Aufarbeitung der NS-Zeit VW bestraft Zivilcourage – und sich selbst

Nach dem Diesel-Desaster verheddert sich Volkswagen nun im Skandal um die mangelhafte NS-Aufarbeitung durch die Konzerntochter Audi. Am Fall seines nicht mehr erwünschten Chefhistorikers Manfred Grieger demonstriert der Konzern, dass er Zivilcourage nicht wünscht – dabei könnte sie Skandale verhindern.

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Quelle: AP

Die unwillige und mangelhafte Aufarbeitung der NS-Vorgeschichte des Audi-Konzerns und sein dilettantischer Umgang mit den vorliegenden Ergebnissen ist ein klassischer bundesrepublikanischer Skandal. Sieben Jahre nach seinem Beginn ist dieser Skandal nun wieder dort angekommen, wo er ursprünglich anfing: in der Zentrale der Audi-Konzernmutter Volkswagen. Denn 2009 dachte der damalige VW-Alleinherrscher Ferdinand Piëch plötzlich über eine mögliche neue Dachmarke des Unternehmens nach.

Piëch brachte den Namen Auto Union ins Spiel – und warf damit ohne Not Fragen auf nach der 1932 begonnenen Geschichte des sächsischen Unternehmens. Aus dessen Trümmern entstand nach dem Krieg im Westen Audi, und zwar unter Beibehaltung des belasteten Führungspersonals. Audi sah sich stets in der Tradition von Auto Union und nutzte die ruhmreichen Silberpfeil-Rennwagen fürs eigene Marketing.

Wirtschaftswoche-Recherchen belegten 2010: Auto Union war weit schwerer ins Nazi-Regime und seine Verbrechen verstrickt als man es in Wolfsburg und bei der Premium-Tochter in Ingolstadt wahr haben wollte. Eine unabhängige, umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung dazu hatte es nie gegeben. Offen war deshalb die Frage, wieviel Verantwortung die Auto-Union und spätere Audi-Topmanager daran trugen, dass 4500 KZ-Häftlinge, die als Zwangsarbeiter im für Auto Union fungierenden böhmischen KZ-Außenlager Leitmeritz eingesetzt wurden, von Herbst 1944 bis Frühjahr 1945 zu Tode kamen.

Gleichzeitig ist der Skandal nun da angekommen, wo er von Anfang an hin gehörte hätte: in der breiten deutschen Öffentlichkeit – und auch dies dank Volkswagen. Hatten bisher nur WirtschaftsWoche und jeweils einmalig "Süddeutsche Zeitung" und "Die Welt" entdeckt, wie schwer sich Audi im historischen Kontext tat, macht nun die Trennung des Wolfsburger Konzerns von seinem langjährigen und renommierten Chefhistoriker Manfred Grieger zu einem für Wirtschaft und Kultur der Bundesrepublik großen Thema. Der Abgang Griegers ist natürlich nur vordergründig "einvernehmlich", sondern von Volkswagen erzwungen.

Grieger muss gehen, weil er die 2014 vorgelegte Aufarbeitung der Auto-Union-NS-Historie durch Audi als mangelhaft kritisierte. Es rächt sich, dass Audi-Vorstandschef Rupert Stadler unter anderem einen Audi-eigenen Historiker mit der Aufarbeitung beauftragt hatte. Die Unabhängigkeit der Studie stand dadurch von vornherein in Frage. Und Wolfsburg wusste Bescheid: Wie Audi umgehen wollte mit den unbequemen Erkenntnissen zu Auto Union, das trug Audi-Vorstandschef Rupert Stadler seinerzeit in Wolfsburg vor. Die Haltung von Audi war dabei von damals bis heute defensiv und zögerlich.

Volkswagen aber gesteht Grieger eine unabhängige Einschätzung des Auto-Union-Werkes offenbar nicht zu – und versteckt sich hinter dem Argument, Grieger hätte seine Kritik früher und konzernintern vortragen müssen. Gerade dafür aber fehlte im VW-Konzern vermutlich das richtige Klima. 

Es war ein Klima, in dem sich auch die heute bekannten Abgasmanipulationen bei Dieselmotoren stillschweigend zu einem globalen Skandal auswuchsen. Zivilcourage hätte bedeutet, dass interne Mitwisser gewarnt hätten vor dem Fehler. Aber Zivilcourage wird in den Boni-Regeln des Konzern offenbar nicht belohnt. Wenn man das bisher nur ahnte – mit der Personalie Grieger hat Volkswagen den Beweis noch einmal geliefert.

Und die Wirkung der fatalen, nun von renommierten Wissenschaftlern massiv kritisierten Personalentscheidung hat der Konzern ebenso unterschätzt hat wie Piëch im Herbst 2009 seinen fahrlässigen Dachmarken-Vorstoß.

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