Die Gründe für den zeitlichen Versatz zwischen einzelnen Ländern liegen nicht auf der Hand. Einen Zusammenhang mit den Absatzzahlen in dem jeweiligen Land (etwa in wichtigen Absatzmärkten wird der Konfigurator schneller umgestellt als in kleinen Nischenmärkten) konnte BearingPoint nicht beobachten. „Wir gehen davon aus, dass die Umstellung und Kalkulationen für einige Hersteller leichter zu skalieren sind als für andere“, so Loebich. „Den Grund hierfür sehen wir in der IT-Landschaft sowie in internen Prozessen der Fahrzeughersteller.“
Trotz der Unterschiede sind einige Marken weiter als andere. „Zum Zeitpunkt unserer Untersuchung waren unter den analysierten Marken Audi und BMW in ihrer Kundenkommunikation am weitesten fortgeschritten, denn in fast allen analysierten Märkten haben sie ihre Online-Konfiguratoren bereits auf die WLTP-Einführung eingestellt“, sagt der Auto-Experte. Ein Ranking hat BearingPoint bewusst nicht erstellt, unter anderem weil sich zwischen der Erhebung (März bis Mai) und der Veröffentlichung im Juli noch Änderungen ergeben konnten. Die positive Bewertung für die beiden deutschen Premiummarken begründet Loebich mit dem „wesentlich höheren“ Reifegrad als bei anderen Herstellern: Der CO2-Wert passe sich automatisch an, beim abschließenden PDF-Ausdruck einer Konfiguration werde ein fahrzeugindividueller Einzelwert ausgewiesen – einige Hersteller hätten eine solche Funktion noch nicht umgesetzt.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Anders sieht es bei Mercedes aus. Bei der neuen A-Klasse, die erst in diesem Jahr auf den Markt gekommen ist, werden im Online-Konfigurator Normverbrauch und CO2-Ausstoß noch nach dem lascheren NEFZ-Wert ausgewiesen – obwohl die Baureihe bereits die Euro-6d-Temp-Abgasnorm erfüllt und somit nach WLTP zertifiziert wurde. Der noch zulässige NEFZ-Wert ist eben niedriger und macht sich besser im Prospekt. Daimler erhofft sich offenbar mit der niedrigeren Verbrauchsangabe einen Vorteil im Wettbewerb – zulasten der Transparenz für den Kunden, der die NEFZ-Werte kaum mit dem WLTP-Verbrauch eines Konkurrenzprodukts, in diesem Fall etwa ein BMW 1er oder Audi A3, vergleichen kann.
Eine Rolle spielen auch die IT-Systeme der Hersteller. Als Größenordnung sei davon auszugehen, dass die Zahl der möglichen CO2-Konfigurationen von bislang 10 auf ungefähr 10.000 Varianten steigen kann – die Komplexität hängt natürlich von den Konfigurationsmöglichkeiten bei einzelnen Modellen ab. Das heißt nicht direkt, dass man 10.000 unterschiedliche CO2-Werte erhält, diese dennoch je Konfiguration individuell errechnet werden müssen. „Hierdurch entsteht deutlich mehr Kalkulationsaufwand und es wird auch deutlich mehr Rechenleistung benötigt“, sagt Loebich.
WLTP sorgt für ein kleines Modell-Sterben
Dazu kommt noch ein weiterer Punkt, der die Umstellung verzögert. „Die Hersteller sind im Zuge von WLTP derzeit mit vielen verschiedenen Themen konfrontiert, wie zum Beispiel Produktkonfiguration oder Neugestaltung des Pricing – mit der Folge, dass das Thema Kundenkommunikation nicht immer die höchste Priorität hat.“ Viele Autobauer nutzen die WLTP-Umstellung, um in ihrem Modellangebot aufzuräumen: Bestimmte Varianten, die in der Vergangenheit kaum nachgefragt wurden, werden nicht mehr nach dem neuen Zyklus zertifiziert – und dürfen somit ab September nicht mehr verkauft werden.
Bei Volkswagen heißt das beispielsweise: Alles, was unter zwei Prozent Bestellvolumen aufweist, wird mit dem Ende des Modelljahres 2018 im Sommer nicht auf WLTP umgestellt und verschwindet aus dem Prospekt. „In vielen Fällen bleiben ähnliche Varianten im Angebot“, sagte ein VW-Sprecher. So fällt etwa der legendäre Golf GTI weg, weil sich die meisten Kunden ohnehin für die minimal stärkere „GTI Performance“-Version entscheiden. Beim Passat mit dem kleinen 1,6-Liter-Diesel (120 PS) entfallen die bislang noch erhältlichen Varianten ohne AdBlue-Abgassystem.
Zu lange aufschieben können die Autobauer den Wechsel aber nicht. „Die Information der Kunden über WLTP ist von entscheidender Bedeutung, und die Automobilhersteller können sich der Umsetzung nicht entziehen“, sagt Loebich. Der Fahrplan ist klar: Im Juli 2017 beschloss die EU, WLTP umzusetzen. Ab September 2018 müssen alle in Europa neu verkauften und zugelassenen Pkw anhand von WLTP getestet sein. Ab Januar 2019 empfiehlt die EU den Automobilherstellern, die Kundenkommunikation komplett umzustellen und im Januar 2020 wird das konzipierte Verfahren den alten NEFZ-Test-Zyklus dann vollständig ablösen. Spätestens dann gibt es keine Ausreden mehr.