Abtritt von Aldo Kamper Führungschaos trifft Autozulieferer Leoni zur Unzeit

Der in Nürnberg ansässige Zulieferer Leoni produziert Drähte, Kabel und Bordnetz-Systeme. Quelle: Leoni AG

Seit Jahren steckt Leoni in der Dauerkrise. Nun verliert der Nürnberger Automobilzulieferer überraschend seinen CEO – gerade in einer besonders kritischen Phase. Die Nachfolgersuche dürfte nicht einfach werden.

  • Teilen per:
  • Teilen per:


Eine so weite Reise war dem Vorstand die Angelegenheit dann doch nicht wert. Leoni feiere zwar die Erweiterung seines Werks in Cuauhtémoc im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua, teilte der Automobilzulieferer Ende Januar mit. 40 Prozent mehr Fläche zur Herstellung von Hightech-Bordnetzen und mindestens 30 neue Arbeitsplätze in allen Ehren. Aber den Empfang von Gouverneurin, Wirtschafts-Staatsekretärin und lokalen Politgrößen musste der Präsident der örtlichen Unternehmenstochter, Bill Livengood, allein übernehmen.

In der Zentrale von Leoni in Nürnberg hatten sie zu diesem Zeitpunkt andere Sorgen: Erst wenige Tage zuvor hatte der Aufsichtsrat den erfahrenen Sanierer Hans-Joachim Ziems in den Vorstand berufen, um kurzfristig einen völlig neuen Finanzplan aufzustellen. Im Dezember hatte ein geplatzter Verkauf der Kabelsparte nach Thailand alle zuvor für gültig erachteten Kalkulationen zunichte gemacht. Es seien jetzt „ein paar besondere Monate“, die auf Leoni zukämen, hieß es reichlich euphemistisch aus dem Aufsichtsrat.

Ziems sollte es jetzt als Chief Restructuring Officer (CRO) richten, mal wieder. Er hatte den seit Jahren finanziell angeschlagenen Zulieferer schon 2020, im Zuge der Coronakrise, aus einer misslichen Lage befreit. Seinerzeit hatte Ziems eng mit Leoni-CEO Aldo Kamper zusammengearbeitet, auch jetzt sollte er diesen „mit seinem Know-how unmittelbar unterstützen“, hieß es noch vorletzte Woche von Leoni. Am Montag musste der Konzern verkünden, dass Kamper selbst Leoni zum 1. April verlassen wird.

Sein Abtritt könnte kaum mehr zur Unzeit kommen. Umso mehr, weil er den Konzern offenbar überraschend trifft. Geschasst nämlich wurde Kamper bei Leoni keinesfalls. Im Gegenteil: Bei Leoni wird man den bewährten „Krisenmanager“ vermissen, teilte Klaus Rinnerberger, Vorsitzender des Aufsichtsrates, Anfang der Woche mit.

Kamper bekam ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte – von AMS-Osram

Der 52-jährige Niederländer erhielt kurzfristig ein Konkurrenzangebot, das er auch aus persönlicher Verbundenheit kaum ausschlagen konnte. Noch am Tag von Kampers Abtrittsverkündung bei Leoni gab der Technologiekonzern AMS-Osram bekannt, dass der bisherige Chef Alexander Everke den Konzern zum April verlässt – und dass Kamper ihm nachfolgen wird. „Da konnte ich nicht Nein sagen“, sagt der scheidende Leoni-Chef. Der Wechsel auf den Chefposten des Halbleiterkonzerns sei „die konsequente Fortsetzung“ seiner beruflichen Laufbahn. Kamper hatte 22 Jahre bei Osram verbracht, bevor er 2018 seinerseits von Leoni abgeworben wurde. 2020 war der Lichttechnikhersteller von der kleineren AMS aus Österreich übernommen worden.

Nach über vier Jahren an der Unternehmensspitze wird Aldo Kamper Leoni zum April verlassen. Quelle: Leoni AG

Dennoch: Für Kamper sei das Angebot auch so eine glückliche Fügung gewesen, meint ein Leoni-Kenner, der nicht namentlich genannt werden will.

„Leoni steht immer mit einem Fuß in der Insolvenz“

Der CEO Kamper habe zwar die Restrukturierung bei Leoni angestoßen, aber seine Ziele nicht erreicht. „Als Restrukturierer wird er draußen nicht wahrgenommen.“ Wenngleich die Banken vorerst die Kreditlinien aufrecht erhielten: „Leoni steht immer mit einem Fuß in der Insolvenz.“

Tatsächlich steckt der Autozulieferer, der rund 96.000 Mitarbeiter beschäftigt, seit Jahren in der Dauerkrise. Gewinn erwirtschaftete er zuletzt vor fünf Jahren, seitdem folgt Hiobsbotschaft auf Hiobsbotschaft und Rettungsaktion auf Rettungsaktion – während Schulden und Verluste aller Restrukturierungen zum Trotz immer weiter wachsen. Dass die Leoni-Aktie im DWS-Ranking der größten „Kapitalvernichter“ des Jahres auftaucht, war in den vergangenen Jahren eine sichere Bank. Einmal im Jahr veröffentlicht Deutschlands größte Aktionärsvereinigung seine Liste der 50 Aktien, die Anlegern im vorausgegangenen Jahr die tiefsten Löcher ins Depot rissen – Leonie schaffte es zuletzt drei Jahre in Folge in die Top 10. Es gibt schmeichelhaftere Auszeichnungen.

Zumindest seit 2020 sind die Ursachen für die missliche Firmenlage leicht auszumachen: Erst kam die Coronakrise, dann die Lieferkrise. „Im zweiten Halbjahr war die Versorgungskrise so gravierend, dass es zu Produktionsstopps in der Automobilindustrie und damit zu stark schwankenden und verringerten Abrufen bei Leoni kam“, teilte Leoni in seinem Geschäftsbericht für 2021 mit. Dann, gerade als sich die Covid-19-Pandemie abflachte und der Zulieferer eine „deutliche Nachfragebelebung im Automobil- und Industriebereich“ zu spüren wähnte, kam der Ukrainekrieg. Leoni produziert auch in der Ukraine, musste dort zu Kriegsbeginn Stillstände hinnehmen, dann Teile der Produktionsstätten auslagern – und kann deshalb bis heute nicht mehr das früher gewohnte Volumen herstellen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%