Am 3. September soll VW gegenüber den US-Behörden Manipulationen von Abgaswerten bei Dieselwagen eingeräumt haben – nachdem die EPA gedroht hatte, die Zulassung neuer Modelle zu verweigern. Am 18. September machten die Amerikaner dann den Fall öffentlich.
So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern
Der Abgas-Skandal kratzt nicht nur am Image des Volkswagen-Konzerns - er dürfte vor allem sehr teuer werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kosten des Skandals und wie VW sie stemmen könnte.
Quelle: dpa
Darüber rätseln Beobachter derzeit. Bislang bekannt ist: Volkswagen hat 6,5 Milliarden Euro für Kosten aus dem Abgas-Skandal zurückgelegt. Das Geld ist aber wohl in erster Linie für eine technische Umrüstung der Autos mit Manipulations-Software bestimmt, wie Finanzchef Hans Dieter Pötsch laut dem Fachblatt „Automobilwoche“ kürzlich vor VW-Managern erklärte. Unklar ist, welche Strafzahlungen auf VW zukommen. Dazu dürften noch mindestens drei andere mögliche Kostenblöcke kommen: Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen, Anwaltskosten. Wie hoch diese Ausgaben sein werden, lässt sich derzeit nur grob schätzen. Die Landesbank Baden-Württemberg rechnet derzeit mit einem Schaden von 47 Milliarden Euro für den Konzern. Ein möglicher Imageverlust und damit verbunden ein Rückgang der Autoverkäufe ist dabei noch nicht eingerechnet. Allerdings werden die Kosten wohl nicht auf einmal anfallen, sondern sich über Jahre verteilen.
Vergleichsweise viel. VW hat sich in den vergangenen Jahren ein stattliches Kapitalpolster zugelegt. Zur Jahresmitte hatte der Konzern rund 18 Milliarden Euro Bargeld auf dem Konto. Das ist mehr als ganze Dax-Konzerne wie Adidas oder Lufthansa einzeln an der Börse wert sind. „Über den Daumen gepeilt kann VW davon die Hälfte verwenden, um mögliche Kosten zu begleichen“, sagt Nord-LB-Analyst Frank Schwope. Dazu kommen bei VW noch schnell veräußerbare Wertpapiere über 15 Milliarden Euro und Schätzungen zufolge mindestens 5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Beteiligungen am ehemaligen Partner Suzuki und an einer niederländischen Leasingfirma.
Das ist sehr unwahrscheinlich. VW könnte sich über Anleihen und Kredite Geld leihen, auch wenn einige Ratingagenturen ihre Bewertungen der Kreditwürdigkeit des Konzerns zuletzt angepasst hatten. Wenn es irgendwann hart auf hart käme, könnte Volkswagen immer noch sein Tafelsilber verkaufen. Am einfachsten ließen sich wohl die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini aus dem Konzern herausnehmen. Nord-LB-Analyst Schwope schätzt den möglichen Verkaufserlös für die drei Marken und den Motorradhersteller Ducati auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Durch einen Verkauf der Lastwagenbauer MAN und Scania ließen sich nach seinen Berechnungen sogar 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen. Das wertvollste Juwel in der Sammlung, den Sportwagenbauer Porsche, dürften die VW-Anteilseigner kaum abgeben wollen.
Nur begrenzt. Eine Kapitalerhöhung - also die Ausgabe neuer Aktien - ist bei VW nicht so leicht wie in anderen Konzernen. Damit die Familien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Anteilseigner ihre Macht im Konzern nicht verlieren, darf sich deren jeweiliger Anteil an den Stammaktien nicht stark verringern. Vor allem Niedersachsen dürfte aber derzeit kaum ein Interesse daran haben, weitere Stammaktien zu kaufen und Geld in den VW-Konzern zu stecken. VW könnte deshalb wohl höchstens neue Vorzugsaktien ausgeben, das sind Aktien ohne Stimmrecht auf der Hauptversammlung des Konzerns. Laut Aktiengesetz darf die Zahl dieser Vorzugsaktien die Zahl der Stammaktien allerdings nicht übersteigen. VW könnte deshalb höchstens rund 114 Millionen neue Aktien ausgeben und damit auf Basis derzeitiger Kurse rund 11 Milliarden Euro einsammeln.
In der Regel setzen Sparmaßnahmen bei großen Konzernen zuerst bei den Mitarbeitern an: Weniger Gehalt, Einstellungsstopps, bis hin zu Stellenstreichungen und Entlassungen. Bei Volkswagen wäre das allerdings nicht so einfach. Die Arbeitnehmervertreter haben in Wolfsburg deutlich mehr Macht als in anderen Konzernen. Einfacher wäre die Kürzung geplanter Investitionen. Hier hatte Volkswagen angepeilt, bis 2019 eine Summe von mehr als 100 Milliarden Euro in Standorte, Modelle und Technologien zu stecken. Laut Experte Schwope könnte VW hier den Rotstift ansetzen und so 2 Milliarden Euro jährlich sparen, vor allem bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nur: Dann besteht die Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig - die Autoindustrie steht durch Digitalisierung und Elektroantriebe vor einem Umbruch.
Auch zu dem Rückruf gibt es neue Informationen: Wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Kreise des VW-Konzerns und eines Zulieferers berichtet, sind drei Millionen Motoren mit dem 1,6 Liter-Diesel betroffen, weitere 4,5 Millionen entfallen auf den Zwei Liter Diesel. Der Rest des für 2016 angekündigten Rückrufes von 8,5 Millionen Autos entfällt demnach auf die kleineren 1,2 Liter-Motoren. VW wollte sich auf Nachfrage nicht zu den Details des Rückrufes äußern.
Für VW und seine Töchter Audi, Skoda und Seat sind insbesondere die 1,6 Liter Diesel ein Problem. Während die kleineren und größeren Dieselmotoren per Software-Update nachgerüstet werden können, müssen an dem 1,6-Liter-Motor die zu kleinen Stickoxid-Filter durch größere ersetzt werden. Da dieser Motor über die Konzernmarken in unterschiedlichen Konfigurationen eingesetzt wurde, gibt es bislang noch keinen fertigen Plan zur Umrüstung. Daher können die Zulieferer bislang auch nicht mit der Produktion neuer Filter beginnen heißt es in Konzernkreisen. Die Umrüstung wird deshalb auch nicht vor September 2016 beginnen.
Derweil sorgt sich die Konzerntochter Audi um die Restwerte seiner Leasing-Rückläufer mit den betroffenen Motoren. Audi-Händler dürfen auf Kosten des Konzerns seit dieser Woche Autos mit den manipulierten Motoren EA 189 mit verlängerten Garantien, Null-Prozent-Finanzierung und kostenlosen Serviceleistungen auf Kosten des Konzerns anbieten. Audi erklärte auf Anfrage, dass die Maßnahmen zunächst bis Ende Januar 2016 gelten.
Die VW-Mitarbeiter müssen nach Aussage des neuen Konzernchefs Matthias Müller derzeit keine Folgen fürchten. „Im Moment haben wir keinen Anlass, über Kurzarbeit auch nur nachzudenken“, hatte Müller am Mittwoch im Wolfsburger Stammwerk gesagt. Der Abgas-Skandal hat laut Betriebsrat zudem noch nicht auf die Verkäufe durchgeschlagen.
Müllers Vorgänger Martin Winterkorn war wenige Tage nach Bekanntwerden des Skandals zurückgetreten.