100 Jahre KaDeWe Königin der Kaufhäuser

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Die alte Berliner Diva KaDeWe, mit 60.000 Quadratmeter Verkaufsfläche die Königin unter den Kaufhäusern des europäischen Kontinents, ist in ihrer 100-jährigen Geschichte immer wieder teilrenoviert, erweitert und rundum erneuert worden, und in diesen Verwandlungen ist sie, so gut es eben ging, sich selber treu geblieben: von Beginn an, noch im Kaiserreich, als die Kaufhäuser sich dem Publikum zum ersten Mal als Kathedralen des Konsums präsentierten; dann Ende der Zwanzigerjahre, als das von Kommerzienrat Adolf Jandorf gegründete Kaufhaus des Westens an der Tauentzienstraße von Hermann Tietz übernommen und der Hertie-Gruppe eingegliedert wurde; und im Dritten Reich, als die Nationalsozialisten die Kaufhäuser als „Trutzburgen des Kapitals“ und „Pflanzstätten der Verschwendungssucht“ brandmarkten und die jüdischen Eigentümer aus der Unternehmensführung drängten. Totzukriegen war es nicht. Nach dem Krieg, als das fast völlig ausgebrannte Haus aufgebaut, 1950 wiedereröffnet und sechs Jahre später um die Feinkostabteilung im sechsten Stock erweitert wurde, avancierte das KaDeWe zu den beliebtesten Ausflugszielen der Berlintouristen und der renommierlustigen Westberliner, zum Inbegriff von Wohlstand und gutem Leben, kurz: vom goldenen Westen. Kunde Clemens Altschiller, der seine Kindheit in Westberlin verbracht hat, erinnert sich, wie er mit seiner Mutter Ende der Fünfzigerjahre das KaDeWe besuchte, zu einer Zeit, da es für die bürgerliche Ehefrau noch selbstverständlich war, eine Schneiderin zu haben: Die Stoffabteilung im Erdgeschoss quoll über von kostbaren Samt- und Seidenballen, Fahrstuhlführer riefen wie im Grandhotel die Stockwerke aus, in der Spielwarenabteilung im ersten Stock türmten sich riesige, bewegliche Stofftiere, kreisten gigantische Kräne, fuhren Eisenbahnen durch zerklüftete Alpenlandschaften, und unterm Dach im sechsten Stock lockte der Schokoladenhimmel: die Trüffel- und Pralinenabteilung. „Das KaDeWe markierte den Horizont des Wünschbaren“, erinnert sich Altschiller, „und es erweiterte ihn ins Fantastische.“ Freilich können nicht alle Wünsche erfüllt werden. Dem jungen Vater, der für seinen neugeborenen Sohn einen Wein des Jahrgangs 2007 sucht, weist Sommelier Peter Taubert freundlich darauf hin, dass man erst in einem Jahr darüber reden könne. Im Gegensatz zum Beauty Department, wo alles jung, frisch und neu daherkommt, zählen im sechsten Stock Patina und Herkommen. Wer dagegen zum 50- oder 100-jährigen Firmenjubiläum den entsprechenden Jahrgang sucht, wird bei Taubert fündig: Den Madeira Bual von 1907 gibt es für rund 750 Euro, in Reichweite eines Romanée-Conti von der Côte d’Or für 5500 Euro. Der Heidsieck-Champagner von 1907, der vor Jahren vom Meeresgrund der Ostsee geborgen wurde, ruht inzwischen im Raritätenkeller. Hinter einer Gittertür im sechsten Stock warten edelsüße Versteigerungsweine auf ihre Verkostung. Russische Kunden, die inzwischen mit der Kreditkarte zahlen, wollen einfach nur das Beste: zum Beispiel den Jahrgangscognac von Hennessy. Franzosen suchen nach dem Besonderen, etwa einem Mirabellenbrand des Weinguts Dr. Wehrheim von der Südlichen Weinstraße. Der Arbeitslose aus Marzahn, der einfach nur die lockende Nähe der vielen schönen Dinge genießen will, begnügt sich mit einem Armagnac oder kauft eine Tiefkühlpizza, die garantiert doppelt so teuer ist wie im Supermarkt. Und der Westberliner Edelproll, von Kopf bis Fuß in Louis Vuitton gekleidet, genehmigt sich an der Bar einen Champagner. Stammkunden versorgen sich jede Woche mit ihren Lieblingssüßigkeiten. Zum Beispiel mit Borkenschokolade aus der Berliner Schokoladenmanufaktur Erich Hamann, hauchdünn ausgewalzt und geschichtet. „Schmeckt wie nach dem Krieg, zergeht wunderbar auf der Zunge“, sagt die 72-jährige Dame, die mit ihrer drei Jahre älteren Schwester einmal die Woche die Trüffeltheken besucht. In jüngster Zeit wird die „Reinheit der Kakaobohnen“ wiederentdeckt, sagt Ingo Wilken, Chef der Süßwarenabteilung: „Die Criollobohnen werden wie Edelsteine gehandelt.“ Bei Pralinen haben Mischungen mit Ingwer, Chili, Muskat oder Balsamico Konjunktur. „Die Hip-Hop-Generation steht drauf“, sagt die Verkäuferin und reicht eine Praline mit rosa Pfeffer über die Theke. Mehr als 1500 Düfte und noch viel mehr Träume hält das Beauty Department im Erdgeschoss parat. Träume von Liebe, Leidenschaft und neuem Leben. Da können schon mal aparte Anekdoten das Interesse für ein Produkt wecken. Etwa das Parfüm der Dessousmarke Agent provocateur im eiförmigen, rosafarbenen Porzellanflakon. Die Verkäuferin erzählt vom Paris des Jahres 1648, als die Geliebten der Adligen mit vergifteten Parfüms und Lippenstiften in den Tod geschickt wurden. Entsprechend süß und betäubend riecht das Parfüm. Keine Frage, es soll zum Versinken einladen, am besten in den Armen einer verruchten Frau. „Man soll den Duft gar nicht lieben“, sagt die schlaue Verkäuferin, „er legt eine Spur und setzt einen Akzent.“ Die Freunde der leisen Töne, für die Düfte eher eine Ahnung sind, die man im Vorbeigehen erhascht, halten sich lieber an die Klassiker von Chanel oder Armani. Wählerische Kunden schwören auf die Düfte des alteingesessenen Wiener Herstellers Knize. Oder sie halten sich an die Naturkosmetik von Kiehl’s, einer Marke, an deren Stand die Verkäuferinnen wie zum Beweis ihrer Seriosität im Apothekerkittel vor einer Schiefertafel bedienen. Das KaDeWe ist eine „Vergnügungsmaschine“, sagt Patrice Wagner. Es will unterhalten, verzaubern, verführen. Und muss im Chaos der Marken das eigene Markenprofil deutlich machen. Am besten direkt in der Eingangshalle. 500 Quadratmeter sind dort schon leergeräumt worden. Das holländische Modeduo Viktor & Rolf hat hier seinen ersten Duft „Flowerbomb“ lanciert. Und zur diesjährigen Berlinale krönte das Model Eva Herzigowa den Auftritt der Champagnermarke Dom Pérignon. Danach fuhr sie in die sechste Etage und kaufte ein – Rollmops und Leberwurst.

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