Wann hat ein Autobauer betrogen? Wenn in Volkswagen-Manier eine Software eingesetzt wird, um die Messungen auf den Abgas-Prüfständen auszutricksen? Oder ist es bereits in Betrug am Kunden, wenn das Auto auf der Straße mehr Schadstoffe ausstößt als im Prospekt (und der behördlichen Zulassung) angegeben?
Auf diese Frage sucht man in der Pariser Konzernzentrale von Renault derzeit dringen nach einer Antwort. In der vergangenen Woche war bekanntgeworden, dass Diesel-Modelle von Renault und mehrerer nicht-französischer Marken in einer Stichprobe die Normen für CO2 und Stickoxid überschritten hatten. Die Zufalls-Tests hatte die französische Regierung nach dem VW-Abgas-Skandal angeordnet. Anders als bei Volkswagen wurde bei Renault aber keine Software zur Manipulation der Werte gefunden. Wurde also betrogen oder nicht?
Renault selbst übt sich zunächst in Zurückhaltung. „Unter den Testbedingungen des Genehmigungsverfahrens erfüllen unsere Fahrzeuge die Abgasnormen“, betonte Verkaufschef Thierry Koskas bei der Vorlage der Jahreszahlen am Montag. Bei den Emissionen im realen Straßenverkehr gebe es aber Unterschiede zu den im Testverfahren gemessenen Werten. „Wir sind uns dessen sehr bewusst“, sagte Koskas. „Wir sind natürlich nicht der einzige Hersteller, der dieses Thema hat.“ Dennoch will Renault „in den kommenden Wochen “ einen Plan vorlegen, wie man die Emissionen reduzieren will.
Kurssturz erschwert Staats-Ausstieg
Die Lösung könnte denkbar einfach sein: Mehr in die Nachbehandlung der Abgase investieren. Im Gegensatz zum französischen Konkurrenten PSA (mit den Marken Peugeot und Citroën) hat Renault bislang an der teuren Technik zur Säuberung der Abgase gespart. Allein den Rückstand aufzuholen wird teuer – von eventuellen Rückrufen, Schadenersatz- und Strafzahlungen ganz zu schweigen.
Schweigen scheint auch das Gebot der Stunde für Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn zu sein. Der umtriebige Manager, sonst immer für einen markanten Spruch zu haben, hält sich seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe öffentlich zurück. Statt dem Konzernchef sprangen Umweltministerin Ségolène Royal und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron Renault zur Seite. Auch die Jahreszahlen, zu denen eigentlich ein Auftritt von Ghosn erwartet worden war, trug Verkaufschef Koskas vor.
Ghosn Schweigen wirft Rätsel auf – selbst einen Kommentar, man müsse vor einer Äußerung erst den Sachverhalt genauer klären, gab es bislang nicht. Damit umschifft Ghosn zwar Kommunikationspannen wie bei Volkswagen und Audi, wo sich die Chefs ihre eigenen Aussagen teils mehrfach revidieren mussten. Er lässt Mitarbeiter, Kunden und Anleger aber im Unklaren – besonders bei letztgenannten kommt das gar nicht gut an.
Während viele Folgen der Vorwürfe noch nicht absehbar sind, gibt es an den Börsen bereits handfeste Auswirkungen. Der schwere Kurssturz sorgte nicht nur für einen Wertverlust von zwischenzeitlich fünf Milliarden Euro, sondern erschwert auch den geplanten Teil-Ausstieg des französischen Staats.
Im April hatte die Regierung in einem Machtkampf zwischen Wirtschaftsminister Macron und Renault-Chef Ghosn ihren Anteil von 15 auf 19,7 Prozent erhöht – und sich so nach einem neuen Gesetz doppelte Stimmrechte gesichert. Um den Machtkampf zu entschärfen, erklärte Macron im Juli, die 4,7 Prozent wieder zu verkaufen – was aber bis heute nicht geschehen ist. Im November sagte er, der Staat sei nicht bereit, den Anteil mit Verlust zu verkaufen. Im Zuge des schweren Kurseinbruchs vom vergangenen Donnerstag hat der Staat jedoch zumindest auf dem Papier bis zu 1,16 Milliarden Euro verloren. Ein schneller Verkauf der Anteile ist damit nicht wahrscheinlicher geworden.
Die Regierung befürchtet nach einer Reorganisation, ihren Einfluss auf Renault zu verlieren. Der Fahrzeughersteller wurde 1898 gegründet und 1945 mit der Begründung verstaatlicht, das Unternehmen habe Lkw für die deutschen Besatzungstruppen in Frankreich gebaut. Ab 1990 wurden Aktien nach und nach an Privatinvestoren verkauft. Bereits unter dem Vorgänger des derzeitigen Staatspräsidenten Francois Hollande, Nicolas Sarkozy, stand Renault unter Beschuss seitens der Politik, weil der Konzern angeblich zu stark im Ausland investiere, auch im Vergleich zum inländischen Konkurrenten Peugeot.