Abgas-Manipulationen Daimler steckt immer tiefer im Skandalsumpf

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Pseudo-Abgasreinigung

Die Strafverfolger interessieren sich nun auch verstärkt für den Vito. Sie prüfe, ob sie ihre laufenden Ermittlungen wegen des Verdachts des Betruges und der strafbaren Werbung ausweiten müsse, teilt die Behörde der WirtschaftsWoche auf Anfrage mit.

Die neuen Vorwürfe des Kraftfahrtbundesamts sich nicht nur rechtlich gefährlich für Daimler. Für einen Hersteller, der den Qualitätsanspruch von Gottlieb Daimler „Das Beste oder nichts“ zum Firmen-Slogan gemacht hat, sind schlechte Abgaswerte selbst auch dann gefährlich, wenn sie sich als legal herausstellen sollten. Dass Fahrzeuge mit dem Stern im Normalbetrieb fünf oder sogar zehn Mal mehr Stickoxide ausstoßen, als der Grenzwert im Zulassungstest es vorschreibt, ist in jedem Fall nicht „das Beste“ und angesichts drohender Fahrverbote in Deutschland ein Image-Problem.  

Denn technisch ist das Stickoxidproblem schon lange gelöst. Ausreden für weiterhin schmutzige Autos gibt es nicht. Das weiß kein Hersteller besser als Daimler. Die Stuttgarter gehörten zu den ersten Herstellern, die eine Lösung ersannen: Eine Harnstofflösung sollte in die Abgase eingesprüht werden und gesundheitsschädlichen Stickoxide neutralisieren. 1997 wurde diese Technik öffentlich präsentiert – was aber noch lange nicht heißen sollte, dass Daimler sie auch flächendeckend einsetzte. Erst als das Umweltbundesamt 2003 aufdeckte, dass die Lkw von Daimler und anderer Hersteller nur im Zulassungstest die Schadstoffgrenzwerte schafften, im Normalbetrieb auf der Straße aber weit überschritten, wurde die Harnstofftechnik in Lkw zum Standard. Seither haben die Lastwagen kein Stickoxidproblem mehr.

Nun, so scheint es, wiederholt sich die Geschichte bei den Diesel-Autos. Viele Autos haben die Harnstoff-Reinigung zwar an Bord, sind aber nur in Zulassungstests sauber, nicht auf der Straße. So hat mancher Kompaktwagen hat einen höheren Stickoxid-Ausstoß als ein 40-Tonner. Der Grund ist simpel: Die Pkw sind so konzipiert, dass sie zu wenig der Harnstofflösung einsetzen. Denn anders als in Lkw ist in Autos wenig Platz für Harnstoff-Tanks. Um die kleinen Tanks nicht ständig in der Werkstatt auffüllen lassen zu müssen, was für die Kunden aufwändig und teuer ist, deckelten etliche  Autobauer einfach den Harnstoffverbrauch. Wenn die Autos so fahren wie in Zulassungstests, wird viel Harnstoff benutzt – sie sind sauber. Im Normalbetrieb dagegen bleibt der Harnstoff-Hahn oft zu, der Stickoxidausstoß explodiert förmlich.

Diese Pseudo-Abgasreinigung ist für den Hersteller erheblich günstiger als ein funktionierendes System und vermeidet obendrein ein anderes Problem: das steigender CO2-Emissionen. Denn eine gute Stickoxid-Reinigung lässt den Kraftstoffverbrauch und damit auch der CO 2-Ausstoß steigen. Das wichtigste Verkaufsargument für den Diesel hätte sich damit erledigt: „Der Verbrauchsvorteil hätte zerstört werden können“, sagt Karl Huber, Professor für Verbrennungsmotoren an der Technischen Universität Ingolstadt. „Das wäre eine Katastrophe für die deutschen Autobauer gewesen, die den Diesel stets als Lösung der Klimaprobleme priesen.“ Und vor allem eine Katastrophe für Daimler, hinkten die Stuttgarter beim CO2-Ausstoß der Konkurrenz doch jahrelang hinterher. 

von Martin Seiwert, Christian Schlesiger, Annina Reimann, Cordula Tutt

Volkswagen hat die Harnstoff-Mogeleien zugegeben und wurde dafür von den US-Behörden mit Milliardenstrafen belegt. Daimler dagegen wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, bewusst den Harnstoff gering zu dosieren. Was Daimler entlarven könnte, wäre ein auffällig niedriger Harnstoffverbrauch der Autos. Der wahre Bedarf an der Lösung richtet sich nach dem der verbrauchten Dieselmenge – werden 100 Liter Diesel verfahren, werden für eine funktionierende Reinigung bei modernsten Motoren zwei oder drei, bei älteren Motoren auch vier oder fünf Liter der Harnstofflösung benötigt. Bei Daimler-Fahrzeugen soll der durchschnittliche Verbrauch bei nur rund einem Liter gelegen haben, wie die WirtschaftsWoche aus dem Unternehmen erfuhr, in den USA bei durchschnittlich 1,1 Liter – ein Wert wie bei den manipulierten VW-Fahrzeugen.

„Damit ist es praktisch unmöglich“, sagt Motorenexperte Huber, „die Abgase im Normalbetrieb sauber zu bekommen.“ Auch ein Gutachten im Auftrag der niederländischen Regierung kam zu dem Ergebnis, dass eine getestete Mercedes-C-Klasse nahezu doppelt so viel Harnstofflösung einsetzen müsste, um die Stickoxid-Grenzwerte auf der Straße einzuhalten.

US-Fahnder sollen, so berichtete unlängst die „Bild am Sonntag“ mehrere Manipulationsprogramme auf Mercedes-Fahrzeugen entdeckt haben, die dafür sorgen sollen, dass die Autos bei offiziellen Tests sauber, auf der Straße aber dreckig fahren. So soll etwa das Programm „Slipguard“ Tests erkennen und die Harnstoff-Dosierung beeinflussen. Daimler bestreitet Manipulationen, will sich zu Details der US-Ermittlungen aber nicht äußern.

„Das Beste oder nichts“ - das Beste hat Daimler nicht in seinen Autos verbaut, so viel steht heute fest. Ob auch Illegales dabei war, klären nun die Behörden in USA und Deutschland.

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