Angebliche Lizenzverstöße Microsoft und Oracle nehmen Unternehmen in die Mangel

In Geheimdienstmanier gehen Softwaregrößen wie Oracle und Microsoft gegen Unternehmen vor, um vermeintliche Lizenzverstöße zu ahnden. Auch Dax-Konzerne müssen teilweise Millionen nachzahlen, um Produktionsausfällen zu vermeiden.

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In der Falle. Unternehmen werden von Software-Herstellern massiv unter Druck gesetzt Quelle: Markus Mohr - Fotolia.com

Als ein Spezialteam des Wirtschaftsprüfers KPMG bei BASF einmarschiert, will es nicht die aktuellen Bilanzen des Chemieriesen kontrollieren. Der IT-Konzern IBM schickt die drei Männer. Sie filzen stichprobenartig Rechner, kontrollieren die Lizenzen für IBM-Software. Zwei Wochen lang halten sie in Deutschland und Südamerika ein halbes Dutzend BASF-Leute auf Trab. Am Ende finden die drei, was sie suchen: IBM-Software, für die der Chemiekonzern ein paar Lizenzen zu wenig gekauft hat. Dass BASF für andere IBM-Programme mehr Rechte besitzt, als das Unternehmen nutzt, spielt keine Rolle.

Solche Prüfaktionen sind im Zeitalter der Raubkopien üblich. In jüngster Zeit nehmen jedoch Brancheninsidern zufolge Fälle rasant zu, in denen die Softwareanbieter weit darüber hinausgehen. Dax-Konzerne und große Mittelständler klagen, dass Programmlieferanten wie Oracle und Microsoft sie teilweise zu Unrecht unter Druck setzen. Der Vorwurf: Manche Anbieter bezichtigen ihre Kunden auf Basis schwammig formulierter Verträge dramatischer Lizenzverstöße, fordern Entschädigung in Millionenhöhe, drohen gar, die Nutzung der für die Kunden oft lebenswichtigen Programme zu untersagen. Dann bieten sie ihnen einen harmloseren, aber teuren Ausweg an: mehr Lizenzen oder Wartungsverträge kaufen – auch wenn die zum Teil gar nicht benötigt werden.

Modernes Raubrittertum: Softwareanbieter nutzen Abhängigkeit der Unternehmen aus

Software ist heute aus Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Von der Personalverwaltung bis zur Produktionssteuerung, sie sind von virtuellen Werkzeugen abhängig. Daher geben sich die Konzerne den mal mehr, mal weniger berechtigten Drohungen der Anbieter fast immer geschlagen, kaufen notgedrungen Software nach. Ein Wechsel zu einem konkurrierenden Anbieter ist entweder zu teuer, zu langwierig oder unmöglich, weil es keinen gibt. Auch wenn das Vorgehen der Softwareanbieter legal ist: Die Kundenseite spricht von „Raubrittertum“ und beklagt „erpresserische“ Methoden.

Auslöser des umstrittenen Vorgehens ist die Finanzkrise. Das Neugeschäft mit Software schrumpft. Sonst so spendable Großkunden scheuen teure Investitionen. Trotzdem fordern die Softwarehäuser mehr Umsatz von ihren Vertriebsleuten: „Der Druck ist groß, besonders bei den US-Anbietern“, sagt ein Brancheninsider. Uwe Sauer*, Lizenzexperte einer großen IT-Beratungsfirma, die nicht genannt werden soll, weil sie Geschäfte mit Softwareherstellern macht: „Die lassen ihre Kunden regelrecht ins Messer laufen.“

Umsätze durch zweifelhafte Verkauftstaktiken

Vor allem Hersteller, deren Neugeschäft in der Krise schwächelt, wollen sich zum Ausgleich an ihren Bestandskunden schadlos halten. Viele verdanken der Verkaufstaktik mittlerweile erhebliche Teile ihrer Einnahmen. So sank bei Oracle zwischen März und Mai 2009 der Umsatz mit neuen Softwarelizenzen gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent auf 2,7 Milliarden Dollar. Der Umsatz bei Lizenz-Updates und Produkt-Support kletterte jedoch um acht Prozent auf 3,1 Milliarden Dollar. Unterm Strich lagen die Softwareumsätze so nur drei Prozent im Minus.

 

Der rabiate Umgang mit Kunden, die eigentlich umhegt und gepflegt sein wollen, verwundert selbst ausgebuffte Anwälte. Daniel Pauly von der Wirtschaftskanzlei Link‧laters: „Die setzen ihren Kunden die Pistole auf die Brust.“ Er vertritt derzeit mehrere Großunternehmen in solchen Fällen, darunter einen Dax-Konzern und ein großes an der Wall Street gelistetes Unternehmen.

Die Softwareverkäufer werfen den Kunden Urheberrechtsverstöße vor und konstruieren ein so wirkungsvolles Bedrohungsszenario, dass die Unternehmen zwangsläufig einknicken: Im schlimmsten Fall könnten die Fließbänder Monate lang stillstehen. Oder eine Bank stünde ohne funktionierendes Handelssystem da. Das wirkt: „Bei einem aggressiven Spezialsoftwarehersteller haben wir kaum was entgegenzusetzen“, klagt Steffen Berger (name geändert), Lizenzchef eines deutschen Autobauers. Mit richtigem Namen wollte sich keiner der befragten Lizenzmanager nennen lassen, aus Sorge davor, die schwierigen Beziehungen zu den Softwareanbietern weiter zu belasten. Denn ein Wechsel ist oft nicht möglich. „Was haben wir für eine Wahl, manche Software gibt es nur einmal“, sagt Berger.

Mit Geheimdienstmethoden auf Fehlersuche

Die Vertriebsleute der Softwarefirmen gehen nicht selten nach Geheimdienstmanier vor: Sie nutzen Kontakte in IT-Abteilungen, um diese unter einem Vorwand nach Schwächen im Lizenzmanagement auszuhorchen. Fehlerfreie Systeme gibt es nicht. „Wir haben 7.000 Softwareprodukte im Einsatz, da passiert es, dass man mal unter- oder überlizenziert ist“, sagt Berger. Wenn kleinere Verstöße als Druckmittel nicht ausreichen, interpretieren einige Anbieter bestehende Verträge in für die Kunden ungeahnter Kreativität. Denn was dann kommt, soll schocken.

Schadenersatz in zweistelliger Millionenhöhe

In einem Fall hatte ein Konzern eine Spezialsoftware aus Vorsicht für einige Hundert Nutzer lizenziert, auch wenn nur rund ein Dutzend Mitarbeiter sie tatsächlich nutzt. Doch weil am Firmennetzwerk rund 50.000 Rechner hängen, die theoretisch auf das Programm zugreifen könnten, bekam das Unternehmen eine Schadensersatzforderung über mehr als 49.000 Lizenzen aufgetischt. Ein zweistelliger Millionenbetrag, sofort fällig. „Da zucken selbst Großunternehmen“, sagt ein mit dem Fall vertrauter Anwalt. Bei den Gesprächen sitzen den Anwälten der Kunden keineswegs Juristen gegenüber, sondern die Vertriebsleute der Softwareunternehmen.

Oracle-Chef Larry Ellison. Das Quelle: REUTERS

Während der Walldorfer Softwareriese SAP hier als „relativ anständig“ gilt, eilt dem US-Konkurrenten Oracle der Ruf eines aggressiven Akteurs voraus. In einem Schreiben, dass der WirtschaftsWoche vorliegt, droht Oracle nach angeblichen Lizenzverstößen einem deutschen Industriekonzern offen mit der Eskalation, sollte er nicht binnen vier Wochen den Oracle-Vertrieb kontaktieren. „Die Schreiben sind die Basis für die anschließende Folter“, sagt Anwalt Pauly.

„Naht bei einem Softwarehersteller das Geschäftsjahresende, kann der richtig unangenehm werden“, hat Christian Wagner (Name geändert), der Softwarelizenzchef eines süddeutschen Konzerns, beobachtet. Der Oracle-Vertrieb habe ihm massiv mit Konsequenzen gedroht. Microsoft sei nicht weniger deutlich, selbst wenn die „charmanter“ vorgehen. „Die sagen: Ihr habt 70.000 Mitarbeiter, aber nur 55.000 Lizenzen. Das kann nicht stimmen, ihr müsst zahlen.“ Doch nicht jeder Mitarbeiter habe einen Rechner. Der Softwareanbieter führe ungenaue Zahlen an, um Forderungen zu begründen. Einer Lizenzprüfung kann sich der Konzern ohnehin nicht entziehen.

Microsoft weist Vorwürfe zurück

Microsoft versucht nach Aussage des Lizenzmanagers so vor allem Enterprise-Verträge an den Mann zu bringen. Das sind teure Abkommen, nach denen der Kunde auf allen Rechnern Microsoft-Office-Software nutzen darf. Für einen Konzern mit 25.000 Nutzern kostet ein solcher Enterprise-Vertrag einmalig rund 25 Millionen Euro plus zehn Millionen Euro Wartungsgebühr jährlich.

Oracle äußerte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen. Microsoft-Deutschland-Chef Marcel Schneider weist sie dagegen zurück, „Unstimmigkeiten, bei denen wir Wirtschaftsprüfer schicken, liegen im Promillebereich“. Zudem seien sie rückläufig, habe Microsoft doch die Lizenzabkommen vereinfacht und die Kundenberatung verbessert. Auch gebe man in Einzelfällen Kunden die Zeit, um ihr Lizenzmanagement in Ordnung zu bringen.

Software-Hersteller drängen auf Nachkauf

Doch so viel Entgegenkommen gibt es anscheinend nicht immer: Zeigen sich dann die Kunden nicht sofort verhandlungsbereit, werden die Drohungen schon mal härter. Lizenzmanager Berger berichtet von einem Vorfall, in dem eine Softwarefirma schnellstens eine Lizenzprüfung durchführen wollte. Dazu haben die Anbieter den meisten Verträgen nach das Recht. „Wir hatten zu der Zeit nicht die Kapazitäten zur Unterstützung einer Prüfung parat, baten um Verschiebung“, erzählt er. Sofort habe der Anbieter gedroht, die Nutzung der Software zu untersagen. „Das sind keine partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen mehr“, schimpft Berger. Denn offenbar wollen die Anbieter nicht nur verhindern, dass Firmen Unterlizenzierungen vertuschen. Vielmehr sollen die Kunden schnell nachkaufen.

Die Softwareanbieter bauen gefährliche Klauseln in ihre oft romandicken Verträge ein. So heißt es in den Wälzern des US-Anbieters Attachmate: Wenn der Kunde gegen eine Vertragsbedingung verstoße, könne der Lizenzgeber verlangen, dass er „alle Kopien der Software zerstört“. Um IT-Chefs zum Schwitzen zu bringen, reicht mitunter eine unbegründete Forderung: Allein die Möglichkeit, dass der Anbieter eine einstweilige Verfügung erwirkt, die die Nutzung verbietet, bedroht den Betrieb. Der Richter muss dafür die Gegenseite nicht anhören. „Zwei Drittel unserer Software sind für den Betriebsablauf notwendig. Wenn wir etwas davon nicht nutzen dürfen, kann das unsere Bänder stoppen“, berichtet Berger. Ein Luftfrachtunternehmen hatte vor einiger Zeit panisch alle Lizenzen für eine Software auf dem grauen Markt gekauft, die es bekam. Es wollte sich bei einer anstehenden Lizenzprüfung nicht mit zu wenig Rechten erwischen lassen.

Komplexe Verträge erschweren Überblick

Ein Grund, warum Unternehmen in die Fallen der Softwareanbieter tappen, sind die komplexen Verträge. „Ein normaler IT-Mitarbeiter versteht die nicht“, sagt IT-Berater Sauer. Dazu müsse man Jurist sein. Doch auch ein Jurist verstehe sie nur, wenn er IT-Spezialist sei. „Ich habe gerade einen Lizenzvertrag über drei Jahre unterschrieben, der ist 60 Seiten dick“, berichtet Lizenzmanager Berger. Die Papiere sind mitunter so vage formuliert, dass bei korrekter Interpretation selbst angeschlossene Drucker als Nutzer gelten – eine Praxis, die gut informierten Kreisen zufolge der US-Anbieter Citrix einsetzt. Ein Opfer: eine norddeutsche Bank. Citrix zufolge haben 98 Prozent der Citrix-Kunden Verträge, bei denen das nicht passieren kann. Wo es passiert sei, liege die Schuld beim Zwischenhändler, der die Lizenzen verkauft und nicht korrekt beraten habe.

Auch ändern einige Anbieter ihre Lizenzbestimmungen bis zu dreimal im Jahr. „Wir haben eigens jemanden, der im Internet recherchiert, wo sich die Bedingungen gerade geändert haben“, berichtet ein Konzern. Auf eine Mitteilung an Kunden verzichten viele Anbieter. Würde es nicht um Unternehmen, sondern Verbraucher gehen, wären die Verträge meist sittenwidrig, sagt Sauer.

Abschlagszahlungen an der Tagesordnung

„Die Hälfte unserer Fälle endet mit einer Abschlagszahlung, weil nicht nachweisbar ist, ob wir zu wenige Lizenzen haben oder nicht“, sagt Lizenzmanager Berger. Zu vage sei der Vertrag formuliert. Die andere Hälfte sei entweder klar unberechtigt oder berechtigt. Wagner, der Lizenzchef des süddeutschen Konzerns, sagt: „Am Ende einigen wir uns auf einen Mix, kaufen neue Produkte, verlängern Wartungsverträge.“ Wer Lizenzen nachkauft, zahlt oft einen Strafaufschlag. Berappen Firmen meist 40 bis 60 Prozent vom Listenpreis, sind es dann 160 bis 180 Prozent. Dennoch ist die Summe kleiner als die aus der Drohkulisse.

Hier und da schlagen Unternehmen aber auch mal zurück. Der Softwarechef eines deutschen Finanzriesen berichtet, er habe vor einiger Zeit einen wichtigen Lieferanten ausgetauscht, weil der seine Machtposition zu sehr überschätzt hatte: „Der hat gedacht, er sei so tief bei uns im System, dass wir ohne ihn nicht können.“ Er hatte sich geirrt, auch wenn das den Kunden einige Millionen Euro gekostet hat. Solche harten Schritte aber sind selten: Eine Datenbank zur Planung der Unternehmensressourcen, wie sie Oracle und SAP anbieten, könne man nicht so einfach wechseln, sagt IT-Experte Sauer. „Die ist so komplex, das verschlingt astronomische Summen.“ Lizenzmanager Wagner: „In der jetzigen gesamtwirtschaftlichen Lage kommt uns das alles sehr ungelegen.“

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