In manchen Autos gibt der Fahrer die Suche nach dem besten Weg bereits frustriert auf, bevor die Fahrt überhaupt begonnen hat: Ein lästiges Tippen auf dem Touchscreen, ein wildes Drücken und Drehen diverser Knöpfe oder ein Sprachbefehl, der falsch oder gar nicht verstanden wird. Das Einstellen des Navis wird oft zur Herausforderung, gerade wenn es mal schnell gehen muss. In mehr als 400 Fahrzeug-Modellen von Herstellern wie Audi bis Opel funktioniert das deutlich bequemer. Android-Smartphone per USB-Kabel mit dem Fahrzeug verbinden und der Google-Spracherkennung mitteilen, wohin es gehen soll. Auf dem Auto-Bildschirm öffnet sich das vom Smartphone bekannte Google Maps und los geht’s.
Google drängt immer stärker in alle Fahrzeugklassen von Cabrio bis SUV und macht damit den herkömmlichen Betriebssystemen Konkurrenz. Wirklich wehren können sich die Autohersteller dagegen nicht. Denn eine gleichwertige Software inklusive Sprachassistenten zu programmieren, ist aufwändig und teuer. Mercedes, BMW oder VW tüfteln zwar an eigenen Lösungen, müssen aber prüfen, wie lange sie noch darauf setzen wollen. Sie würden bei den Investitionen sparen, wenn sie Google das Feld überlassen würden.
Googles Softwarelösung nennt sich Android Auto und ist eine Weiterentwicklung vom Smartphone-Betriebssystem Android. Nur eben fürs Auto. Dabei werden die Apps, die der Nutzer vom Smartphone bereits kennt auf den Fahrzeugbildschirm übertragen. Google Maps, Musik-Streaming oder Anrufe – alles kann der Fahrer über das Fahrzeug steuern. Neu bei Android-Auto ist der „Google Assistant“. Googles intelligenter Sprachassistent, den Android-Nutzer auch schon vom Smartphone kennen. Dieser wird nun nach und nach in Android Auto integriert.
Viele Autohersteller bieten neben dem eigenen Betriebssystem bereits Android Auto als Alternative an. Der Fahrer kann zwischen den Betriebssystemen wählen. Das war für viele Hersteller bislang kein Problem, denn Android Auto spiegelte lediglich Smartphone-Anwendungen auf das Display des Autos. Die Einführung von Googles Sprachassistenten stellt allerdings eine neue Dimension dar. Denn dadurch würden die Autobauer die so wichtige Schnittstelle zum Kunden verlieren. Die Befehle der Kunden werden in die Google-Cloud geladen und analysiert. Google lernt den Fahrer dank der Befehle und Fragen immer besser kennen. Ein Werkstattermin wird möglicherweise nicht mehr über den Hersteller selbst vereinbart, sondern das übernimmt der Google Assistant und wählt selbständig eine möglicherweise herstellerunabhängige Werkstatt. Das kann nicht im Interesse der Autobauer sein, denn die Kundenbindung könnte verloren gehen.
Daimler setzt auf eine eigene Lösung
Und deshalb wehren sie sich dagegen – mit eigenen Lösungen. Daimler hat einen Sprachassistenten entwickelt, der das Betriebssystem der Mercedes-Fahrzeuge erweitert und auf Fragen und Kommandos reagiert, sobald der Fahrer ihn mit „Hey Mercedes“ anspricht. Bislang gibt es den Sprachassistenten seit diesem Jahr nur in der neuen Mercedes A-Klasse. Weitere Modelle sollen aber folgen.
In ganzen 27 Mercedes Modellen von A-Klasse bis S-Klasse kann der Fahrer hingegen Android Auto als Software nutzen, die hört aber nicht auf Mercedes eigenes Schlüsselwort. Nutzer der schwäbischen Software können nach einem Kommando wie „Hey Mercedes, mir ist kalt“ spüren, wie das System die Temperatur erhöht. Der Fahrer kann auch nach Fahrzeuginfos wie dem Ölstand oder Reifendruck fragen.
„Mit unserem Sprachassistenten können die Kunden das Fahrzeugsystem bedienen. Diese Hoheit werden wir nicht an ein anderes Unternehmen abgeben“, erklärt Benjamin Oberkersch, Sprecher für Digitalisierung und IT bei Daimler. Eine Kooperation mit Google wolle man in diesem Bereich derzeit nicht eingehen.
Die Arbeit, die in den eigenen Sprachassistenten investiert wurde, hätte sich Daimler mit einer solchen Kooperation allerdings sparen können. „Natürlich könnte der Google Assistant alle Funktionen von ‚Hey Mercedes‘ auch bieten“, sagt Gabriel Seiberth, Automobilexperte der Unternehmensberatung Accenture. Wenn man Google dazu nur die Möglichkeit geben würde. Stattdessen verlässt sich Mercedes auf den eigenen Sprachassistenten. „Allerdings ist das ein ungleiches Rennen, denn die digitalen Player haben mehr Daten und Nutzer und damit die besseren Voraussetzungen“, erklärt Seiberth.
Googles Erfolg ist vorprogrammiert
Android ist das Betriebssystem von 2,7 Milliarden Smartphones weltweit und Google dadurch mit großem Abstand Marktführer. Mehr als eine Milliarde Menschen nutzen Google Maps, viele davon bereits im Auto als Alternative zum Navi. Der Google Assistant wird auf mehr als 100 Millionen Smartphones verwendet. Die Nutzer kennen das System also bereits. „Der Schritt ins Auto dürfte deshalb kein großer mehr sein“, sagt Unternehmensberater Seiberth.
Und das System kennt andersherum auch die Nutzer. Sei es durch das jahrelange Datensammeln über das Smartphone oder den Google Assistant, der mit jeder Frage dazulernt und mehr über den Nutzer erfährt. „Dass die Digitalkonzerne in großem Umfang die Daten der Kunden verarbeiten, ist den meisten Nutzern ohnehin klar. Für eine bessere und personalisierte Infotainment-Lösung nehmen sie das in Kauf. Ich gehe davon aus, dass das auch im Fahrzeug so sein wird“, sagt Seiberth.
Der Erfolg von Google im Auto scheint nicht aufzuhalten zu sein. BMW ist einer der wenigen Hersteller, die auf Android Auto verzichten. Stattdessen hat BMW, ähnlich wie Konkurrent Daimler, einen eigenen Sprachassistenten entwickelt, der ab 2019 auf den Zuruf „Hey BMW“ reagieren soll und ebenfalls Fahrzeugfunktionen, etwa die Temperatur, steuern soll. Zusätzlich können BMW-Fahrer auch mit der schärfsten Konkurrentin vom Google Assistant sprechen: Amazons Alexa.
Was Sie schon immer einmal von Alexa wissen wollten…
Nehmen wir an, Sie bekommen keine Orwell´schen Albträume davon, sich ein Mikrofon in die Wohnung zu holen und kaufen sich einen Amazon Echo. Sie haben das Gerät ausgepackt und wollen starten. Werkseitig eingestellt ist das „Wecksignal“ für Alexa – „Alexa“. Erst wenn sie dieses Zauberwort ausgesprochen haben, können Sie starten.
Zusatzinfo für Star-Trek-Fans: Man kann dieses „Weckwort“ ändern – neben „Echo“ und „Amazon“ geht auch „Computer“ – der Begriff, den auch Captain Picard benutzte, wenn er den Bordcomputer der Enterprise bedienen wollte. Dieser soll als Vorbild für Alexa gedient haben.
Alexa verfügt, wie etwa Microsoft Windows, über verschiedene Nutzerkonten (Haushaltsprofile) beziehungsweise –Profile. Das macht durchaus Sinn, etwa bei nutzerspezifischen Vorlieben wie etwa Musik: Wenn Sie gerne Verdi, Ihre Tochter aber lieber Heavy Metal hören (Alexa greift auf Ihre Amazon-Music-Dateien oder, mit dem entsprechenden Skill, etwa auch auf Spotify zu), oder Sie und ihr Partner einen völlig unterschiedlichen Literaturgeschmack haben (Alexa verwaltet auch Ihre Hörbücher). Da der Nutzer über Alexa auch bei Amazon einkaufen kann, können außerdem mehrere Amazon-Profile hinterlegt werden, damit etwa das neue Kollegah-Album Ihres Sohnes nicht über Ihr Konto abgerechnet wird. Sie können Alexa fragen: „Welches Profil ist das?“ oder ihr den Befehl geben, die Konten zu wechseln: „Wechsle die Konten.“
A propos Musik: Hier liegt eine der großen Stärken von Alexa. Sie können die Musikwiedergabe steuern: „Alexa, Wiedergabe.“, „Stopp.“, „Zurück.“, „Pause“, „Weiter.“ (und so weiter). Aber auch raffiniertere Fragen kann Alexa beantworten: Zum Beispiel „Alexa, was läuft gerade?“, „Mach lauter“, „Mach leiser“ oder „Alexa, stelle einen Sleeptimer in 20 Minuten.“
Alexa hat Zugriff auf Amazon Prime Music, auch hierfür gibt es Befehle: „Spiele etwas Prime Music zur Entspannung.“, oder „Spiele Prime Music zum Tanzen.“ Nicht nur Musikstimmungen erkennt Alexa, auch Musikgenres können gezielt angesteuert werden: „Spiele Jazz von Prime Music.“ Alexa hat allerdings nicht nur Zugriff auf Prime Music, auch Internetradiosender und Musikstreamingdienst Spotify können angesteuert werden: „Spiele ‚Pop‘ von Spotify.“
Auch Hörbücher - von Audible - kann Alexa abspielen: „Spiele das Hörbuch ab.“, „Nächstes / Vorheriges Kapitel.“, „Gehe zu Kapitel 3.“, „Mein Hörbuch fortsetzen.“
Für deutsche Echo-Käufer unter den vielen Sportligen, zu denen Alexa Infos bereithält, wohl besonders interessant: die Bundesliga. Zulässig sind hier Fragen wie „Wie ist das Spielergebnis von Schalke gegen Dortmund?“, „Wie steht es gerade bei ‚Mönchengladbach gegen den HSV‘?“, „Hat RB Leipzig gewonnen?“
Wenn Sie Alexa verraten, wo Sie arbeiten und wie Sie normalerweise dort hinkommen, hilft sie Ihnen, pünktlich da zu sein. Dann können Sie das Programm nämlich fragen: „Wie ist der Verkehr?“. Wenn Alexa Stau auf Ihrer Strecke meldet, können Sie den dann einfach umfahren – oder auf Bus und Bahn umsteigen – natürlich erst, nachdem Sie Alexa vorher mit dem passenden Skill nach der günstigsten Fahrplanverbindung gefragt haben.
Wenn Sie entschieden haben, dass Sie eigentlich heute doch viel lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren wollen, fragen Sie Alexa einfach nach dem Wetter: „Wie ist das Wetter in fünf Stunden?“. Natürlich funktioniert die Vorhersage nicht nur für den gleichen Tag: “Wird es morgen schneien?“, „Wie ist das Wetter in Köln?“ oder „Wird es am Sonntag regnen?“ funktionieren auch.
Auch über die neuesten Nachrichten kann Alexa Sie informieren – etwa via „Was gibt es Neues?“ oder „Was ist in den Nachrichten“? Wem das nicht reicht, der kann Alexas Informationsquelle über die Skills verschiedener Medien auch personalisieren.
Gut, Sie sind jetzt über die Nachrichtenlage gebrieft, wissen, wie Sie am besten zur Arbeit kommen und ob Sie Gummistiefel anziehen müssen, weil es regnet. Passende Musik oder ein Hörbuch haben Sie für den Arbeitsweg auch dabei. Aber was steht heute eigentlich alles an? Fragen Sie doch Alexa! „Alexa, was steht in meinem Kalender?“, „Alexa, füge meinem Kalender „Einkaufen“ für Freitag, den 17. Februar um 18:00 Uhr hinzu.“
Auch beim Einkaufen kann Alexa Ihnen helfen. Sie fährt zwar nicht für Sie zu Rewe (oder Edeka), aber Sie können mit ihr eine Einkaufsliste erstellen, diese ergänzen oder Dinge daraus streichen: „Füge ‚Wein‘ zur Einkaufsliste hinzu.“ Und natürlich können Sie Alexa fragen, was Sie sich notiert haben: „Was steht auf meiner Einkaufsliste?“ Auch andere Aufgaben hält Alexa für Sie fest – etwa, dass Sie Ihrer Frau noch einen Blumenstrauß zum Hochzeitstag besorgen sollten. In dem Fall wäre es allerdings gut, wenn Sie die Kontenverwaltung bereits beherrschen – sonst setzen Sie das nämlich noch aus Versehen auf die Aufgabenliste Ihrer Frau.
Gut, dass Sie an den Hochzeitstag gedacht haben – oder Alexa gebeten haben, Ihnen das heutige Datum zu nennen („Wie lautet das Datum?“). Das kann sie nämlich auch, genauso, wie Sie um eine bestimmte Uhrzeit zu wecken („Stelle den Wecker auf 06:00 Uhr.“), dabei zwischen Wochenende und Arbeitswoche zu unterscheiden („Stelle den Wochenendwecker auf 9:00 Uhr.“), und Ihnen mitzuteilen, auf wie viel Uhr Sie den Wecker gestellt haben („Für welche Uhrzeit ist mein Wecker gestellt?“.
Um beim Hochzeitstag zu bleiben: Wie wäre es abends mit etwas romantischer Stimmung? Alexa kann – vorausgesetzt, sie ist mit anderen intelligenten Geräten in Ihrem Haushalt vernetzt – zum Beispiel das Licht dimmen („Dimme das Licht im Esszimmer auf 50 Prozent“), die Kaffeemaschine einschalten („Schalte die Kaffeemaschine ein.“) oder die Temperatur in der Diele senken („Stelle die Dielentemperatur auf 18 Grad“)
Wenig überraschend: Mit Alexa können Sie auch einkaufen – ich erspare Ihnen jetzt die Fortführung mit dem Hochzeitstags-Beispiel und Schmuck für Ihre Frau. Wobei – es passt gerade so schön: Sie haben also etwas Hübsches gefunden. Sagen Sie Alexa einfach „Füge Diamantcollier zu meinem Einkaufswagen hinzu“ und „bestelle“.
Alexa kann noch viel mehr als Nachrichten vorlesen oder Einkäufe bei Amazon tätigen: Man kann ihr Wissensfragen stellen, die sie dann prompt nachschlägt. Frei nach dem Motto: „Man muss nicht alles wissen, man muss nur wissen, wie man Alexa danach fragt“. Beispielfragen wäre etwa: „Alexa, warum ist der Himmel blau?“, „Alexa, wie hoch ist die Zugspitze?“, „Alexa, was ist die Hauptstadt von Australien?“, „Alexa, wie weit ist es von hier bis Wien?“, „Alexa, was ist die Definition von paradox?“, „Alexa, wann geht heute die Sonne auf?“, „Alexa, was ist der neueste Film von Quentin Tarantino?“, „Alexa, was ist die IMDb-Bewertung für Jupiter Ascending?“
„Mit Amazons Alexa integriert BMW einen Sprachassistenten mit rund 40.000 Skills, der eine große Menge an Fähigkeiten im Bereich Shopping, Smarthome, Musik, Infotainment oder Allgemeinwissen bietet“, sagt Dieter May, Senior Vice President Digital Services und Products bei BMW.
Ganz ohne eine Kooperation mit einem der riesigen IT-Unternehmen geht es also offenbar nicht. Im direkten Vergleich liegt Google deutlich vorne: Amazon bietet als Auto-Lösung lediglich Alexa als Sprachassistenten an. Google bereits ein ganzheitliches Betriebssystem inklusive diverser eigener Apps. Der Sprachassistent ist nur ein kleiner Teil von Android Auto.
Wie wäre es mit einer gemeinsamen Initiative?
2015 kauften Daimler, BMW und VW den Kartendienst HERE, um gemeinsam beliebten Diensten wie Google Maps Paroli zu bieten. Auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt gibt es Kooperationen zwischen den deutschen Autoherstellern. Warum also nicht ein gemeinsames Betriebssystem inklusive Sprachassistenten entwickeln und Google etwas entgegensetzen?
Unternehmensberater Seiberth wundert es, dass sich die Autobauer noch nicht zusammengeschlossen haben. „An einem gemeinsamen Sprachassistenten hätten die Autohersteller sicherlich ein Interesse, weil sie so möglichst nah am Kunden bleiben würden.“ Viele Autohersteller hätten den Trend der Sprachassistenten zwar erkannt, drohen aber dennoch abgehängt zu werden, sagt Seiberth. Eine gemeinsame Initiative könnte dem entgegenwirken.
Allerdings: „Bei den Fahrzeugen verschiedener Hersteller unterscheidet sich die Elektrik- und Elektronikarchitektur stark. Deshalb ist es nicht so einfach, einen gemeinsamen Sprachassistenten über die Modelle verschiedener Hersteller zu stülpen“, erklärt Benjamin Oberkersch von Daimler und verteidigt den Alleingang des Stuttgarter Autobauers.
Der Druck auf die etablierten Hersteller wächst. Während sie bei der Entwicklung noch ganz am Anfang stehen, hat Google bereits einen riesigen Großauftrag erhalten: Die Allianz der Autobauer Renault-Nissan-Mitsubishi gab bekannt, dass ab 2021 das Infotainment-System eines jeden Neuwagens ausschließlich von Google stammen wird. Inklusive Google Maps, digitalem Sprachassistenten und vielen weiteren Android-Apps. Ein Android-Smartphone braucht der Fahrer nicht. Damit versorgt Google zukünftig Fahrzeuge serienmäßig mit der eigenen Software, die zusammen auf einen weltweiten Marktanteil von 15,6 Prozent kommen.