Anklage gegen Diess und Pötsch Volkswagen: Ausgestanden ist hier gar nichts

Hans Dieter Pötsch und Herbert Diess werden angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Marktmanipulation vor. Quelle: dpa

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig zieht es durch – und klagt die beiden wichtigsten VW-Manager an: Konzernchef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. Die Anklage gießt Öl in das Feuer hunderter Anleger. Sie fordern rund zehn Milliarden Euro Schadensersatz.

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Noch vor zwei Wochen wollte Wolfgang Porsche („WoPo“) nichts davon wissen. Auf die Frage, ob Diess und Pötsch zu halten wären, wenn sie angeklagt würden, sagte der Miteigner von Volkswagen am 9. Juli am Rande der Automesse IAA: „Jetzt sind wir hier und schauen den ID.3 an. Und über alles, was noch nicht da ist oder möglicherweise gar nicht kommt, rede ich lieber nicht.“

Es war die Ruhe vor dem Sturm. Am Dienstag hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig drei VW-Manager am Landgericht Braunschweig angeklagt. Neben Diess und Pötsch ist der Ex-VW-Chef Martin Winterkorn betroffen. Sie alle sollen die Öffentlichkeit zu spät über die drohenden Milliardenkosten aus dem heraufziehenden Dieselskandal informiert haben. Marktmanipulation heißt das im Fachjargon. Dafür kann man in Deutschland ins Gefängnis kommen.

„Den genannten – ehemaligen oder amtierenden – Vorstandsmitgliedern der Volkswagen AG wird vorgeworfen, entgegen der ihnen obliegenden gesetzlichen Pflicht den Kapitalmarkt vorsätzlich zu spät über die aus dem Aufdecken des sogenannten „Diesel-Skandals“ resultierenden erheblichen Zahlungsverpflichtungen des Konzerns in Milliardenhöhe informiert und damit rechtswidrig Einfluss auf den Börsenkurs des Unternehmens genommen zu haben“, teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Die 636 Seiten lange Anklageschrift geht davon aus, dass Winterkorn spätestens seit Mai 2015, Pötsch seit dem 29.6.2015 und Diess seit dem 27.7.2015 jeweils „vollständige Kenntnis von den Sachverhalten und den daraus sich ergebenden erheblichen Schadensfolgen hatten und jeder für sich ab jenem Zeitpunkt die erforderliche ad-hoc-Mitteilung hätte veranlassen müssen, was nicht geschah“, so die Behörde. Mit einer solchen Ad-hoc-Mitteilung will der Gesetzgeber verhindern, dass Insider eine Aktie eher als andere Anleger kaufen oder verkaufen können. Mit einer Ad-hoc-Mitteilung sollen daher alle so schnell wie möglich Kenntnis von Insiderinformationen haben, um Insiderhandel zu verhindern.

Zurück zum 9. Juli. Auf der IAA wurde da auch Pötsch von Journalisten umringt. Es stehe eine wichtige Entscheidung bei der Staatsanwaltschaft an – er werde „möglicherweise angeklagt“. „Müssen Sie dann zurücktreten?“, war die Frage. Pötsch zuckte nicht mal mit der Wimper. „Schauen Sie“, sagte er mit geradem Rücken, „ich beschäftige mich mit Dingen dann, wenn die konkret am Tisch liegen. Nicht mehr und nicht weniger.“ Ende der Durchsage.

Ein ähnliches Bild zeichnete Diess. Das sei „eine hypothetische Frage“, meinte er, als ihn ein Journalist nach der angemessenen Reaktion auf eine Anklage fragte. Diese Frage habe er sich „noch nicht gestellt. Ich weiß, dass ich mich in meinen ersten 30 Arbeitstagen bei VW sehr korrekt verhalten habe und kann mir nach wie vor nicht vorstellen, dass sie mich anklagen.“

Heute hört sich das schon ganz anders an. Mehr und von langer Hand vorbereitet. Die Vorwürfe seien unbegründet, lässt Pötschs Verteidiger sofort nach Bekanntgabe der Anklage in einer mehrseitigen Erklärung wissen. „Herr Pötsch hatte im Sommer 2015 mehrfach Berührung mit der US-Dieselproblematik. Keine dieser Informationen hatte vor der Veröffentlichung (…) am 18. 09.2015 Inhalt und Qualität, dass für ihn daraus eine kapitalmarktrechtliche Relevanz erkennbar war. Weder die vorsätzliche Manipulation von Abgaswerten noch die beispiellose Schwere der Sanktion der US-Behörden gegen Volkswagen waren für Herrn Pötsch damals vorstellbar oder absehbar“, teilte sein Anwalt mit. Herr Pötsch habe sich nichts vorzuwerfen.

Der Anwalt von Diess stößt ins gleiche Horn: So seien „tatsächliche wirtschaftliche Folgen der Dieselproblematik“ für Diess in keiner Weise absehbar gewesen. Die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft sei „vollkommen unverständlich“. Diess sei erst im Juli 2015 in den VW-Konzern eingetreten. „Für ihn war bis zur öffentlichen Bekanntmachung der Abgasmanipulation durch die US-Behörden am 18.09.2015 in keiner Weise absehbar, dass die Dieselproblematik für die Volkswagen AG zu finanziellen Konsequenzen in einer für den Kapitalmarkt relevanten Größenordnung führen könnte“, teilte sein Anwalt mit. Er habe erstmals wenige Wochen nach seinem Eintritt in das Unternehmen von der Dieselproblematik in den USA erfahren, „ohne freilich davon Kenntnis zu erlangen, in welchem Ausmaß die US-Behörden in der Vergangenheit über diese Thematik unzutreffend unterrichtet worden waren. Er verließ sich darauf, dass diese Angelegenheit gemäß den üblichen Unternehmensabläufen in einem der weltgrößten Automobilhersteller von den dafür zuständigen Personen und Gremien verantwortungsvoll und kompetent abgearbeitet werden würde.“ Diess sehe deswegen dem weiteren Verfahren „gelassen und mit großer Zuversicht entgegen“.

Die Anklage werde Diess auch in Bezug auf seine Verantwortung als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG „nicht einschränken“, so der Anwalt des VW-Chefs. Er werde weiterhin „mit vollem Engagement seine Aufgaben im Konzern wahrnehmen.“

Der letzte Satz ist wichtig, schließlich hatten Insider bei VW zuletzt betont, dass ein möglicher Rücktritt von Diess auch davon abhänge, wie viel Zeit ihn sein Verfahren kosten werde und ob er noch in der Lage sei, seinen Job auszuüben.

Sind Diess und Pötsch zu ersetzen?

Auch Volkswagen selber ist sich weiterhin keiner Schuld bewusst. Hiltrud Dorothea Werner, Vorstand Integrität und Recht, sagte: „Das Unternehmen hat in den zurückliegenden nahezu vier Jahren den Sachverhalt akribisch mit Unterstützung von internen und externen Experten untersucht. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Vorwürfe sind unbegründet. Die Volkswagen AG ist dementsprechend weiterhin der festen Überzeugung, alle kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten erfüllt zu haben. Sollte es zu einem Prozess kommen, sind wir überzeugt davon, dass sämtliche Vorwürfe sich als haltlos erweisen werden. Darüber hinaus gilt bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung die Unschuldsvermutung.“

Werners Position ist nicht überraschend – schließlich geht es um Milliarden Euro. Denn Investoren verlangen Entschädigung für den damaligen Einbruch des Aktienkurses: Sie argumentieren so wie jetzt auch die Staatsanwaltschaft schon seit längerem, dass die VW-Spitze die Finanzwelt früher über die Risiken der Dieselkrise hätte ins Bild setzen müssen. Die Anleger werfen Volkswagen und dem VW-Großaktionär Porsche SE vor, sie zu spät über den Abgasskandal unterrichtet zu haben, und fordern am Landgericht Stuttgart in knapp 200 Verfahren rund eine Milliarde Euro Schadenersatz. Im vergangenen Jahr entschied das Gericht in zwei Verfahren zugunsten der Kläger. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. In gleicher Sache wird vor dem Landgericht Braunschweig sogar um rund 9,5 Milliarden Euro gestritten.

Doch nicht nur deswegen ist der Diesel-Skandal für VW längst nicht ausgestanden. Für den Konzern geht es jetzt auch darum, ob Diess und Pötsch weiter im Amt zu halten sind.

Die Frage ist nicht trivial: Schließlich sind die beiden wichtigsten Manager im Konzern betroffen. Zwei solche Top-Personalien von heute auf morgen neu zu besetzen, dürfte schwierig werden.

Als Kronprinz von Diess gilt Porsche-Chef Oliver Blume. Doch auch gegen ihn ermittelt eine Staatsanwaltschaft. Es geht um die möglicherweise überhöhte Vergütung des langjährigen Betriebsratschefs Uwe Hück.

Und auch Pötsch dürfte schwer zu ersetzen sein. Schließlich hat er das Vertrauen der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch. Die Familien halten – siehe „WoPo“ auf der IAA – fest zu ihren Schützlingen. Bei Insidern gilt Pötsch als unersetzbar. Ihm gelänge es, Diess einzufangen, wenn der mal wieder zu schnell Pläne schmiede. Er könne auch gut mit Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh, wenn der mal wieder Ärger mache. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Bei Volkswagen kommt jetzt erstmal das Präsidium des Aufsichtsrates zusammen. Das Gremium selber habe sich mit der Möglichkeit einer Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft bereits im Vorfeld auseinandergesetzt, teilte ein Sprecher des Aufsichtsrates mit. „Das Präsidium des Aufsichtsrates wird sich wegen der heute bekannt gewordenen Anklage umgehend zu einer Sitzung zusammenfinden, um über das weitere Vorgehen zu beraten.“ Gehen dürften die beiden Manager erstmal nicht. Man braucht sie halt noch. Und erstmal muss auch das Landgericht darüber entscheiden, ob die Anklagen zugelassen werden.

Bis dahin kann sich „WoPo“ ja noch den ID.3 anschauen.

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