Wie ein Raumschiff überragt das Kundenzentrum im Leipziger Norden das Porsche-Werk unweit der A14. Ein Symbol des Stolzes für die 7800 Menschen, die hier für den Sportwagenbauer arbeiten. Zumindest für den Großteil von ihnen. Manchen dürfte eher Neid beschleichen, wenn er das imposante Gebäude erblickt. Denn ein Sechstel der Arbeiter geht zum Schichtbeginn nicht mit den anderen Kollegen durchs Porsche-Werkstor zur Arbeit, sondern steuert unspektakuläre Hallen auf der anderen Straßenseite an. Manche fahren auch ins gut einen Kilometer entfernte Güterverkehrszentrum. Es sind Mitarbeiter und Leiharbeiter von Porsche-Werkvertragsdienstleistern und -Zulieferern, insgesamt 1300 Menschen, die Achsen, Cockpits, Tanks und Abgasanlagen herstellen oder Räder vormontieren.
Belegschaftsstrukturen der BMW- und Porsche-Werke Leipzig
BMW: 10 714
Porsche: 7797
Quelle: Unternehmen; Stand: November 2015
BMW: 43,9 Prozent
Porsche: 46,2 Prozent
BMW: 25,2 Prozent
Porsche: 22,4 Prozent
BMW: 16,8 Prozent
Porsche: 18,0 Prozent
BMW: 14,1 Prozent
Porsche: 13,4 Prozent
Menschen, die Porsche bauen, die aber nicht direkt bei Porsche beschäftigt sind. Davon gibt es nicht nur am Standort Leipzig insgesamt sehr viele, sondern auch auf dem Werksgelände des Autobauers selbst: Nicht einmal die Hälfte der Mitarbeiter dort ist Mitglied der Stammbelegschaft: 46 Prozent.
Womit man mittendrin ist in einer der fundamentalen Diskussionen über die Zukunftsfähigkeit von Arbeitsmarkt und Industrie in Deutschland. Nirgends lässt sich diese so gut verorten wie in den Leipziger Automobilwerken, wo neben Porsche auch BMW fertigt. Es geht um das Modell Werkvertrag: Unternehmen stellen für Aufgaben auch in der Produktion Mitarbeiter nicht selber an, sondern beauftragen Dienstleister. Diese dürfen nicht einfach in Arbeitsabläufe eingegliedert werden, sondern müssen selbstständig arbeiten. Der Personaleinsatz wird so flexibler, Unternehmen können sich ihrem Kerngeschäft widmen, in der Regel sparen sie Kosten – auch, weil für die Werkvertragsbeschäftigten in ihren Unternehmen lange Zeit andere Tarifverträge galten.
Das machte das Instrument für die Arbeitgeber attraktiv. Auf mehr als eine Million Menschen schätzt die IG Metall allein die Zahl der Leiharbeiter und Werkvertragsbeschäftigten in der deutschen Metall- und Elektroindustrie – rund 30 Prozent der Beschäftigten der Branche.
Vielfach aber setzt die Industrie die an sich legale Beschäftigungsform, so beweisen Urteile der Arbeitsgerichte, illegal um. Deswegen ist ein Kampf entbrannt um die Zukunft dieses Instruments, der nun in die entscheidende Runde geht: Anfang März wollte die Bundesregierung eigentlich einen Gesetzentwurf beschließen, der den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen unterbindet. Durch einen heftigen Koalitionskrach liegt das Projekt plötzlich aber auf Eis. Unter anderem wollte Berlin die Leiharbeit künftig auf 18 Monate pro Einsatz beschränken. Wer 24 Monate Verleihdauer herausholen will, sollte dafür einen Tarifvertrag abschließen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) konstatierte, Leiharbeit und Werkverträge brauche die Wirtschaft zwar, „aber sie dürfen kein Deckmantel für Ausbeutung sein“.
Der mögliche Angriff des Gesetzgebers träfe zwar auch Chemieindustrie, Pharmakonzerne, Maschinen- und Anlagenbau. Vom Fleischkonzern bis zur Klinikkette, von Bertelsmann bis Lidl standen schon viele Branchen und Unternehmen im Fokus von Scheinwerkverträgen und Scheinselbstständigkeit. Die Autoindustrie aber, das Rückgrat des deutschen Exportwunders, „ist am stärksten von drohenden Restriktionen bei Werkverträgen betroffen und am verletzlichsten“, sagt Christian Kleinhans, Partner der auf die Autoindustrie spezialisierten Münchner Managementberatung Berylls Strategy Advisors. Er sieht Tausende Arbeitsplätze in Gefahr.