Arbeitsmarkt Krise ist für die Zeitarbeit nur Zwischentief

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Birkner-Zeitarbeiter Felder: Der Stundenlohn liegt im zweistelligen Bereich, die Hoffnung auf eine feste Anstellung im Entleihbetrieb bleibt Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

Marco Felder ist einer der 16 Birkner-Männer, die bei Lars Christoph Schäfer noch Arbeit haben. Ein halbes Jahr hat er gebraucht, bis er alle 300 Varianten kannte, mit denen die bis zu zwölf Meter langen Gelenkwellen für die 900 aktiven Spicer-Kunden in aller Welt versandfertig gemacht werden. Vor zwei Jahren fing der Essener bei Birkner und bei dessen Kunden Spicer an. Die Arbeitsstelle liegt von seiner Wohnung im Ortsteil Altendorf nur ein paar Minuten entfernt. Zweimal wurde die Befristung seines Vertrages mit Birkner verlängert. Seitdem ist der 30-jährige unbefristeter Zeitarbeiter – und offenbar zufrieden damit.

„Ich werde hier behandelt wie jeder andere Kollege, da merkt man keinen Unterschied“, sagt Felder, der der IG Metall angehört. Ganz anders als in dem Fernsehbericht über Leiharbeit, den er vor ein paar Monaten gesehen hat: „Die Zeitarbeiter bei Opel müssen andere Kleidung tragen als die Opelaner“, sagt der junge Mann und verzieht das Gesicht.

Sein Blaumann mit dem Dana-Logo sieht nicht anders aus als der der Spicer-Kollegen. Früher hat Felder die Zeitarbeitsbranche von ihren hässlichen Seite kennengelernt. Mal war er als Callcenter-Agent für kaum sieben Euro die Stunde beschäftigt und wurde auch schon mit 5,50 Euro abgespeist. Nun verdient er einen zweistelligen Betrag pro Stunde.

Birkner verlangt 1,8-Mal so viel von den Unternehmen, denen er seine Leute ausleiht, wie er selber an Bruttolohn bezahlt. Die großen Wettbewerber rechnen mit dem Faktor 2,3 und mehr. Für Spicer sind Birkner-Leute mit durchschnittlich 21 Euro pro Stunde etwa so teuer wie eigene Leute einschließlich aller Lohnnebenkosten. Unterm Strich aber kommen die Leiharbeiter Spicer doch 20 Prozent billiger, weil Geschäftsführer Schäfer nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden bezahlen muss und Birkner die Kosten für Urlaub, Feiertage und Krankheitsausfall trägt.

Weichen stellen für den nächsten Zeitarbeiterboom

Allerdings beteiligte Spicer im vergangenen Jahr auch die Leiharbeiter am guten Geschäft und ließ ihnen bis zu 1000 Euro extra zukommen. Sie nehmen ohne Lohnabzug an Spicer-Betriebsversammlungen teil und haben die gleiche Heiligabend- und Silvesterregelung wie die Spicer-Belegschaft. Equal Treatment heißt die Gleichbehandlung im Branchenjargon. Birkner und Schäfer erfüllen die Gewerkschaftsforderung weitgehend und finden es „wichtig, dass die Beschäftigten sich wohlfühlen“. Birkner: „Man muss die Leute pflegen.“

Skandale um unwürdig behandelte Leiharbeiter sind für die Branche zwar kurzfristig schädlich, aber langfristig nützlich. Denn die Stigmatisierung gewerbsmäßiger Seelenverkäufer beschleunigt den Selbstreinigungs- und Selbstfindungsprozess der Branche. Nicht mit den Schmuddelkindern der Verleihzunft zu spielen, dazu rufen längst auch die Unternehmensverbände selber auf. Selbst bei der Forderung nach einem allgemein verbindlichen Mindestlohn liegen BZA und IGZ heute mit den Gewerkschaften auf einer Linie.

Ist der erst mal beschlossen, dürfte die Zahl der Lohndumper unter den Leiharbeitsfirmen nahe null sinken.Wie hoch der Anteil der schwarzen Schafe liegt, ist natürlich umstritten. „Unter zehn Prozent der Unternehmen“, schätzt BZA-Präsident Enkerts. Auf 30 Prozent kommt Verdi. Aber beim Trend sind sich beide Seiten einig: Saubere Beschäftigungsverhältnisse werden selbstverständlicher, Ausbeutung wird seltener.

Für den nächsten Leiharbeitsboom vielleicht schon im kommenden Jahr stellen Zeitarbeitsunternehmer Birkner, Spicer-Geschäftsführer Schäfer und Leiharbeiter Felder schon jetzt die Weichen. Schäfer hat bis zum Auftragseinbruch 2008 rund 25 Prozent seiner Belegschaft im gewerblichen Bereich mit Zeitarbeit und befristeten Verträgen abgedeckt. Künftig „werde ich 40 Prozent anpeilen“, sagt der Manager.

Der Ulrich, wie Schäfer seinen Lieblings-Leiharbeitsunternehmer inzwischen nennt, wird die Leute, die er derzeit am Telefon vertröstet, wieder unter Vertrag nehmen, so sie dann noch verfügbar sind. Er vertraut darauf, dass er sich inzwischen einen Ruf als Zeitarbeitgeber zugelegt hat: „Viele denken, Zeitarbeit bedeutet, man muss jede Woche woanders arbeiten. Bei uns ist das viel solider angelegt.“

Zeitarbeiter Felder hat erst einmal nichts dagegen, in seinem Leihjob zu bleiben. Dank der zwei Jahre, die er schon für Birkner und Spicer arbeitet, träumt er aber davon, doch einmal fest bei dem Autozulieferer arbeiten zu können, und macht auch kein Geheimnis daraus: „Vielleicht klappt es nach der Krise. Schön wär’s schon.“

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