schon mal persönlich beim Großkunden vorbei. 

„Neben besseren Konditionen ist es vor allem diese Flexibilität, mit der wir die großen Konkurrenten ausstechen“, ist sich Lehmann sicher. „Da kann keiner von den Großen mithalten, auch nicht die asiatischen Produzenten. Die mögen billiger sein – aber sie sind viel zu weit vom Kunden weg.“ 

Um so flexibel zu bleiben, gehört Hyrican keinem Arbeitgeberverband an, ist damit nicht tarifgebunden. Einen Betriebsrat hält Lehmann auch für überflüssig. „Man mag es kaum glauben, aber trotz der hohen Arbeitslosigkeit hier haben wir immer wieder Schwierigkeiten, gute Leute zu bekommen. Da vergraule ich mir doch nicht meine Mitarbeiter und behandele sie schlecht.“ 

Bereits 1990 gründete der gebürtige Rheinland-Pfälzer Lehmann mit seinem thüringischen Partner Peter Wicht und je 25 000 Mark Startkapital in einem kleinen Büro in Erfurt das gemeinsame Unternehmen, um „im Osten was aufzubauen“. Nach sieben Jahren Beratertätigkeit war es der Betriebswirt leid, „immer bloß Konzepte zu erarbeiten und wollte endlich mal was Handfestes machen“. Die im Raum Erfurt vorhandenen Strukturen des einstigen DDR-Elektronikkombinats Robotron versprachen Lehmann und seinem inzwischen in den Aufsichtsrat gewechselten Kompagnon Wicht gute Chancen für Computerbauer. 

Vor allem aber öffneten sie die Türen zum ersten Kunden, dem Versandhändler Neckermann. Der hatte bei den volkseigenen Elektronikern zuvor unter anderem Schreibmaschinen eingekauft und „erteilte uns einen Probeauftrag über 50 PCs“, erinnert sich Lehmann. „Die haben wir mit drei Leuten selbst zusammengeschraubt.“ 

Zur vollen Zufriedenheit des verantwortlichen Neckermann-Einkäufers. Seither liefert Hyrican jährlich tausende von Rechnern an die Kunden des Versandhändlers. Längst produzieren die Thüringer ihre PCs, Notebooks, Server-Computer und Netzwerkrechner auch für Versender und Elektronikketten wie Otto, Baur, ProMarkt oder MediMax. Wenn auf dem PC etwa Schneider (Otto) oder Palladium (Neckermann) draufsteht, ist meist Hyrican drin. Dazu kommen Aufträge von Fachhändlern des ElectronicPartner-Netzes sowie Projekte mit Kunden wie der Universität Erfurt oder Krankenhausbetreibern. Rund 120 000 Computer sollen die Fertigung in Kindelbrück in diesem Jahr verlassen. 2004 sollen es 150 000 sein. 

Deutlich rasanter zuzulegen, sich dabei weit gehend von einem Großkunden abhängig zu machen, wie etwa der Konkurrent Logatec, der im benachbarten Kölleda vor allem Medion-PCs zusammenschraubt – das will Lehmann nicht. „Die Abhängigkeit wäre viel zu groß.“ Ein wenig neidvoll schaut er zwar in die Nachbarschaft: „Unsere Jahresproduktion schiebt der Medion beim Aldi in einer halben Woche durch!“ 

Er will seinen Marktanteil in Deutschland bis 2008 auf fünf Prozent mehr als verdoppeln. „Dann sind wir zwar immer noch eine Klitsche, aber eben eine hoch profitable“, sagt Lehmann und lacht. Beim Vorschlag, das inzwischen auf mehr als 26 Millionen Euro angewachsene Barvermögen doch für Akquisitionen zu nutzen und das Wachstum so zu beschleunigen, wird der ansonsten ausgesprochen zurückhaltend argumentierende Vorstandschef sehr bestimmt: „Wir haben in der Vergangenheit kein Geld für wahnwitzige Expansionen verschwendet und werden das auch in Zukunft schön bleiben lassen.“ 

Thomas Kuhn 

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