Hauptversammlung von BMW am 16. Mai in der Münchner Olympiahalle: Auf der Bühne sitzen die Vorstände und Aufsichtsräte des Autobauers. Davor, am Rednerpult, arbeitet sich schon der dritte Aktionär in Folge am selben Thema ab – die hohe Zahl der Leiharbeiter bei BMW.
Kein anderer deutscher Autobauer beschäftigt so viele minderbezahlte Fremdkräfte. Könnte sich der profitabelste Autobauer der Welt nicht mehr eigene Leute leisten, fragt der Aktionär. Ein Aufsichtsrat von der Kapitalseite wendet sich an seinen Sitznachbarn auf dem Podium. "Haben Sie diese Auftritte eingefädelt?", raunt er leicht verstimmt Horst Lischka zu, dem IG-Metall-Funktionär im Aufsichtsrat. "Von wegen", gibt der zurück, "darauf sind die von allein gekommen. Das Thema beschäftigt die Leute."
BMW will das Thema nun aus der Welt schaffen. Nach monatelangem Ringen zwischen Konzernbetriebsrat und Management liegt ein unterschriftsreifer Kompromiss vor, der eine Kehrtwende in der bisherigen Personalpolitik bedeutet: Der Autobauer will die Zahl seiner Zeitarbeiter von derzeit rund 12.000 halbieren und gleichzeitig Tausende fest einstellen, viele davon aus dem Kreis der Zeitarbeiter. Dadurch fiele der Anteil der Leiharbeiter von derzeit 17 auf 8 bis 10 Prozent.
Hoffnung auf Ende des internen Dauerstreits
Das Konzept hat der Gesamtbetriebsrat in monatelangen Beratungen mit dem BMW-Management erstellt. Der Vorstand muss das Konzept noch absegnen. "Die Verhandlungen über die neue Betriebsvereinbarung sind noch nicht abgeschlossen, aber sehr weit fortgeschritten", heißt es aus dem Unternehmen. "Eine Einigung in den kommenden Wochen ist sehr wahrscheinlich."
Der Schritt des bayrischen Autobauers kann das Unternehmen, die PS-Branche sowie das Geschäft mit der Leiharbeit tief greifend verändern. In jedem Fall wäre mit der anstehenden Vereinbarung der interne Dauerstreit, der sogar zu Auseinandersetzungen vor Gericht führte, beendet. Auf einer Betriebsversammlung in München am 18. Juli sollen die Mitarbeiter über das neue Personalmodell informiert werden.
Dass ausgerechnet der hoch profitable Autobauer BMW bisher eine fast doppelt so hohe Leiharbeiterquote wie seine deutschen Konkurrenten hat, prangerte die IG Metall schon länger an. Der Lärm der Gewerkschafter führte dazu, dass auch andere Autobauer die supererfolgreichen Kollegen an der Isar zu einem Kurswechsel drängten, um die Premiummarken vor einem drohenden Kratzer am Edel-Image zu bewahren.
BMW-Betriebsrat und -Management haben ein Modell vereinbart, mit dem Produktion und Arbeitseinsatz auch mit weniger Leihkräften an Krisen und Boomzeiten angepasst werden kann. Aufgefangen werden sollen dadurch selbst Produktionsschwankungen von über einem Drittel, ohne dass BMW in die roten Zahlen rutscht.
Personalmodell stellt Stellen sicher
Dazu dient ein Strauß einzelner Maßnahmen. So sollen die Mitarbeiter Arbeitszeitkonten aufbauen, auf denen bis zu 300 Arbeitsstunden angesammelt werden können. Bricht die Nachfrage ein, soll die Produktion durch Werksurlaube, Vier-Tage-Wochen, Kurzarbeit oder mehr Freizeit durch Entgeltverzicht eingeschränkt werden. Nur wenn es nicht anders geht, soll die Zahl der Leiharbeiter erhöht werden können. "Damit können wir fast die gesamten möglichen Schwankungen bis 2018 abdecken", sagt Gesamtbetriebsratschef Manfred Schoch.
Selbst wenn es in den nächsten Jahren zu schwersten Konjunkturkrisen kommt, würde BMW mit dem neuen Personalmodell erst im Verlauf des Jahres 2017 in die roten Zahlen rutschen. In diesem Fall müssten bis Ende 2018 dennoch nur einige Hundert Stellen gestrichen werden.
Davon profitieren nicht nur die Leiharbeiter, die nun echte BMWler werden sollen. Die damit einhergehende Flexibilisierung erspart auch dem Unternehmen Geld. Würde der Konzern weiter auf Leiharbeiter setzen wie bisher, könnten dies nach Berechnungen des Betriebsrats in den kommenden sechs Jahren zusätzliche Personalkosten von bis zu 1,4 Milliarden Euro verursachen. "Das Modell", sagt Betriebsrat Schoch, "ist eine Win-win-Situation."
Zeitarbeit im Urlaub und der Pause
Es wird Zeitarbeit bei BMW auch künftig geben, aber nicht mehr wie bisher nach dem Gießkannenprinzip. Statt der heute 12.000 Leiharbeiter werden wohl nur noch rund 6000 regelmäßig eingesetzt. Weitere könnten dazukommen, aber nur, wenn keine regulären Mitarbeiter verdrängt werden – und vor allem nur dann, wenn die Betriebsräte der betroffenen Werke zustimmen. So sollen etwa Leiharbeiter künftig am Band stehen, wenn die anderen Beschäftigten Pause machen oder Urlaub haben. Eine halbe Stunde Pause pro Schicht entspricht fünf Stunden pro Woche. Wird die Zeit durchgearbeitet, könnte BMW in einem Werk zum Beispiel 15.000 zusätzliche Motoren pro Jahr herstellen.
Springen Leiharbeiter künftig gezielt in Urlaubszeiten ein, könnte dadurch ihr Anteil zwar auf über 30 Prozent klettern, auf das Jahr gerechnet, wären es aber nur drei Prozent. Einfach haben es sich die Erfinder des Modells im BMW-Konzernbetriebsrat nicht gemacht. Ihnen war klar: Mit ideologiegetriebenen Forderungen oder über den Daumen gepeilten Zahlen würden sie die Firmenspitze kaum überzeugen können. Im Februar begannen erste Gespräche: "Beide Seiten, Betriebsrat und Unternehmen, hatten von Anfang an das gleiche Ziel“, betont Betriebsratschef Schoch. "Wir wollten ein Modell finden, mit dem wir auch langfristig schwere Krisen überleben könnten, ohne dass wir in großem Umfang Personal abbauen müssen und tief in die roten Zahlen geraten."
Große Krise oder Weltkrise light?
Weil das Modell bis ins Jahr 2018 halten sollte, musste Schoch in die Konzernstrategie eingeweiht werden. Vier Ressorts – Unternehmensplanung, Forschung und Entwicklung, Personal und Controlling – lieferten Daten über Modelle und Lebenszyklen, über mögliche Wirtschaftskrisen und den Personalbedarf einzelner Werke. Wochenlang brüteten Manager und Betriebsräte über den Unterlagen.
Am Ende standen konkrete Szenarien bis zum Jahr 2018, darunter eine große Weltwirtschaftskrise oder auch eine minder schlimme "Weltkrise light", wie es in den internen Akten heißt. Denkverbote gab es nicht: "Der Euro zerbricht", lautet ein Szenario, plastisch veranschaulicht mit einer zerbrochenen Euro-Münze. Folgerichtig ist der nächste Schritt des Szenarios illustriert mit einer kleinen, silbernen D-Mark. Zentrales Ergebnis aller Szenarien: Dank der Vereinbarung können je nach Konjunktur, Modellzyklus und Werk die Produktion und der Personalbedarf um über ein Drittel schwanken, ohne dass nennenswerte Entlassungen notwendig werden.
Mit dem bevorstehenden Pakt zur Reduzierung der Leiharbeit schließt BMW mit dem Betriebsrat allerdings auch einen Vertrag zulasten Dritter: Für die Zeitarbeitsunternehmen wäre das neue Modell ein schwerer Schlag ins Kontor. Eine Halbierung der BMW-Aufträge träfe besonders den Personalverleiher I. K. Hofmann aus Nürnberg, der mit den Bayern gut im Geschäft ist.
Zeitarbeitsbranche steht vor schweren Zeiten
Hofmann ist seit 2004 führender BMW-Zeitarbeitspartner im Leipziger Werk: Insgesamt sind dort je nach Auftragslage 50 bis 900 Zeitarbeiter im Einsatz, Hofmann stellt davon rund die Hälfte. Schätzungsweise 15 Prozent der Hofmann-Gesamtbelegschaft von 15 000 Mitarbeitern in Deutschland sind seit Jahren bei BMW unter Vertrag.
Aber auch der gesamten Zeitarbeitsbranche stehen womöglich schwere Zeiten bevor. Wenn BMW bei der Zeitarbeit den Rückwärtsgang einlegt, dürfte das Signalwirkung haben: Andere Betriebsräte müssten ähnliche Regelungen anstreben. Dabei steckt die Zeitarbeitsbranche längst im Zangengriff von Politik und Gewerkschaften und lässt sich auf Tarifverträge ein, die das Verleihgeschäft mit Billigkräften erschweren dürften. Sogenannte Equal-Pay-Regelungen, die für gleiche Bezahlung von Leih- und eigenen Arbeitskräften sorgen, werden in der Metall- und in der Chemieindustrie ab November die Stundenlöhne der Zeitarbeiter stufenweise an die der Stammkräfte angleichen. Und nun tritt auch noch BMW auf die Bremse.