Arbeitsverträge BMW kehrt Zeitarbeit den Rücken

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Personalmodell stellt Stellen sicher

BMWs Stärken und Schwächen
Stärke 1: Sicherheit durch Großaktionäre: Seit mehr als 50 Jahren hat BMW einen Großaktionär, um den die Münchener in der Branche beneidet werden. Gut 48 Prozent der Stimmrechte halten Johanna Quandt sowie ihre Kinder Stefan Quandt und Susanne Klatten. Am Bekenntnis zu dem Erbe ihres Vaters lassen die Kinder wenig Zweifel: Beide nehmen als Mitglieder des Aufsichtsrats aktiv Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens. Das Ergebnis ist eine stetige Unternehmenspolitik, die den Kapitalmarkt nicht mit kurzfristigen Renditen beeindrucken will. Dennoch fährt BMW Spitzengewinne ein und schüttet in diesem Jahr eine Rekorddividende aus. Quelle: dapd
Strategin und Hauptaktionärin Susanne Klatten lenkt die Geschicke des Autobauers BMW: Regelmäßige Strategiewechsel wie bei Daimler („integrierter Technologiekonzern“, „Welt AG“) sind den Münchenern fremd. Stattdessen punktet BMW mit frühzeitigen Weichenstellungen im Kerngeschäft. So investierte BMW in Spritspar-Techniken und hat damit heute einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber Daimler. Für die Zukunft haben sich die Quandts und BMW noch einiges vorgenommen. Insbesondere Susanne Klatten hat mit ihrem Einstieg bei SGL Carbon eine strategische Entscheidung getroffen. In einem Joint Venture produzieren der Autobauer und der Chemiekonzern Karosserien aus Kohlefaser in Serie. VW-Patriarch Ferdinand Piëch ist düpiert. Als VW überraschend SGL-Anteile kaufte, sicherten sich Klatten und BMW kurz darauf eine Sperrminorität. Quelle: dpa
Stärke 2: Volle Kassen. Noch nie war BMW so profitabel wie heute. Längst operiert die Autosparte deutlich über dem Zielkorridor von acht bis zehn Prozent Umsatzrendite. Das Ergebnis ist eine schon fast überbordende Liquidität. Inzwischen hortet der Konzern Barmittel von mehreren Milliarden Euro. Noch ist unklar, was die Münchener mit dem Geld vorhaben. Die Aktionäre sollen eine Dividende erhalten, fast die Hälfte davon geht an die Großaktionäre der Quandt-Familie. Ein weiterer Teil steckt der Konzern in die Entwicklung alternativer Antriebe. BMW produziert mit dem i3 das erste deutsche Elektroauto in Großserie und will in den nächsten Jahren als erster Autohersteller der Welt weitere Modelle mit Karosserien aus Kohlefaser in großen Stückzahlen an den Markt bringen. Quelle: dapd
Außerdem steht die Erweiterung der Produktion in China auf dem Programm, in Russland und den USA sollen ebenfalls die Fertigungen ausgebaut werden. Ein Großteil des Geldes dürfte jedoch als Polster für schlechte Zeiten dienen und sichert BMW am Kapitalmarkt ab. Der Konzern hat in den vergangenen Jahren aufgrund seiner guten Finanzlage sein Rating deutlich verbessert. Als ausgeschlossen gilt ein Zukauf in der Autosparte. BMW hatte 1994 den Massenhersteller Rover übernommen und war anschließend in Schieflage geraten. Quelle: dapd
Stärke 3: Die Marke ist ein Magnet. Das wohl größte Vermögen der Münchener schlummert in ihren Markenwerten. BMW, Mini und Rolls-Royce sind weltweit ausgezeichnet positioniert. Die Kunden sind bereit, mehr zu zahlen als für ein Allerweltsprodukt. Alleine BMW wird mittlerweile auf einen Markenwert von über 22 Milliarden Dollar geschätzt, damit ist die Marke deutlich mehr wert als die Konkurrenten Daimler und Audi. In den guten Namen wird reichlich investiert. So eröffneten die Münchener für fast eine halbe Milliarde Euro ein Abholzentrum direkt neben dem Stammwerk. Die „BMW-Welt“ gilt mittlerweile als die größte Touristenattraktion der Stadt und zieht mehr Besucher an als das Schloss Neuschwanstein. Quelle: Reuters
Peinlich genau wird das Emblem angebracht. Und peinlich genau legt BMW Wert auf strikte Markentrennung. Mini, BMW und Rolls-Royce laufen über strikt getrennte Vertriebskanäle. In Markenlabors werden Verkäufer und Händler geschult, um die Zielgruppen klar voneinander zu trennen. Die Aufteilung lautet: Mini ist hip und cool, BMW steht für Sachlichkeit und Präzision, Rolls-Royce ist der Luxus für die Superreichen. Angedockt werden Submarken. So startet unter dem Namen "BMW i" ein Label für die geplanten Elektroautos. Der hohe Markenwert hilft aber nicht nur dem Absatz. BMW zählt bei Umfragen seit Jahren zu den beliebtesten Arbeitgebern in Deutschland - ein wichtiger Trumpf im Kampf um die Köpfe von morgen. Quelle: Reuters
Stärke 4: Vorreiterrolle beim Leichtbau. Der „i3“ verfügt neben einem vollelektrischen Antrieb auch über eine Karosserie aus Kohlefaser. Das bereits im Flugzeugbau erprobte Material soll das Gewicht der Batterien kompensieren und dem „i3“ einen Vorsprung vor der Konkurrenz verschaffen. Gemeinsam mit dem Kohlefaserspezialisten SGL Carbon wurde ein Joint Venture gegründet, um die Kohlefaser in den USA herzustellen. BMW selbst verarbeitet den Werkstoff in den Standorten Wackersdorf, Landshut und Leipzig. An dem strategisch wichtigen Zulieferer SGL Carbon haben der Autobauer und BMW-Großaktionärin Susanne Klatten jetzt kombiniert 43 Prozent und damit gegenüber Volkswagen mit acht Prozent das Sagen. Der Nachteil: Noch ist Kohlefaser mindestens um den Faktor zehn teurer als Stahl und schwer zu verarbeiten. Nur hohe Stückzahlen und große Fortschritte im Verarbeitungsprozess machen eine solche Produktion rentabel. Die wahren Kosten des Abenteuers Kohlefaser lassen sich für BMW und seine wichtigste Anteilseignerin bislang nur erahnen. Quelle: Reuters

Dazu dient ein Strauß einzelner Maßnahmen. So sollen die Mitarbeiter Arbeitszeitkonten aufbauen, auf denen bis zu 300 Arbeitsstunden angesammelt werden können. Bricht die Nachfrage ein, soll die Produktion durch Werksurlaube, Vier-Tage-Wochen, Kurzarbeit oder mehr Freizeit durch Entgeltverzicht eingeschränkt werden. Nur wenn es nicht anders geht, soll die Zahl der Leiharbeiter erhöht werden können. "Damit können wir fast die gesamten möglichen Schwankungen bis 2018 abdecken", sagt Gesamtbetriebsratschef Manfred Schoch.

Selbst wenn es in den nächsten Jahren zu schwersten Konjunkturkrisen kommt, würde BMW mit dem neuen Personalmodell erst im Verlauf des Jahres 2017 in die roten Zahlen rutschen. In diesem Fall müssten bis Ende 2018 dennoch nur einige Hundert Stellen gestrichen werden.

Davon profitieren nicht nur die Leiharbeiter, die nun echte BMWler werden sollen. Die damit einhergehende Flexibilisierung erspart auch dem Unternehmen Geld. Würde der Konzern weiter auf Leiharbeiter setzen wie bisher, könnten dies nach Berechnungen des Betriebsrats in den kommenden sechs Jahren zusätzliche Personalkosten von bis zu 1,4 Milliarden Euro verursachen. "Das Modell", sagt Betriebsrat Schoch, "ist eine Win-win-Situation."

Zeitarbeit im Urlaub und der Pause

Vorreiter Autoindustrie. Kunden der führenden Zeitarbeitsfirmen in Deutschland und Entwicklung der Zahl der Zeitarbeitsnehmer

Es wird Zeitarbeit bei BMW auch künftig geben, aber nicht mehr wie bisher nach dem Gießkannenprinzip. Statt der heute 12.000 Leiharbeiter werden wohl nur noch rund 6000 regelmäßig eingesetzt. Weitere könnten dazukommen, aber nur, wenn keine regulären Mitarbeiter verdrängt werden – und vor allem nur dann, wenn die Betriebsräte der betroffenen Werke zustimmen. So sollen etwa Leiharbeiter künftig am Band stehen, wenn die anderen Beschäftigten Pause machen oder Urlaub haben. Eine halbe Stunde Pause pro Schicht entspricht fünf Stunden pro Woche. Wird die Zeit durchgearbeitet, könnte BMW in einem Werk zum Beispiel 15.000 zusätzliche Motoren pro Jahr herstellen.

Springen Leiharbeiter künftig gezielt in Urlaubszeiten ein, könnte dadurch ihr Anteil zwar auf über 30 Prozent klettern, auf das Jahr gerechnet, wären es aber nur drei Prozent. Einfach haben es sich die Erfinder des Modells im BMW-Konzernbetriebsrat nicht gemacht. Ihnen war klar: Mit ideologiegetriebenen Forderungen oder über den Daumen gepeilten Zahlen würden sie die Firmenspitze kaum überzeugen können. Im Februar begannen erste Gespräche: "Beide Seiten, Betriebsrat und Unternehmen, hatten von Anfang an das gleiche Ziel“, betont Betriebsratschef Schoch. "Wir wollten ein Modell finden, mit dem wir auch langfristig schwere Krisen überleben könnten, ohne dass wir in großem Umfang Personal abbauen müssen und tief in die roten Zahlen geraten."

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