Innovationen „Wir sind eine Schlamperrepublik“

Hans-Olaf Henkel, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft,zur deutschen Forschungsoffensive und der Bringschuld der Politik. 

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Die Bundesregierung verkündet das Jahr der Innovationen. Was erwarten Sie davon? 

Die Bundesregierung muss erst einmal tun, was sie bisher immer nur sagt – viel Geld in die Hand nehmen. Konkret bedeutet das für den Haushalt 2005 eine Steigerung von acht bis zehn Prozent. In den kommenden Jahren muss diese Steigerungsrate beibehalten werden. Nur so ist das von Bundeskanzler Gerhard Schröder immer wieder genannte Ziel erreichbar, bis 2010 einen Anteil von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für diese Aufgabe bereitzustellen. Im Moment liegen wir bei 2,49 Prozent. 

2004 haben Sie bereits abgeschrieben? 

Die Bundesregierung hat es abgeschrieben. Die Kürzungen in diesem Bereich sind die umfangreichsten der gesamten Regierungszeit von Schröder. Wir sind heute mit dem Anteil unserer Ausgaben für Forschung und Entwicklung hinter die Schweiz, Frankreich, Finnland und Schweden zurückgefallen. Jahrzehntelang waren wir an dritter Stelle hinter den USA und Japan. Wenn wir nicht eine Trendwende einleiten, werden weitere Länder an uns vorbeiziehen. 

Wo hapert es noch? 

In der Industrie weniger bei der Innovation und mehr bei der Qualität – ich plädiere nachdrücklich für eine Qualitätsoffensive. Denn ich habe das Gefühl, das wir eine Schlamperrepublik geworden sind. 

Was meinen Sie damit? 

Wir haben einen dramatischen Verlust an Qualität in vielen Bereichen zu verzeichnen. Wir sind vielfach innovativ – aber schlampern dafür bei der Güte der Produkte. Das Mautsystem Toll Collect ist ein hochinnovatives Produkt – aber zwei Topkonzerne bringen es nicht zum Laufen. Unsere Automobile strotzen vor Innovationen – sie fallen aber in der Pannenstatistik hinter die Japaner zurück. Wir bauen schnelle Neigezüge, die Deutsche Bahn muss sie in den Kurven aber gerade und langsam fahren. 

Finden Sie diese Schlampigkeit nur im Bereich der Unternehmen? 

Nein, das ist leider ein durchgängiges und überall beobachtbares gesellschaftliches Phänomen. Im Bereich der Politik nehmen wir handwerkliche Mängel von neuen Gesetzen mittlerweile einfach so hin. Das Dosenpfand ist für mich symptomatisch für mangelnde Qualität und eine zunehmende Dekadenz in unserer gesellschaftlichen Prioritätensetzung. 

Was bedeutet das für die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Unternehmen? 

Ganz einfach: Wer in Sachen Qualität nachlässt, steigt ab. Wir sind zwar noch in vielen Bereichen Weltspitze, zum Beispiel im Maschinen- oder im Automobilbau. Auf solche Produkte stützt sich auch der nach wie vor starke Export. Aber bei Lizenzen, Copyrights oder Software führen wir längst mehr ein als wir ausführen. Bei den Produkten mit hohem Aufwand an Forschung und Entwicklung verlieren wir weltweit Marktanteile. Vereinfacht ausgedrückt: Deutschland verdient sein Geld mit reifen, aber auslaufenden Produkten. 

Liegt das nicht auch daran, dass die Unternehmen im Gegensatz zum Staat die Ausgaben für F+E zurückgefahren haben? 

Das ist schlicht falsch. Das sollte auch SPD-Fraktionschef Franz Müntefering wissen, der gerade diese Meldung fälschlicherweise unters Volk gebracht hat. Der Anteil der Wirtschaft an den Gesamtforschungs- und Entwicklungsausgaben ist im Gegenteil gestiegen. Er lag 1998 noch bei 65 Prozent und liegt jetzt bei 70 Prozent. 

Bei einer WiWo-Umfrage unter 230 Unternehmen räumen viele ein, dass das Innovationsmanagement im Unternehmen mangelhaft ist. Was muss getan werden? 

Der Fisch stinkt vom Kopf. Innovation und Qualität müssen unbedingt Chefsache sein. Nur wenn die Führung eines Unternehmens alles dafür tut, diese Themen permanent zu besetzen und zu verfolgen, das Team antreibt und ein entsprechendes Klima schafft – nur dann wird der Rest mitziehen. Fehlt es daran, hilft auch das ausgebuffteste Innovationsmanagement nichts. Zu oft beschäftigen sich die großen Chefs mit ihren eigenen Visionen anstatt mit denen ihrer Kunden. Und: Selbstzufriedenheit ist der größte Feind von Innovation und Qualität. Wer sich für den Größten hält, wird nachlässig und macht Fehler. Das sage ich aus eigener Erfahrung. 

Studien zeigen, dass Deutschland im Vergleich zu Ländern wie den USA und Japan zu wenig gute Nachwuchswissenschaftler hervorbringt. Wo liegen die Ursachen? 

An unserem überregulierten Hochschulsystem und an einem insgesamt eher innovationsfeindlichen Klima. Wissenschaft und Forschung werden allzu oft durch eineideologische Politik gegängelt und an erfolgreicher Arbeit gehindert, zum Beispiel im Bereich der grünen Gentechnik oder in der Kerntechnik. Die deutsche Kerntechnik ist weltweit Spitze. Durch den Atomausstieg aber studiert das Fach niemand mehr. Dadurch verlieren wir Know-how und Exportchancen. Bei der Gentechnik ist es ähnlich. Die Folge einer solchen Politik ist, dass unsere besten Köpfe aus Forschung und Entwicklung ins Ausland gehen – und dort vielfach für immer bleiben. Deutsche Nobelpreisträger gibt es leider immer seltener und wenn, dann forschen sie immer öfter im Ausland. Und darum haben wir hier ein erhebliches Problem mit zukunftsträchtiger Forschung, also in der Bio-, Gen- und bald wohl auch Nanotechnologie. 

Welche Risiken birgt der Trend, dass immer mehr Unternehmen große Teile ihrer Forschung ins Ausland verlagern? 

Wir höhlen damit langfristig die Kompetenz unseres Standortes aus – eine sehr gefährliche Entwicklung, die sich auf Standort, Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und schließlich aufs Wirtschaftswachstum niederschlagen wird. Wir müssen die Bedingungen für Forschung und Entwicklung so attraktiv gestalten, dass die besten Köpfe zurückkommen und ausländische Firmen in Deutschland forschen. Es gibt bei uns, von GE in München abgesehen, kein bedeutendes ausländisches Unternehmen mit neuen nennenswerten Forschungsaktivitäten. 

Ostdeutsche Unternehmen sind bei den Aufwendungen für F+E besonders schlecht aufgestellt. Wie kann gegengesteuert werden? 

In der Tat: Von 1000 Beschäftigten ist in Ostdeutschland nur einer ein Wissenschaftler, im Westen vier, in Japan übrigens acht. Mein Vorschlag ist deshalb, für eine Zeit von zehn Jahren Forschungsausgaben in Ostdeutschland steuerlich zu begünstigen. Ich habe den Vorschlag längst dem zuständigen Minister Manfred Stolpe gemacht. Er hat daran offenbar kein Interesse. 

Peter Leo Gräf 

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