Abgasskandal Vorsprung durch Technik, nicht durch Betrug

Neues Denken und neues Handeln sind für die Automobilindustrie unausweichlich. Die deutschen Automobilhersteller müssen ernsthafte Lösungen für die Mega-Aufgaben Luftreinhaltung und Klimaschutz finden. Sie dürfen sich nicht auf ihrer Größe ausruhen oder diese gar missbrauchen.

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Diesel-Schriftzug auf einem Porsche Cayenne Quelle: dpa

Auch deutsche Premiumhersteller stehen nicht über Recht und Gesetz. Wollen sie ihrem Ruf auch zukünftig gerecht werden, müssen sie auch beim Umweltschutz „Vorsprung durch Technik“ und nicht durch Betrug erreichen. Wenn sie das nicht tun, droht die deutsche Schlüsselindustrie im Wettbewerb um zukunftsfähige Autos abgehängt zu werden.

Die Politik darf nicht länger zusehen, wie die Autoindustrie ihr auf der Nase herumtanzt. Die Geschichte zeigt uns, dass notwendige Veränderungen in der Automobilindustrie nicht ohne gesetzlichen Druck geschehen. Die Industrie hat von der Politik stets eine schwache Aufsicht gefordert und bekommen. Und die Politik hat dann auch noch zugesehen, wie diese Schwächen ausgenutzt wurden.

Wo die Auslegung der gesetzlichen Regeln endet und Betrug anfängt, darüber zu streiten ist den Strategen der Automobilindustrie und ihren Anwälten bisher wichtiger als Zukunftsfähigkeit und gesellschaftliche Verantwortung. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Dieselskandal.

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Sie lehrt uns, dass die Politik für strengere Regeln und eine starke Aufsicht sorgen muss.

Mit Hilfe des fadenscheinigen Arguments des Motorenschutzes haben VW, Audi, Porsche, Daimler und Opel über Jahre europäische Gesetzgebung bewusst falsch ausgelegt und ihre Autos so manipuliert, dass die Abgase auf der Straße um vieles dreckiger sind als im Labor. Die Liste der angewendeten Abschalteinrichtungen wird immer noch länger. Thermofenster also das Herunterregeln der Abgasnachbehandlung in bestimmten Temperaturbereichen ist nur eine von vielen Maßnahmen, die die EU-Gesetzgebung ad absurdum führen. Und es macht es nicht besser, dass nicht nur deutsche Autobauer so vorgingen. Es macht es für Gesundheit, Umwelt und Klima schlimmer.

Die Vorwürfe haben es in sich: Die Wiener Staatsanwaltschaft ermittelt gegen VW und Bosch wegen schweren Betrugs, Abgabenhinterziehung und vorsätzlicher Umweltverschmutzung – ein einmaliger Vorgang in der Alpen-Republik.
von Hans-Peter Siebenhaar

Fast alle Hersteller haben die Abgasnachbehandlung in ihren Fahrzeugen heruntergeregelt. Das zeigen die von Verkehrsminister Dobrindt in Auftrag gegebenen Untersuchungen deutlich. Konsequenzen lassen auf sich warten. Über die freiwilligen Rückrufaktionen hinaus ist nicht viel passiert. Dabei ist es in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten, die Einhaltung der EU-Abgasgesetzgebung zu überwachen, durchzusetzen und bei Nichteinhaltung entsprechend zu sanktionieren. 

Die EU Kommission hat deshalb Recht, wenn sie bei der Bundesregierung nachfragt, warum sie bisher keinerlei Strafen verhängt hat. Für die Zukunft aber brauchen wir nicht nur eine ambitionierte EU-Gesetzgebung, sondern auch bessere Testverfahren und eine wirklich unabhängige Aufsichtsbehörde zur Kontrolle der Umsetzung von europäischer Regulierung in den Mitgliedsstaaten.

Schwächen des Prüfsystems ausgenutzt

Das gilt nicht nur für Schadstoffe, sondern auch für Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen. Auch innerhalb der bisher geltenden CO2-Regulierung haben die Automobilhersteller die Schwächen des Prüfsystems in bekannter Unverschämtheit ausgenutzt. Der tatsächliche Spritverbrauch der Fahrzeuge liegt deutlich über dem vom Hersteller angegebenen Wert. Wenn heute Fahr- und Verkaufsverbote unausweichlich scheinen für Gesundheits- und Klimaschutz, dann ist das das Ergebnis der bisherigen Ignoranz der Automobilindustrie.

Im Herbst 2017 wird die EU Kommission die CO2 Grenzwertregeln für PKW und leichte Nutzfahrzeuge fortschreiben. Um den Wandel zu sauberen und effizienten Fahrzeugen zu beschleunigen, brauchen wir ehrgeizige Ziele für die Dekarbonisierung sowohl für 2025 als auch 2030. Die CO2-Regulierung muss zudem um Grenzwerte für LKW erweitert werden. Ebenso müssen Elektrofahrzeuge Vorgaben zu Effizienzsteigerungen unterliegen, welche Herstellung und Recyclingmöglichkeiten der Fahrzeuge in den Blick nehmen.

In der EU wird im Herbst ein weltweit harmonisiertes Testverfahren für Kraftstoffverbrauch und CO2-Monitoring eingeführt.  Mit der Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure, kurz WLTP, werden zwar einige Schwachstellen angegangen, doch nicht komplett behoben. Es ist zu befürchten, dass die Hersteller mit der Zeit die Schlupflöcher auch dieses Tests kennen und ausnutzen werden. Wir brauchen deshalb auch für die Durchsetzung der CO2-Gesetzgebung stärkere und nachvollziehbare Kontrollen und langfristig Straßentests auch für CO2-Emissionen.

Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie mit ihren Zulieferern muss in unserem Interesse sein, jedoch auf der Basis sauberer und klimafreundlicher Fahrzeuge. Klare Vorgaben und starke Behörden müssen für den notwendigen Umbau den Rahmen schaffen. Auch wenn Dobrindts Untersuchungen gezeigt haben, dass Euro6 Diesel sauber sein können, sind Absatzhilfen für neuere Dieselautos der falsche Weg. Sie führen uns weg von den Umwälzungen, die in der Autoindustrie und der Verkehrspolitik kommen müssen. Zu entscheiden, ab wann und wie der Umstieg auf Elektrofahrzeuge möglich ist, muss zwischen Politik, Industrie und auch Gewerkschaften geklärt werden.

Allerdings darf die Politik nicht zulassen, dass nach den Jahren des Betrugs und der Trickserei unverzichtbare Innovationen für Klima und Gesundheit auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werden.

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