Aktien Wie wird das Börsenjahr 2003?

Wie wird das Börsenjahr 2003, welche Kurschancen bieten die 30 Dax-Werte in den nächsten zwölf Monaten? Viele Experten sind verhalten optimistisch - obwohl hohe Risiken bleiben.

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Immer im Dezember zielen die Börsenprofis mit ihren Prognosen: Wo stehen die wichtigsten Aktienindizes wie Dow Jones, EuroStoxx und Dax in zwölf Monaten? Dabei schossen sie zuletzt drei Jahre hintereinander viel zu hoch. Nach dem verheerenden Crash 2000 sagten sie für 2001 einmütig Besserung vorher. Es kam anders. Für Ende 2002 prognostizierten sie im Schnitt rund 6000 Punkte für den Dax – schließlich könne die Baisse unmöglich drei Jahren hintereinander dauern. Doch, sie konnte; es kam wieder anders. Sorry, verehrte Anlageexperten, zu oft vorbeigeschossen. Ihre Strafrunden drehen viele frühere Strategen nun als Zuarbeiter in anderen Abteilungen der Geldhäuser – oder sie wurden von diesen gleich auf die Straße gesetzt. An der New Yorker Wall Street kostete die Serie von Fehlprognosen fast ein Dutzend Aktienstrategen den Arbeitsplatz. Häme wäre jedoch fehl am Platze. Die Herren (und wenigen Damen) haben einen undankbaren Job. Und die Prognose für 2003 ist wiederum schwer. Eine Reihe von Unwägbarkeiten erschwert das Zielen. Zwar erwarten die Strategen 2003 fast einhellig etwas höhere Unternehmensgewinne als 2002. Und wenn erst die quälende Irakfrage gelöst wäre, könnte das an der Börse ein Freudenfeuerwerk auslösen. Doch länger als die Liste der Chancen ist die Reihe der Risiken. Auch bei einer schnellen Lösung des Irakkonfliktes bliebe die Terrorgefahr, die seit September 2001 auf den Weltbörsen lastet. Zudem unterstellt die Annahme steigender Unternehmensgewinne eine leichte Erholung der Konjunktur – was jedoch keineswegs sicher ist. Sollte der Wirtschaftsmotor erst 2004 wieder rund laufen, dann stünden Dax und Dow jetzt gefährlich hoch – gemessen an dem, was Anleger im historischen Vergleich für Aktien bezahlt haben. Zumindest in einigen Punkten herrscht trotz aller Unsicherheit Einigkeit unter den Experten – anders als in vergangenen Jahren: n Die Gewinne der Unternehmen werden 2003 unter dem Strich wieder steigen. Schon weil viele Konzerne 2002 genutzt haben, um ihre Kosten in den Griff zu bekommen. Die Märkte bleiben nervös, die Kurse werden noch stärker schwanken (hohe Volatilität). Besonders wegen des Terrors drohen immer wieder Rückschläge. Schon die Angst davor lähmt die Finanzmärkte, erst recht ist nach einem Anschlag mit tiefen Kursstürzen zu rechnen. Der Terror droht zu einem Dauergast an den Börsen zu werden, der als Abschlag gegenüber den Achtziger- und Neunzigerjahren im Kursniveau berücksichtigt werden muss, glauben Aktienstrategen wie Philipp Vorndran von Credit Suisse Asset Management oder Richard Bernstein von Merrill Lynch. Der Dollar und damit viele Investments in den USA sind nach zwei Jahrzehnten Hausse immer noch überbewertet. "Der Euro wird weiter zulegen", sagt Steve Galbraith von Morgan Stanley Dean Witter. Damit würden auch exportlastige Aktien im Dax riskanter, etwa Autowerte. Deutschland bleibt Schlusslicht beim Wachstum in Europa; der Dax dürfte daher weiter hinter dem europäischen Index EuroStoxx zurück bleiben. Wie viel Auftriebskraft können im Vergleich dazu die wenigen positiven Aspekte entfalten? Die Verbesserungen der Unternehmensgewinne im Dax setzt zum Beispiel das Strategieteam der SEB Bank in Frankfurt auf 15 bis 20 Prozent gegenüber 2002 an. Denn viele Finanzvorstände quetschten noch möglichst viele Verluste und Abschreibungen in die 2002er-Zahlen, sodass alleine "wegen der niedrigen Ausgangsbasis wieder etwas bessere Zahlen ins Haus stehen", so Eberhardt Unger, Leiter Research bei der SEB, "das darf man nicht mit einer echten Erholung verwechseln". Ebenfalls positive Signale kommen von der Liquidität, die endlich wieder für steigende Nachfrage nach Aktien sorgen könnte. In US-Geldmarktfonds ist inzwischen genug Bares geparkt, um theoretisch ein Viertel des US-Aktienmarktes zu kaufen: 2,3 Billionen Dollar. Und auf US-Sparkonten flossen 2002 rund 500 Milliarden Dollar, so viel wie seit 20 Jahren nicht mehr. "Noch mehr Mittelabflüsse aus den Aktienfonds wird es nicht geben", meint Wolfgang Sawazki, Leiter Primäranalyse der Privatbank Sal. Oppenheim, "auch in Europa ist viel Geld in Geldmarktfonds geparkt, das die Anleger aber erst wieder in Aktien tauschen werden, wenn die Börse nachhaltig steigt." Und danach sieht es nicht unbedingt aus. Auf beiden Seiten des Atlantiks trauen die Strategen und Chefvolkswirte der US-Wirtschaft mehr zu als der europäischen. In den USA soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2003 um zwei bis drei Prozent wachsen, in Euroland im Schnitt um 1,5 Prozent. Dem Wachstumsschlusslicht Deutschland billigen die Volkswirte nur rund ein Prozent mehr a Wirtschaftsleistung als 2002 zu – wenn überhaupt. Aber "möglicherweise kommt der größte Teil des Aufschwungs in den USA erst 2004", warnt Morgan-Stanley-Stratege Galbraith, "das wäre Gift für die Börse, die seit Oktober viel von einer möglichen Konjunkturerholung vorweggenommen hat". Bedenken hat auch Unger bei der Frage, welche Faktoren die Erholung auslösen. In den USA mehren sich derzeit zwar die Anzeichen für eine "klitzekleine konjunkturelle Erholung", so Unger, doch die sei nur "mit den stärksten Zinssenkungen seit über 100 Jahren und mit einem milliardenschweren Konjunkturprogramm ermöglicht worden". Die US-Notenbank senkte die Zinsen in den Dreißigerjahren bis auf 1,5 Prozent; heute betragen sie nur noch 1,25 Prozent. Unger: "Das muss jedem zeigen, dass an der Lage der Weltkonjunktur nichts mehr schönzureden und gesundzubeten ist – sie ist hochdramatisch." Hinzu kommt noch die enorme Verschuldung der Unternehmen in den USA, die bereits wieder das Niveau der Dreißiger erreicht hat. Gegen ein starkes Engagement in US-Aktien sprechen auch die Prognosen der meisten Institute zum Wechselkurs Euro/Dollar: "Der Dollar wird gegenüber Euro und Franken weiter nachgeben", meint Abby Joseph Cohen, früher notorisch optimistische Analystin von Goldman Sachs. Mehr als 20 Jahre lang floss der Großteil des Anlegergeldes in den Dollar-Raum und hat dort zu einer Überbewertung geführt. Auch Stephen Jen von Morgan Stanley rechnet mit 1,08 Dollar je Euro binnen Jahresfrist. "Dass der Dollar nicht noch weiter fallen wird, haben wir nur den ungelösten Strukturproblemen im Euroland und Japan zu verdanken", glaubt Jen. Eine globale Rezession halten die meisten Institute trotz aller Probleme für unwahrscheinlich. Von der Öffentlichkeit weit gehend unbemerkt, seien "in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Gewinne der US-Unternehmen inklusive der nicht börsennotierten schon seit vier Quartalen gestiegen", bemerkt Roland Ziegler, Anlagestratege der ING BHF-Bank. Ziegler hält diese Zahl für "ermutigend und aussagekräftiger als Gewinnprognosen für Dax, S & P 500 oder Dow Jones, weil sie weniger von Bilanztricks oder die Verbuchung von Aktienoptionen belastet sind". Unsicherheitsfaktor Nummer eins im nächsten Jahr bleibt indes die politische Lage. Ihr "verhalten positives Szenario" gelte jedenfalls nur unter der Bedingung, dass "weitere exogene Börsenschocks wie Krieg, Terror oder eine Eskalation der Lateinamerika- und Pensionsfondskrise 2003 unterbleiben", schränkt Oppenheim-Stratege Matthias Joerss seine Annahmen ein. "Ein langer Krieg im Irak mit ungewissem Ausgang könnte die Wirtschaft in eine Rezession treiben", meint Joerss. Deutlicher wird Merrill-Lynch-Chefstratege Richard Bernstein: "Die Bewertung der Aktien ist angesichts der größten geopolitischen Risiken seit mehr als 20 Jahren gefährlich hoch." Auch Abby J. Cohen hält die US-Aktien noch nicht für günstig: "Der S & P 500 hat im Schnitt ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 20 auf Basis unserer Schätzungen für 2003; das historische Mittel liegt bei etwa 17." Dennoch würde ein schnelles Ende des Irakkonflikts "wie ein Turbolader für die Börsen wirken", wie SEB-Stratege Unger glaubt, "besonders, wenn es im März mit einer erneuten Zinssenkung der EZB zusammenfiele". Der Ölpreis könnte dann auf rund 20 Dollar pro Barrel fallen und die Weltkonjunktur entlasten. Und vielleicht kommt ja wieder alles anders, als die Strategen glauben. Immerhin: Allein die Dividendenrendite der europäischen Aktienmärkte liegt derzeit bei 3,3 Prozent – und damit über den Zinsen für kurzfristige Staatsanleihen und nahe an dem, was man mit Festgeldanlagen erwirtschaften kann.

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