Ausblick Brauchen wir Gewerkschaften?

Patrick Adenauer über den Machtmissbrauch von GDL, Verdi, IG Metall & Co.

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Patrick Adenauer, obs/ASU Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer e.V.

Der Kampf zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und dem Bahn-Vorstand sollte zu grundsätzlichen Betrachtungen des Themas Gewerkschaften Anlass geben. Ein bleibendes Verdienst der Gewerkschaften ist ohne jede Frage ihr Beitrag zur sozialpolitischen Erziehung, Solidarität und Selbstachtung der Arbeiter im 19. Jahrhundert. Dazu gehört besonders der Aufbau freier sozialer Unterstützungswerke: Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Sterbekassen, dazu die Arbeitsvermittlung, Beratungsleistungen und Freizeitangebote. Die Ausgaben für den Bereich „soziale Sicherung“ betrugen damals etwa 60 Prozent ihrer Budgets. Dagegen hatten die Gewerkschaften bis 1914 nur schwache Möglichkeiten, auf die Lohnentwicklung einzuwirken. Es ist ein Mythos, dass ohne sie die Arbeitnehmer an der Produktivitätsentwicklung keinen Anteil gehabt hätten. Reallöhne stiegen sogar nachgewiesenermaßen dort besonders schnell, wo die Gewerkschaften besonders schwach waren. Dann kaprizierten sie sich aber mehr und mehr auf die Regulierung von Löhnen und Arbeitsmarkt, wälzten ihren sozialen Auftrag auf den Staat ab und sprachen sich ein politisches Mandat zu. Es bildeten sich Tarifkartelle auf dem Arbeitsmarkt, die bis heute vom Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ausgenommen sind – mit der voraussehbaren Folge: Wo Kartelle die Preise machen, funktioniert der Markt nicht mehr. Folge: Arbeitslosigkeit. Vor 1914 gab es in Deutschland jahrzehntelang praktisch Vollbeschäftigung (Arbeitslosenquote zwei bis drei Prozent). Gewerkschaften sind heute zu Vetomächten gegen das Allgemeinwohl geworden, mit einem – trotz dramatisch zurückgehendem Organisationsgrad (durchschnittlich derzeit nur noch 20 Prozent) – noch beträchtlichen Schadenspotenzial durch Streiks, ihren Einfluss im Parlament und die sogenannte „Selbstverwaltung“. Ihre Spitzenfunktionäre (namentlich von Verdi und IG Metall) machen sich leider bis heute nicht klar, dass die „Erfolge“ ihrer tarifpolitischen Erpressung nur auf Kosten von Arbeitnehmern und sogar ihrer eigenen Mitglieder gehen können. Man kann nicht auf Dauer die Gewinne der Unternehmer verkleinern, wohl aber wurden als Folge gewerkschaftlicher Hochlohnpolitik die schwächsten Glieder der Kette, untere Lohngruppen, „wegrationalisiert“ oder ins Ausland exportiert. Ein besonderes Kapitel ist das sogenannte Streikrecht, das sogar ein J. M. Keynes als ein „barbarisches Relikt“ bezeichnete. Die Gewerkschaften dürfen bis heute nach herrschender Ansicht durch organisierte Vorenthaltung der geschuldeten Arbeitsleistung Unternehmen ökonomisch in die Knie zwingen. Im Kampf zwischen „Kapital und Arbeit“ setzt sich derjenige durch, der dem anderen länger den Hals zuhalten kann. Schadensersatzpflicht ist nicht üblich. Dagegen ist das frühere prekäre Machtgleichgewicht zwischen Streik und Aussperrung inzwischen weitgehend unwirksam geworden, namentlich durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (1991). Sogar der „Warnstreik“ ist inzwischen mit Duldung dieses Gerichts aus einer Ultima zu einer Prima Ratio geworden. War es nicht gerade sozialer Fortschritt, die Anwendung von Zwang (und manchmal sogar offener Gewalt) durch freie, konsensuelle Verträge zu ersetzen? Im § 253 des Strafgesetzbuches heißt es: „Wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ und: „Der Versuch ist strafbar“. Wieso gilt dies nicht für Streiks? Wirtschaft, Politik und Rechtsprechung sollten darum konsequent auf eine „Zivilisierung“ des Arbeitskampfes drängen, namentlich, wo nur noch Minderheiten organisiert sind. Dies auch, weil die Gefahr volkswirtschaftlicher Schäden durch die Entwicklungen der jüngsten Zeit zugenommen hat (Spartengewerkschaften in Schlüsselstellungen: Piloten, Lokführer et cetera) In der Schweiz, die seit Jahrzehnten Vollbeschäftigung kennt, herrscht tiefer Tariffrieden, ermöglicht durch das Friedensabkommen mit Schlichtungszwang (1937). Felix Helvetia! Eine konstruktive Rolle haben die Gewerkschaften nach Arbeitsmarktreformen auch wieder in Neuseeland und Australien: Die sogenannte Tarifautonomie wurde abgeschafft, das individuelle Arbeitsrecht liberalisiert. Die Gewerkschaften wurden mehr und mehr zu Serviceorganisationen, die ihre Leistungen auf Märkten anbieten. Gewerkschaftsangestellte sind jetzt dort konkurrierende Agenten, die im Auftrag der Kunden auf der Angebots- und Nachfrageseite für Jobs werben. Besonders begehrt ist ihre Fähigkeit der Aushandlung von Arbeitsverträgen, spezialisiert und auf den Nachfrager zugeschnitten. Nur im öffentlichen Dienst sind auch dort die Gewerkschaften noch relativ stark. Ein Schutz gegen Missbrauch von wirtschaftlicher Macht ist auch ihre Nichtzentralisation. Es wäre schon viel gewonnen, wenn es statt zentraler Verhandlungen mit „unabdingbaren“ flächendeckenden Tarifvereinbarungen zu „betrieblichen Bündnissen für Arbeit“ käme. Bei Nichteinigung gilt der Tarifvertrag. Im Übrigen verdient die Wiederaufwertung sozialer Selbsthilfe durch die Gewerkschaften jede Unterstützung. Warum sollen sie nicht zum Beispiel die Arbeitslosenkasse in Nürnberg verwalten – und damit auch für die Folgen von Tarifabschlüssen verantwortlich werden? Darüber hinaus sollten sie ihr politisches Mandat ohne Legitimation aufgeben. Als sozusagen sozialer „ADAC“ in privaten Formen hätten die Gewerkschaften eine Zukunft.

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