Anregung des Gerichts Ist im Prozess um VW-Sammelklage ein Vergleich denkbar?

Ist um Prozess um die VW-Sammelklage ein Vergleich möglich? Quelle: dpa

Fast eine halbe Million Dieselfahrer versucht, mit einer Sammelklage eine Entschädigung von VW zu erhalten. Das Gericht brachte am ersten Verhandlungstag eine einvernehmliche Beilegung des Streits ins Spiel.

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Im Prozess um die Sammelklage von hunderttausenden Dieselkunden gegen Volkswagen hat das Gericht eine einvernehmliche Beilegung des Streits vorgeschlagen. Dem Senat sei bewusst, dass solche Verhandlungen wegen der unterschiedlichen Ansprüche der vielen VW-Kunden nicht einfach würden, sagte der Vorsitzende Richter Michael Neef am Montag zum Auftakt vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. „Dennoch wollen wir Vergleichsverhandlungen nicht entgegenstehen, sondern würden sie unterstützen.“ Die Anwälte der Verbraucherschutzzentrale, die stellvertretend für weit mehr als 400.000 ins Klageregister eingetragene Autokäufer einen Schadenersatz für manipulierte Diesel durchsetzen will, begrüßten den Vorschlag. VW dagegen trat auf die Bremse: „Ein Vergleich heute ist kaum vorstellbar, insbesondere weil die Tatsachengrundlage vollkommen unklar ist“ sagte Anwältin Martina de Lind van Wijngaarden.

Der Mammutprozess zu Dieselgate war mit Spannung erwartet worden. Dennoch blieben zum Auftakt zahlreiche Zuschauerplätze in der Stadthalle frei. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass der Zugverkehr um Braunschweig wegen des Herbststurms am Morgen zeitweise unterbrochen war. Richter Neef erläuterte zunächst die Musterfeststellungsklage, mit der die Bundesregierung die Möglichkeit geschaffen hat, für eine Vielzahl von Streitfällen relevante Fragen ein für alle Mal zu klären. Anders als bei Sammelklagen in den USA müssen Verbraucher ihre Ansprüche im Anschluss an ein Musterurteil jedoch noch individuell durchsetzen. Experten rechnen mit einem langen Verfahren, das sich inklusive einer Runde beim Bundesgerichtshof über vier Jahre hinziehen könnte.

Genereller Anspruch auf Schadensersatz?

Die Verbraucherschützer wollen unter anderem feststellen lassen, dass Volkswagen in Dieselautos eine verbotene Abschalteinrichtung eingebaut hat und Kunden daher ein Anspruch auf Schadenersatz zusteht. Die Käufer seien von dem Autobauer vorsätzlich, sittenwidrig getäuscht worden, argumentieren die Klägeranwälte. Ihrer Ansicht nach sind Kaufverträge für Autos mit dem betroffenen Dieselmotor mit der Werksbezeichnung EA189 nichtig, der Kauf müsse rückabgewickelt werden. Dabei wurde vom Kaufpreis meist eine Nutzungsentschädigung für die Zeit abgezogen, in der der Wagen gefahren wurde.

VW bestreitet, dass es sich in Europa um eine illegale Motorsteuerung handelt. Der Konzern macht zudem geltend, dass inzwischen fast alle betroffenen Fahrzeuge ein Software-Update erhalten hätten und den Haltern kein Schaden entstanden sei. In mehreren der bisherigen Einzelverfahren haben Landgerichte und Oberlandesgerichte dies allerdings anders gesehen und VW zur Rücknahme manipulierter Diesel verurteilt.

Die Frage, ob den Dieselhaltern tatsächlich ein Schaden entstanden ist, wird nun im Zentrum des Musterprozesses stehen, wie der Richter Neef klarmachte. Und er schränkte gleich ein: Einen generellen Anspruch auf Schadenersatz, dem Grunde nach - wie von den Verbraucherschützern verlangt -, könne das Gericht nicht feststellen.

„Gelogen und betrogen“

Nicht wenige Kläger verbinden mit dem Prozess in Braunschweig die Hoffnung auf eine Gleichbehandlung, nachdem Verbraucher in den USA schon vor zwei Jahren mit Milliarden entschädigt wurden. Dazu gehört auch Uwe Reinecke aus Göttingen, der einen Golf Diesel mit dem betroffenen Motor EA189 fährt und sich an der Musterklage beteiligt. Er fühle sich von VW hintergangen, sagte er am Rande der Verhandlung zu Journalisten. VW rede immer noch von einer Dieselproblematik. „Es gibt keine Dieselproblematik. Das ist ein Skandal“, kritisierte Reinecke. „Die haben gelogen, die haben betrogen. Das ist nicht nur eine Problematik. Das geht nicht.“

Eine vergleichbare Wiedergutmachung hierzulande wie die milliardenschweren Zahlungen in den USA, wo der Abgasskandal 2015 von den Behörden aufgedeckt wurde, lehnt Volkswagen ab und verweist auf eine komplett andere rechtliche Situation. Allein in den USA hat Dieselgate Volkswagen einschließlich Strafen mehr als 25 Milliarden Euro gekostet. Inklusive Bußgelder in Deutschland und weiterer Rückstellungen hat die Aufarbeitung den Konzern bisher 30 Milliarden Euro gekostet.

Die Anwälte der Verbraucherschützer hoffen, dass sich der Wolfsburger Konzern einem Vergleich nicht verwehrt. „Für VW kann es kein Interesse sein, dass dieses Verfahren ständig in der Öffentlichkeit stattfindet“, sagte Ralph Sauer von der auf Musterfeststellungsklagen spezialisierten Kanzlei RUSS Litigation. Sein Kollege Marco Rogert, der den Verbraucherzentrale Bundesverband ebenfalls vertritt, erwartet bereits am zweiten Verhandlungstag am 18. November eine erste wegweisende Entscheidung des Gerichts. Ein Urteil sei dann bereits im ersten Quartal nächsten Jahres denkbar.

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