Audi A4 im Test Kein Dienstwagen für Spießer

Auch als Limousine macht der neue Audi A4 eine gute Figur. Er ist der perfekte Dienstwagen - mit ein paar Extras für Sicherheit und Komfort. Und der Wagen ist trotz Mittelklasse ganz und gar nicht mittelmäßig.

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Audi A4 Quelle: Audi

"Langweilig", lautet der erste Kommentar meiner Tochter beim Anblick des Testwagens: Der neue Audi A4. In Silbermetallic. Mit Frontantrieb. Mit Stufenheck, also als ganz klassische Limousine. Einen SUV hätte sie cooler gefunden, also jene neumodische Auto-Spezies, die heute nicht nur bei Großstadt-Gören für Freiheit und Abenteuer steht. Wenn es wenigstens so ein stylischer Crossover wäre, mit dem Volvo unter der Bezeichnung "Cross Country" neuerdings auf Kundenfang geht - ein skurriler Zwitter aus Limousine, SUV und Coupé, langgezogen, hochgebockt, flachgeklopft. Aber eine Limousine? Wer fährt denn so etwas noch?

Dienstwagen sind Limousinen

Viele Geschäftsreisende beispielsweise: Nicht nur in Deutschland stehen viertürige Reiselimousinen immer noch ganz oben in der Gunst der Flottenmanager. Das sichert dem Audi A4 - hinter VW Golf und VW Passat - bei den gewerblichen Zulassungen immerhin Platz 3 in der Verkaufsstatistik. Aufstrebende Führungskräfte im deutschen Mittelmanagement und selbständige Handwerker mögen sich hierzulande zwar eher für die "Avant" genannte Kombiversion des Audi entscheiden. Aber Deutschland ist ein Sonderfall. In Nordamerika und China, aber auch in Frankreich oder Großbritannien fristen Kombi-Versionen in der gehobenen Mittelklasse ein Nischendasein, sind bäh - und langweilig.

Viva la Evolution!
Audi A4 Quelle: Audi
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Die Stufenheck-Ausführung des Audi A4 vom Typ B9, die vor einigen Wochen in den Handel kam, ist also für den Weltmarkt gemacht und so gesehen das Brot-und-Butter-Auto des Audi-Konzerns: Der Vorgänger B8 war im Produktionsjahr 2014, in dem sich der Modellwechsel bereits abzeichnete, mit rund 225.000 verkauften Limousinen immer noch ein Bestseller, hinter dem SUV Q5 und der Stufenheck-Ausführung des Audi A6.

Der Audi A4 Avant hingegen rangierte mit einem Absatz von knapp 84.000 Exemplaren in der Verkaufsstatistik nur unter "ferner liefen". Selbst die Stufenheck-Ausführung des Kompaktmodells Audi A3 verkaufte sich 2014 besser.

Stufenheck-Limousine und Spießer gehören nicht mehr zusammen

So viel zur Ehrenrettung einer Karosserieform, deren Geschichte bis ins Kutschenzeitalter zurückreicht - erfunden hat sie angeblich der Wagenmeister von König Friedrich Wilhelm von Preußen um das Jahr 1660 für eine Reise von Berlin nach Paris - die Typenbezeichnung "Berlina", die heute noch in einigen Märkten gebräuchlich ist, rührt daher.

Im Automobilbau ist die Bauform seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts Standard und in angelsächsisch geprägten Regionen als Sedan bekannt. So viel zur Historie - und zur Ehrenrettung der klassischen Limousine, die hierzulande stark diskreditiert wurde, als in Deutschland um 1965 herum die Diarrhö grassierte und Klopapierrollen mit Häkelmützchen auf der Hutablage Pflichtzubehör wurden. Stufenheck-Limousine und Spießbürger bilden seitdem in Deutschland ein festes Begriffspaar, obwohl heute kaum jemand mehr Hut trägt und der flotte Otto dank "Tank & Rast" und Imodium längst seinen Schrecken verloren hat.

Die Kunst der Fuge

Aber genug der Historie und der soziologischen Betrachtungen. Ja, ein Häkelmützchen oder auch einen Hut fände auf der Ablage hinter der Rücksitzbank immer noch Platz. Aber ansonsten ist am neuen Audi A4 überhaupt nichts spießig. Abgesehen vielleicht von der Akribie, mit der bei diesem Auto die Teile zusammengefügt wurden - so geringe Toleranzen, so kleine Spaltmaße zwischen den Blechen der Außenhaut oder den Bauteilen des Cockpits kriegt kaum ein anderer Autohersteller hin.

Ein Meisterwerk des Formenbaus wie der plastischen Kunst ist die Motorhaube, die sich mit einer Spannweite von 2,15 Metern bis tief in die Kotflügel streckt und die komplette Front übergreift. Das verbessert die Aerodynamik - und erfreut jeden, der ein Gefühl für Präzision hat und die Kunst der Fuge liebt. Kunstvoll choreographiert sind auch die Bewegungsabläufe der Mechanik - auch hier zeigt sich am neuen A4 die Liebe der Audi-Ingenieure zum Detail.

Edle Innenausstattung überzeugt

Die Langeweile der Tochter ist vollends verflogen, als ich über die beleuchteten Einstiegsleuchten hinweg den in edlem Nappaleder ausgeschlagenen Innenraum besteige und den silbernen Startknopf in der Mittelkonsole drücke. Dieser - noch so ein neumodischer Quatsch - ersetzt das Zündschloss und macht den Schlüssel zum Handschmeichler, den man aber besser in die Hosentasche steckt, um ihn nach abrupten Fahrmanövern nicht in den Tiefen des Fußraums suchen zu müssen.

Das Einschalten der Zündung per Knopfdruck jedenfalls sorgt für Lichteffekte, die eher an Star Wars erinnern denn an Großvaters Simca: Aus der Satellitenperspektive von Google Earth blicke ich auf unser Wohngebiet. Drehzahlmesser und Geschwindigkeitsanzeige sind als kleine Uhren an den Rand der Cockpitanzeige gerutscht, zur Nebensache geworden. Das so genannte virtuelle Cockpit, über das der Testwagen verfügt, erlaubt es dem Fahrer, die Anzeigen ganz nach seinem Geschmack zu konfigurieren - als klassische Anzeige oder als Showbühne für Navigation oder Entertainment.

Besteuerungsvarianten bei Dienstwagen

Da die Fahrdaten und Navigationshinweise mit Hilfe eines Head-up-Displays zusätzlich in die Windschutzscheibe projiziert werden, können der hochauflösende 8,3 Zoll große LCD-Bildschirm in der Mittelkonsole und das 12,3 Zoll große, volldigitale Kombiinstrument hinter dem Lenkrad andere Informationen einspielen. Digital Natives und die Angehörigen der Generation Z, zu der meine Tochter zählt, können sich daran nicht satt sehen. Als Angehöriger der Generation W muss ich mich an das Geflimmer vor mir erst einmal gewöhnen, da zumindest auf den ersten 100 Kilometern der Fahrt und speziell im Stadtverkehr die Ablenkungsgefahr durch die rotierenden Satellitenbilder doch recht groß ist.

Es lenkt aber auch ab von den Qualitäten des Fahrwerks und des Antriebs, vom Genuss am Komfort, den der Testwagen bietet: Eine spezielle Akustikverglasung dämmt den Innenraum vor Außengeräuschen ebenso wirksam wie die Fünf-Lenker-Achsen Unebenheiten in der Fahrbahn kaschieren. Eine Siebengang-Automatik wählt mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit die perfekte Gangstufe zur jeweiligen Fahrsituation. Und im Hintergrund suchen Kameras und Radarsensoren die Straße Hindernissen und Tempolimits ab - auf Wunsch wird dann automatisch gebremst und beschleunigt. Immerhin einige Sekunden lang kann der Fahrer auf der Autobahn auch schon einmal das Lenkrad aus der Hand geben und die Steuerung des Autos dem genannten Active Lane Assistenten überlassen. Man kriegt so einen kleinen Vorgeschmack auf das automatisierte Fahren.

Der ideale Geschäftswagen

Zum Wohlbefinden trägt auch der 190 PS starke Vierzylinder bei, der vorne unter der Haube dieses A4 werkelt, leise und selbst bei höheren Drehzahlen nicht aufdringlich. Es ist, nein, ausnahmsweise mal kein Diesel, sondern ein Ottomotor mit zwei Litern Hubraum. Es ist ein echtes Hightech-Kraftpaket mit einem Drehmoment von 320 Newtonmeter, mit dualer Benzin-Direkteinspritzung, Abgasturboladung und einem Valvelift genannten System. Dahinter steckt ein neues Brennverfahren, bei dem die Ventile im Alltagsbetrieb wesentlich früher schließen als bei einem konventionellen Viertakter.

Das Ergebnis ist ein höheres Verdichtungsverhältnis und - was Nicht-Ingenieure eher beeindrucken wird - ein höherer Wirkungsgrad des Motors sowie eine bessere Leistungsentfaltung. Im Klartext: Der Motor zieht besser durch, läuft kultivierter und kommt mit weniger Sprit aus. Audi verspricht Sprints mit der Ultra genannten Motorisierung aus dem Stand auf 100 km/h in sieben Sekunden und einen Kraftstoffverbrauch von im Schnitt 4,8 Litern Super.

Das gilt aber natürlich nur, wenn der knapp 1,5 Tonnen schwere Wagen wie im NEFZ-Fahrzyklus und auf der Autobahn mit maximal 120 km/h bewegt wird. Aber wer macht das schon? In freier Wildbahn und im Fahrmodus Dynamik ist ein Durchschnittsverbrauch um die acht Liter realistischer. Der Tankinhalt von 54 Litern - neun Liter weniger als beim Vorgänger - reicht damit für rund 600 Kilometer Reichweite. Wer sich vom Bordcomputer leiten lässt, kommt sicher auch auf Verbräuche um die sieben Liter und entsprechend größere Radien: Anhand der Daten des Navigationssystems über Straßenprofile und Tempolimits errechnet das System die optimale Geschwindigkeit und gibt mit einem kleinen grünen Fußsymbol Empfehlungen, wann der Tritt aufs Gaspedal keinen Sinn mehr macht.

Zurücklehnen und genießen

Die Zeichen stehen also auf Entspannung im neuen Audi A4. Also zurücklehnen und genießen. Selbst die Sportsitze bieten jede Menge Komfort, das Platzangebot ist auch für die Hinterbänkler großzügig. Total Relax heißt der Sender im Digitalradio, der perfekt zu einer Langstreckentour mit dem Audi A4 passt. Mit den neuen, intelligenten wie lichtstarken Matrix-LED-Scheinwerfern an Bord gilt das sowohl für Fahrten bei Tag wie bei Nacht.

Die Limousine ist insofern ein idealer Geschäftswagen, der den Manager entspannt ans Ziel trägt. Muss der A4 gelegentlich auch größere Mengen Gepäck transportieren oder größere Gegenstände, dann kommt der Laderaum bauartbedingt schnell an seine Grenzen: Die Heckscheibe steht relativ flach, der Kofferraumdeckel ist kurz. Die Designer haben der Limousine dadurch eine dynamische Optik gegeben.

Die Kehrseite ist eine Höhe des Kofferraum von nicht einmal einem halben Meter bei einer Tiefe von einem Meter. Um die Ladekapazität von 480 Litern voll ausnutzen zu können, braucht es schon eine gehörige Portion Organisationstalent - und lange Arme. Das ist dann der Moment, wo ich mich frage, ob ein Avant nicht doch die bessere Wahl wäre.

Vollends ins Grübeln komme ich allerdings bei der Betrachtung der Preisliste. Die Basisversion liegt mit einem Preis von 30.650 Euro zwar noch im Bereich von Normalverdienern. Aber inklusive all der wunderbaren, Sicherheit und Komfort stiftenden Features kratzt das Auto schnell an der Oberklasse: Der Testwagen stand mit einem Neuwagenpreis von über 56.000 Euro in der Liste. Da braucht es dann entweder einen guten Arbeitsvertrag samt einem hohen Status in der Dienstwagen-Hierarchie. Oder man wartet, bis die ersten Leasingverträge auslaufen - in zwei Jahren sollte auch ein gut ausgestatteter Audi A4 erschwinglich sein. Und auch mit 90.000 Kilometern auf dem Tacho noch nicht viel von seiner Faszination verloren haben.

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