Art Report Welche Künstler Ihr Geld wert sind

Der neue Art Report von WirtschaftsWoche und Art Logistics zeigt: Vergessene Altmeister sind en vogue, etablierte Zeitgenossen bleiben gefragt. Und der Nachwuchs punktet mit Videokunst.

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Ein Besucher betrachtet Fotos, Quelle: AP

Die Aufforderung macht stutzig: „Nehmen Sie ein Passstück und gehen Sie in die Kabine“ ist an der schwarzen Außenseite der Holzbox zu lesen. Kunst zum Anfassen, mitten in einem Museum? Tatsächlich: In die Hand nehmen soll man die weißen Fantasiegebilde, die auf einer Ablage bereitliegen – eben jene Passstücke aus Fiberglas, Holz und Polyester. Wer der Aufforderung folgt und sich mit einer dieser abstrakten weißen Skulpturen ins Innere des Kubus begibt, findet sich nach ein paar Schritten, vorbei an mit Zeitungen beklebten Wänden, vor einem Spiegel wieder. Und kann beobachten, wie er mit der ungewohnten Situation umgeht.

„Spiegel in Kabine mit Passstücken“ heißt diese Installation von Franz West, die derzeit in einer großen Retrospektive mit dem Titel „Autotheater“ zu Ehren des 62-jährigen Wiener Künstlers im Kölner Museum Ludwig zu sehen ist. Und auszuprobieren. „Es ist nicht wichtig, wie die Kunst ist, sondern wie sie benutzt wird“, sagt West, den schon früh „diese selbstverständlichen Regeln bei einem Museumsbesuch gestört“ haben. Einst hoffte West, dass seine Arbeiten in Vergessenheit geraten. „Nach längerer Zeit gefielen sie mir aber manchmal ganz gut, und ich war froh, dass sie wieder aufgetaucht waren.“

Geld für Kunst ist da

Diese Freude teilt er wohl mit Kasper König. Der heutige Direktor des Museums Ludwig hatte Wests „Paßstücke“ erstmals 1981 als Kurator der legendären Kölner Ausstellung „Westkunst“ gezeigt – und dem Werk des exzentrischen Österreichers knapp 30 Jahre später eine große Einzelausstellung gewidmet. „Niemand hätte damals geglaubt“, sagt König, „dass sich aus dieser frühen Präsentation eine der bedeutendsten und zentralen Positionen im Bereich der Skulptur entwickeln würde.“

Dass West wieder auf bestem Wege zurück in die Zukunft des Kunstgeschehens ist, bestätigt ein Blick auf den aktuellen Art Report von Art Logistics und WirtschaftsWoche, der die weltweit wichtigsten zeitgenössischen Künstler ermittelt.

Nachdem West, der 1992 und 1997 an der Kasseler Documenta teilgenommen hatte, einige Zeit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden war, gehört der Altmeister der Skulpturkunst zu den auffälligsten Aufsteigern im Kunstbetrieb 2009 – dank großer Ausstellungen etwa im Wiener Belvedere, der Basler Fondation Beyeler oder dem Kölner Museum Ludwig. West steigt in der Allzeitwertung („Olymp“) um drei Plätze auf Rang 14 – diesen Sprung schafft außer ihm nur der deutsche Maler Sigmar Polke.

Klammert man bereits verstorbene Künstler wie Andy Warhol oder Joseph Beuys aus, steht West gar auf Rang 9 der ewigen Rangliste. Wests Dynamik als Punktehamster wird nur noch übertrumpft von Ikonen wie Bruce Nauman und Andy Warhol. Oder Gerhard Richter. Der Wahlkölner hat Warhol 2009 als wichtigsten Vertreter der Gegenwartskunst abgelöst – Richter ist die aktuelle Nummer eins des Art Reports. „Etablierte, aber auch zuletzt ein wenig in Vergessenheit geratene Altmeister zeitgenössischer Kunst sind en vogue“, sagt Art-Logistics-Geschäftsführer Manfred Schumacher. „Hohe Qualität ist gefragt.“

Denn Geld für Kunst ist da. Regen Bilder und Skulpturen, Installationen und Videos doch nicht nur Auge und Intellekt an, sondern angesichts der unsicheren Wirtschaftslage auch finanzielle Fantasien – als attraktive Alternative zu schmalen Zinsen auf dem Festgeldkonto oder volatilen Investments in Immobilien, Aktien oder Anleihen.

Der gigantische Siebdruck

So machten die Traditonshäuser Sotheby’s und Christie’s bei ihren Herbstauktionen auch in diesem Jahr Umsätze im hohen zweistelligen Millionenbereich, und auch deutsche Versteigerer wie Van Ham, Lempertz oder Ketterer überraschten mit guten Ergebnissen. Die Kunstmesse Art Basel Miami Beach, seit Jahren im Dezember Gradmesser für die Spendierlaune der Sammler, ist zwar noch meilenweit von der Kauflaune der Boomjahre zwischen 2004 und 2007 entfernt. Doch zumindest bis 500 000 Dollar wurde Kunst gekauft. „Das Geld fließt“, sagt der New Yorker Galerist Steven O’Hara. „Die Sammler kehren zurück.“

Die aber suchen nur nach dem Besten. Denn die Hoffnung, dass Kunst auch in inflationsschwangeren Krisenzeiten ihren Wert behält, erfüllt sich allenfalls für hochwertige Arbeiten von Künstlern, die über viele Jahre ihre nachhaltige Wirkung auf die Kunstgeschichte bewiesen haben. So trennte sich, egal, ob im Bereich der Alten Meister, Kunst des 19. oder 20. Jahrhunderts, auch zum Jahresende die Spreu vom Weizen: Eine Zeichnung des Renaissance-Malers Raffael war einem Sammler 32 Millionen Euro wert, ein Rembrandt-Gemälde wechselte für 22 Millionen Euro den Besitzer. Und für Andy Warhols frühen Siebdruck „200 One Dollar Bills“ fiel Mitte Dezember bei Sotheby’s der Hammer bei 43 Millionen Dollar.

Ein unvollendetes Rubens-Gemälde blieb dagegen liegen – zu groß war die Unsicherheit, ob der Meister damals wirklich selbst zum Pinsel gegriffen hatte. Aber auch bislang beliebte Jungkünstler bekommen derzeit keine Schnitte: So blieb bei der Dezember-Versteigerung des Kölner Auktionshauses Lempertz ein Werk des einst angesagten polnischen Malers Wilhelm Sasnal unter dem Mindestgebot, für ein mit 40 000 Euro angesetztes Bild des jungen deutschen Malers Norbert Bisky rührte sich gar kein Finger.

Neigung zum Risiko ist derzeit gering

Dass die Neigung zum Risiko derzeit gering ist, zeigt der aktuelle Art Report: Nicht nur der Olymp als Allzeit-Gradmesser zeitgenössischer Kunst ist fest in der Hand arrivierter Platzhirsche. Auch unter den fleißigsten Punktesammlern finden sich 2009 ausnahmslos alte Hasen, die auf ein nachhaltiges Lebenswerk zurückblicken können und seit Jahren konstant ihren Ruhm mehren. Darunter etwa der US-Installationskünstler Bruce Nauman, der seinen dritten Platz festigte. Auch dank seines spektakulären Auftritts auf der Biennale in Venedig.

Oder der früh verstorbene deutsche Kunst-Berserker Martin Kippenberger, der im Frühjahr mit einer großen Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art geehrt wurde. Und dessen Ölgemälde „Paris Bar“ von 1991 im Spätherbst für rund 2,5 Millionen Euro versteigert wurde – die Auktionatoren hatten mit der Hälfte der Summe gerechnet. Getoppt wird das noch von einem weiteren Dauerbrenner: Joseph Beuys, dessen Multiples 2009 zu den gesuchtesten Arbeiten des Ausstellungsbetriebs wie des Kunstmarkts zählten. „Der Markt für diese Stücke“, sagt ein Sammler, „ist leer gefegt.“

Ebenfalls wieder auf dem Vormarsch: Künstler aus den deutschen Wirtschaftswunderzeiten, darunter der Maler Ernst Wilhelm Nay, der seinen Punktezuwachs 2009 gegenüber dem Vorjahr um 350 Prozent steigerte – auch dank einer großen Ausstellung in der Frankfurter Schirn Kunsthalle, die das farbenprächtige Spätwerk des Informel-Künstlers feierte, das auf der Documenta 1964 für Furore gesorgt hatte. Auch Gerhard Hoehme, der zwei Jahre vor seinem Tod prophezeit hatte, „die Kunsthistoriker werden es einmal schwer mit mir haben“, rückte wieder ins Visier der Kunstfans – mit einer auf drei renommierte Museen verteilten Retrospektive in Duisburg und Düsseldorf, die zeigte, dass Hoehme Ende der Fünfzigerjahre auf einer Stufe stand mit Heroen wie dem Amerikaner Frank Stella, der seit Jahrzehnten zum etablierten Personal der Kunstszene gehört – während Hoehme allenfalls Insidern ein Begriff war. Die blättern für Hoehmes selten angebotene Arbeiten heute bis zu 500 000 Euro hin.

Ein großer Sprung zurück ins Rampenlicht gelang 2009 auch einem Pionier der Video- und Filmkunst: Harun Farocki. Der 64-jährige Tscheche, der heute in Berlin lebt, gehörte 2009 gattungsübergreifend zu den fleißigsten Punktesammlern im Art Report, machte auf der letzten Documenta 2007 mit der Medieninstallation „Deep Play“ von sich reden, bei der er das komplette offizielle Filmmaterial seziert, das rund ums Endspiel der Fußball-WM 2006 entstanden war. Farocki arbeitete viele Jahre als Redakteur einer Filmzeitschrift, schreibt bis heute Drehbücher, etwa für Regisseur Christian Petzold. Sieht seinen Platz aber jenseits des Mainstreams. „Ich zeige meine Filme lieber im Museum als im Kino“, sagt er. „Da habe ich mehr Zuschauer.“

Über hohe Aufmerksamkeit konnten sich 2009 auch einige junge Videokünstler freuen – viele haben im Art Report große Sprünge nach vorn gemacht. Unter ihnen die Slowenin Katarina Zdjelar, die ihr Punktekonto um mehr als 400 Prozent steigerte – vor allem bedingt durch ihren Auftritt im Pavillon ihres Heimatlandes auf der Biennale in Venedig. Dort zeigte sie Videos, die sich mit dem Phänomen der Sprache auseinandersetzen. Arbeiten von großer Poesie, denen Museen in Rotterdam und Portugal gerade Zdjelars erste Einzelausstellungen widmen.

Dass Videos bei Museumschefs auch 2010 gern gesehen sind, hat in Zeiten knapper Kassen auch einen banalen Grund: „Eine Ausstellung mit Arbeiten talentierter Videokünstler zu organisieren“, sagt Art-Logistics-Geschäftsführer Schumacher, „kostet viel weniger als eine Bilderschau etablierter Altmeister.“

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