
Es war der gestrige Sonntagabend gegen Viertel nach acht Uhr abends, als im nordbadischen Walldorf im übertragenen Sinne eine Bombe platzt: „SAP kehrt mit Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe zur Doppelspitze zurück“, heißt die Überschrift der Pressemitteilung lapidar. Was nichts anderes bedeutet als: Der bisherige SAP-Boss Léo Apotheker muss gehen. Sein Vertrag sei „einvernehmlich“ nicht verlängert worden, Apotheker habe sein Vorstandsmandat „mit sofortiger Wirkung“ niedergelegt.
Doch was auf den ersten Blick wie ein wahrer Paukenschlag daher kommt, ist bei Lichte betrachtet so überraschend nicht: Schon seit Ende 2009 mehrten sich im SAP-Umfeld Stimmen, die von Unzufriedenheit mit Apotheker auch im Aufsichtsrat berichteten. Zunächst hieß es nur, dies betreffe vor allem die Arbeitnehmerseite, schließlich war es Apotheker, der im vergangenen Jahr den erste Personalabbau in der rund 38-jährigen Unternehmensgeschichte durchgepeitscht hatte.
Monatelange Hängepartie und anhaltender Streit mit SAP-Kunden
Doch zuletzt haderte offenbar auch die Kapitalseite, allen voran SAP-Co-Gründer und Aufsichtsratsboss Hasso Plattner, mit dem Auftreten von Apotheker. Schließlich hatte der in seinen wenigen Monaten an der SAP-Spitze – im April 2008 bildete Apotheker gemeinsam mit seinem Vorgänger Henning Kagermann eine Doppelspitze, von Mai 2009 an stand er dann allein am Ruder – gleich mehrere umstrittene Entscheidungen zu verantworten.
Die wichtigste war der Versuch, den SAP-Bestandskunden Ende 2008 eine drastische Erhöhung der Kosten für die Software-Wartung unterzujubeln – und dies auch noch zu einem denkbar schlechten Timing: Die Briefe mit der Kündigung der bisherigen Verträge trafen bei den Kunden kurz nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman ein.
Kaum verwunderlich also, dass die Kunden massiv aufbegehrten. Doch statt auf die Unternehmen zuzugehen und Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, zeigte Apotheker eher eine Wagenburgmentalität, indem er beinahe beleidigt darauf hinwies, die Konkurrenz habe doch längst höhere Preise als SAP. In der Folge begehrten die Anwender in einem regelrechten Käuferstreik derart massiv auf, dass Apotheker zum Nachverhandeln gezwungen war. Dennoch dauerte es noch bis Anfang dieses Jahres, als er letztlich einen Kompromiss verkündete, der diesen Namen verdiente.
Diese monatelange Hängepartie dürfte – neben weiteren Problemen wie etwa der lange überfälligen Mittelstandssoftware Business By Design – für den Aufsichtsrat und nicht zuletzt Hasso Plattner den Ausschlag gegeben haben, den Ende 2010 auslaufenden Vertrag Apothekers nicht zu verlängern. Immerhin hat der anhaltende Streit mit den Kunden nicht nur enorm viel Porzellan zerschlagen: Gleichzeitig verzeichnete SAP im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von acht Prozent und ein Minus bei den wichtigen Software-Lizenzen gar um 28 Prozent – ein Geschäftseinbruch, der nicht allein auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen ist.
Plattner kann sich keine weitere Fehlentscheidung mehr leisten
Die nun anstehende Rückkehr zu vermeintlich bewährten Doppelspitze ist freilich auch nur eine Verlegenheitslösung: Weder der bis jetzt für die Produktentwicklung verantwortliche Jim Hagemann Snabe noch der bisherige Vertriebschef Bill McDermott gelten Unternehmenskennern als Kandidaten, um den Softwarekonzern dereinst allein zu führen. Hagemann Snabe hat sich einen guten Ruf bei den SAP-Techniktruppen erworben, ihm dürfte aber der notwendige visionäre Blick abgehen. McDermott wiederum ist ein Ziehsohn Apothekers und exzellenter Verkäufer – mit der wichtigen Entwicklungsabteilung in Walldorf dürfte der Amerikaner aber ebenso wenig warm werden wie der bis zuletzt in Paris residierende Apotheker.
Bleibt die Frage, wen Plattner jetzt noch aus dem Hut zaubern könnte: Denn nachdem im Frühjahr 2007 sein Wunschkandidat Shai Agassi von einem Tag auf den anderen die Brocken hinwarf und sich nun der danach von ihm favorisierte Apotheker als Fehlbesetzung entpuppt hat, kann sich der SAP-Übervater keine weitere personelle Fehlentscheidung mehr leisten. Vielleicht hat das Unternehmen auch deshalb in seiner gestrigen Mitteilung betont, Plattner solle weiterhin „eine starke Rolle spielen, um die neue Führung in Fragen der Technologie und der Produktentwicklung zu beraten“. Das indes dürfte in den Ohren der neuen Doppelspitze beinahe wie eine Drohung klingen.