Mit dem chinesischen Markt haben Deutschlands Autobauer den Jackpot geknackt. Monat für Monat präsentierten VW, Audi, BMW und Mercedes neue Rekordzahlen. Im Juni legten die Wolfsburger um 18 Prozent zu, setzten insgesamt 190.000 Autos ab. Tochter Audi verkaufte 33 Prozent mehr und sahnt beim Ranking der renommierten Rating-Agentur J. D. Power Bestnoten für Händler- und Werkstattservice ab. Auch BMW und Daimler profitieren von der Lust der Chinesen auf "made in Germany" - sie legten im ersten Halbjahr um 14 Prozent und 16 Prozent zu.
Die Verkäufe der deutschen Premiummarken in China sind von 2005 bis 2012 um 823 Prozent geradezu explodiert. Doch das soll alles erst der Anfang sein, sagt Professor Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen: "Das Verkaufsrennen in China ist keinesfalls zu Ende, die Rally hat gerade erst begonnen."
Noch immer ist das Potenzial des chinesischen Markt gewaltig. Von 100 Familien besitzen nur 22 ein Auto. Der chinesischen Branchenverband CAAM rechnet in diese Jahr mit 21 Millionen neuer Fahrzeuge. Besonders schnell wächst - wie auch in Europa - das Segment der Geländewagen (SUV). Schon 2015 könnten in China mehr Autos verkauft werden als in Deutschland, den USA und Japan zusammen. Soweit die Prognosen.
Ausländische Autobauer profitieren vom neuen Kurs
Doch wie lange wird der Nachfrageboom tatsächlich anhalten? Die jüngsten Nachrichten aus China sind nicht gerade rosig: Um 7,6 Prozent wuchs Chinas Wirtschaft im zweiten Quartal - eine der niedrigsten Zuwachsraten seit zwei Jahrzehnten. Vieles deutet daraufhin, dass sich die zweitgrößte Volkswirtschaft langfristig auf niedrigeres Wachstum einstellt. Im Juni drehte die Zentralbank ohne Ankündigung den Geldhahn zu, was zu einer Panik auf dem Interbanken-Markt führte. Die Aktion wird mittlerweile auch als Signal gewertet: Der lang angekündigte Umbau der chinesischen Wirtschaft weg von Investitionen in Form von Infrastrukturprojekten hin zu mehr Konsum könnte endlich an Fahrt aufnehmen.
Das bedeutet weniger Geld für Großprojekte, weniger Kredite an Staatsunternehmen, und es bedeutet geringeres, aber im besten Fall qualitativ hochwertigeres Wachstum. Binnenkonsum und Innovationen sollen als die neuen Wachstumstreiber Export und Infrastruktur ersetzen. Ein schmerzhafter, aber langfristig notwendiger Prozess könnte in Gang kommen. Die Wachstumsraten in den kommenden Jahren dürften eher bei sechs Prozent als bei zwölf Prozent liegen.
Genau dieser Prozess wird die einheimischen Autobauer hart treffen - und den ausländischen Herstellern in die Karten spielen. "Kaum eine der chinesischen Autofirmen macht Gewinne", sagt Jochen Siebert von der Unternehmensberatung JSC in Shanghai. "Die Auslastung dieser Werke liegt bei 30, 40 Prozent, die der internationalen Konzerne dagegen bei 90 Prozent." Zudem wurden die chinesischen Hersteller seit Jahren mit Subventionen gehätschelt. Sie haben keine Erfahrung mit einem sich verschlechternden Marktumfeld, wie es sich nun andeutet.
Plan der Regierung ist gescheitert
Siebert rechnet damit, dass etliche von ihnen pleite gehen werden, sollte die Regierung tatsächlich Ernst machen mit der neuen Politik. Ein Reinigungsprozess wäre auch notwendig: Über hundert Hersteller tummeln sich auf dem Markt. Kaum einem ist es gelungen, eine gute Marke aufzubauen. Zudem investieren die chinesischen Hersteller zu wenig in Forschung und Entwicklung. Die Folge: Der Marktanteil einheimischer Hersteller liegt nur noch bei rund zehn Prozent. Ausländische Konzerne haben den Markt unter sich aufgeteilt. Platzhirsch ist der US-Konzern General Motors mit seinen Joint-Venture Partner SAIC.
Die Dominanz der ausländischen Hersteller schmeckt der Regierung nicht. Staatlich lancierte Rückrufaktionen internationaler Automarken wie im vergangenen März nehmen in letzter Zeit zu. Damals wurden im staatlichen Fernsehen CCTV mehrere deutsche Autohersteller an den Pranger gestellt. Volkswagen hatte Probleme mit seiner Kupplung, Daimler, Audi und BMW wurde beschuldigt, gesundheitsschädliche Dämmstoffe in ihren Innenräumen zu verwenden. Die bittere Wahrheit scheinen die Funktionäre nicht sehen zu wollen. "Die Strategie der chinesischen Regierung, einen inländischen Champion aufzubauen, ist gescheitert", so das Urteil von Jochen Siebert.
Das beste Symbol für Reichtum
Deshalb dürften GM, Ford, VW & Co. auch in den nächsten Jahren auf der Gewinnerseite stehen. Ein eigener Wagen ist noch immer das beste Symbol, um den neuen Reichtum nach außen zu zeigen und immer mehr Chinesen gelingt der Sprung in die Mittelklasse. Schafft die Regierung es in den nächsten Jahren, seinen Bürgern mehr finanzielle Sicherheit zu geben, in dem es die Kranken- und Rentenversicherungssysteme ausbaut, wird sich auch die hohe Sparquote der Chinesen verringern. Das Geld kann in den Konsum fließen.
Nur die japanischen Autobauer Toyota, Mazda und Honda glänzen auf dem benachbarten Festland nicht so sehr wie ihre Konkurrenten aus dem Westen. Im letzten Jahr eskalierte der Streit zwischen China und Japan um eine unbewohnte Inselgruppe im Pazifik. Es kam zu zahlreichen Boykottaufrufen gegen japanische Produkte. Der Streit schwelt noch immer. Doch der Nationalismus der Chinesen ist nicht der Hauptgrund für die schwachen Absatzzahlen, meint Jochen Siebert von JSC: "Die japanischen Autobauer wollen ihr Engagement diversifizieren und keine weiteren Kapazitäten aufbauen."
Goldgräberstimmung in Südostasien
Während Volkswagen mittlerweile 30 Prozent seiner Umsätze in China macht, sind die Japaner schon Marktführer in der nächsten Boomregion Asiens: der Freihandelszone ASEAN (Association of Southeast Asian Nations). Ihr gehören zehn Nationen - Thailand, Indonesien, Malaysia, Vietnam, Singapur, Kambodscha, Brunei, Laos, Singapur und die Philippinen. Zusammengenommen ein Markt von mehr als 600 Millionen potenziellen Käufern. Schon 2015 soll die Wirtschaftsgemeinschaft verwirklicht sein. Bilaterale Freihandelsabkommen bestehen mit China, Japan, Südkorea, Indien, Australien und Neuseeland. Die Unternehmensberater von Frost & Sullivan sprechen von einem Markt "mit gewaltigen Möglichkeiten für die Automobilindustrie."
Sechstgrößter Automarkt der Welt
Schon 2018 soll der südostasiatische Länder-Bund vier bis fünf Millionen Einheiten schwer sein. Damit steigt die Region zum sechstgrößte Automobilmarkt der Welt auf - wenn nicht noch höher.
Das Zentrum dieser Entwicklung ist Thailand. "Dort haben wir in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung gesehen mit Zuwachsraten von rund 20 Prozent", berichtet Manfred Bender. Vertriebsleiter für Europa und Asia/Pazifik der Industriellen Messtechnik von Carl Zeiss. Zeiss macht rund die Hälfte seines Umsatzes mit Messgeräten für die Automobilindustrie, mit denen in der Produktion Karosserie- und Motorenteile auf ihre korrekten Maße überprüft werden. Von der Entwicklung in Thailand konnte der Konzern enorm profitieren. Bender lobt die thailändische Infrastruktur und Logistik: "Thailand ist ein idealer Standort, weil sie von dort aus ganz Südostasien bedienen können."
Und ganz wichtig: Das politische Umfeld stimmt. Seit kurzem fördert die thailändische Regierung sogar alternative Antriebe mit steuerlichen Vergünstigungen. Ein Anreiz, dort neue Technologien anzusiedeln und auszuprobieren. Außerdem müssen Unternehmen in Thailand keinen heimischen Joint-Venture-Partner ins Boot holen - ausländischer Konzerne dürfen 100-prozentige Tochtergesellschaften gründen.
Jan Rönnfeld, Hauptgeschäftsführer der Auslandshandelskammer und Delegierter der deutschen Wirtschaft in Indonesien: "Die thailändische Regierung hat bereits vor zehn Jahren gezielt die Automobilindustrie mit einer Reihe von Fördermaßnahmen angelockt." Entstanden sind riesige, mehrere Quadratkilometer große Industriezonen, mit hunderten von Firmen. "Vor allem Japaner nutzen diese Zonen sehr stark", beobachtet Bender von Zeiss. Toyota, Honda und andere japanische Autobauer haben sich so in Thailand einen strategischen Knotenpunkt für Produktion und Vertrieb aufgebaut.
Mit Erfolg. Im vergangenen Jahr überholte Thailand den größten Rivalen in der ASEAN-Region: Indonesien. Jetzt ist Thailand größter Automarkt. Doch die Krone wird Indonesien den Nachbarn nicht lange überlassen. Analysten gehen davon aus, dass Indonesien innerhalb eines Jahrzehnts zum größten Automobilmarkt innerhalb der ASEAN-Region aufsteigen wird - mit rund 3 Millionen Einheiten.
Kfz-Produktion in ASEAN-Ländern 2012:
Land | Pkw | Nutzfahrzeuge | Insgesamt | Veränderung |
Thailand | 958.000 | 1,5 Millionen | 2,5 Millionen | + 68 % |
Indonesien | 744.000 | 322.000 | 1,1 Millionen | + 27 % |
Malaysia | 510.000 | 60.000 | 569.000 | + 7 % |
Philippinen | 26.000 | 49.000 | 75.000 | + 16 % |
Vietnam | 42.000 | 32.000 | 73.000 | - 27% |
Quelle: Asean Automotive Federation (AAF)
Spätestens 2015, wenn sämtliche Güter zwischen den ASEAN-Staaten zollfrei gehandelt werden, wird Indonesien einen Investitionsboom erleben, meinen Experten wie Roland Rhode. Er analysiert den indonesischen Automarkt für seinen Arbeitgeber Germany Trade & Invest - der Bundesgesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing. "Die Autokonzerne und ihre Zulieferer dürften sich dann mit ihren Investitionen auf Indonesien als größte Wirtschaft innerhalb der Zollunion konzentrieren".
Womit Indonesien punktet - und womit nicht
Mit 240 Millionen Einwohnern ist Indonesien das viertgrößte Land der Welt – und seit der Asien-Krise 1998 ein Markt mit konstanten Wachstumsraten. Trotz ethnischer Vielfalt gilt der demokratische Staat als politisch stabil.
Die Hauptstadt versinkt im Dauerstau, das Land ist auf 17.000 Inseln verteilt. Das erhöht die Logistikkosten und verlängert die Lieferzeiten. Für Hersteller zeitsensibler Güter ist das Land kein guter Standort.
Um die lokale Wertschöpfung zu steigern, erhebt Indonesien in Branchen wie Pharma- oder Ölindustrie hohe Zölle. Wer vor Ort investiert, kann sie umgehen. Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indonesien fehlt.
Ohne Schmiergeld ist es schwer, an staatliche Aufträge zu kommen, klagen Investoren. Bei privaten Unternehmen laufen die Geschäfte sauber ab.
In Jakarta stehen über 150 Einkaufsmalls – größer, schicker und voller als deutsche Flaniermeilen. Die kaufkräftige Mittelschicht wächst.
Denn Indonesien vereint mit 240 Millionen Einwohnern fast vierzig Prozent der Bevölkerung der ASEAN-Region auf sich. Und obwohl die Städte von Staus verstopft sind, werden motorisierte Zweiräder, aber gerade auch Autos immer beliebter. Bisher haben nur 50 von 1000 Indonesiern ein Auto - der Aufholbedarf ist immens.
Kfz-Absatz in ASEAN-Ländern 2012:
Land | Pkw | Nutzfahrzeuge | Insgesamt | Veränderung |
Thailand | 694.000 | 742.000 | 1,4 Millionen | +81 % |
Indonesien | 781.000 | 335.000 | 1,1 Millionen | + 25 % |
Malaysia | 552.000 | 76.000 | 628.000 | + 5 % |
Quelle: Asean Automotive Federation (AAF)
Die Krux an der Sache: Die deutschen Hersteller profitieren bisher kaum von der Goldgräberstimmung in Indonesien - und laufen damit Gefahr den bereits in Gang gekommenen Aufschwung der Region zu verschlafen.
Japaner sind den deutsche um Jahre voraus
Deutsche Hersteller unterhalten dagegen in Indonesien weder eigene Motoren- noch Karosseriewerke. BMW und Mercedes importieren ihre Fahrzeuge in Teilen nach Indonesien und lassen sie vor Ort nur zusammenbauen. Bis die verkauften Stückzahlen die magische Grenze von 100.000 nicht erreichen, wird sich das auch nicht ändern. So lange bleibt das Completly-Knocked-Down-Verfahren (CKD), wie Hersteller das Zusammensetzen der Einzelteile im Land nennen, die kostengünstigste Alternative für die importierten Premiumautos.
Ganz anders sieht es aber bei den preisgünstigen Massenherstellern aus. Hier sind die relevanten Stückzahlen für eine Produktion vor Ort längst erreicht. Die Japaner haben deshalb weitere Expansionen angekündigt. 1,4 Milliarden US-Dollar wollen sie in den nächsten drei Jahren im Land investieren. Vor zwei Wochen gab Toyota bekannt, 2016 ein neues Werk in Indonesien zu eröffnen. Kapazität: weit über 200.000 Fahrzeuge. Nissan und Honda planen ebenfalls ihre Kapazitäten aufzustocken - auf 180.000 bzw. 250.000 Fahrzeuge. General Motors will ein Werk bauen und sogar der französische Autokonzern PSA denkt dem Vernehmen nach über eine eigene Fabrik in Indonesien nach.
Und wo bleiben die Deutschen?
"Es wird sicher schwer für die deutschen Hersteller diesen Vorsprung aufzuholen", sagt AHK-Hauptgeschäftsführer Rönnfeld, "für Volkswagen war und ist ASEAN bisher ein weitgehend weißer Fleck auf deren Produktionslandkarte".
Den Wolfsburgern ist das Potenzial des Marktes nicht gänzlich entgangen. 2009 ging VW eine Partnerschaft mit Indomobil ein. Seither werden in Jakarta zwar Fahrzeuge montiert, aber eben nicht gefertigt. Ähnliches gilt für Malaysia, wo VW mit Partner DRB-Hicom seit drei Jahren teilzerlegte Fahrzeuge zusammensetzt.
Erst jetzt beginnen die Volkswagen-Manager den Markt systematisch zu bearbeiten. Die ASEAN-Region soll im Rahmen der Strategie 2018 eine wichtige Rolle spielen. So planen die Wolfsburger sowohl in Indonesien als auch Thailand den Aufbau von Produktionskapazitäten - zunächst für die Fertigung von 50.000 Fahrzeugen in Indonesien. Mittel- bis langfristig soll zwischen vier- und fünfhunderttausend Autos vor Ort gebaut werden. Die Angebotspalette soll wachsen. Volkswagen ist mit VW, Skoda, Audi und Volkswagen Nutzfahrzeuge im Markt.
Die Expansion zieht die deutsche Zulieferindustrie an. Bosch und SchaefflerConti bereiten den Auf- und Ausbau regionaler Produktionskapazitäten vor. "Viele weitere sind in der Vorbereitungsphase", weiß Rönnfeld, der die Unternehmen vor Ort berät und unterstützt.
Die Aufholjagd hat begonnen. Doch Volkswagen muss Gas geben, um gegen die jetzt schon hervorragend aufgestellten japanischen Konzerne anzukommen. Sie sind den deutschen Wettbewerbern um Jahre voraus - haben ein vielfaches der Kapazitäten aufgebaut, die Volkswagen jetzt erst installiert. Die Marken sind etabliert, Vertriebsstrukturen längst optimiert und die Prozesse mit einer ganzen Armada von Zuliefererbetrieben abgestimmt.
Jan Rönnfeld von der AHK Indonesien glaubt, dass der Einstieg in den Markt trotzdem gelingen kann: "Der indonesische Automobilmarkt wächst jährlich um 20 bis 30 Prozent. Und in einem wachsenden Markt ist es leichter möglich Marktanteile zu gewinnen, als in einem reinen Marktverdrängungsprozess."