Verbraucherschützer fordern weitgehendere Informationen über Rückrufe vom Kraftfahrtbundesamt (KBA). „Die Darstellung des Kraftfahrtbundesamtes ist ziemlich unübersichtlich, gerade weil die Rückrufe zunehmen“, sagte Marion Jungbluth, Leiterin des Teams Mobilität und Reisen beim Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin.
Es brauche ein modernes Tool oder eine Datei, welche die Informationen verbraucherfreundlich aufbereiteten. Verbraucherschutz müsse „Aufsichtsziel“ des KBA werden, sagt sie. Die Bundesregierung prüfe das derzeit.
Bislang können Nutzer auf der Seite des KBA lediglich nach einem Modell suchen und so herausfinden, ob ihr Wagen oder auch andere Autos von einem Rückruf betroffen sind. Ein Vergleich ist aufwendig. Das KBA verwies auf Nachfrage auf die jährliche Veröffentlichung der Rückrufe. Einmal im Jahr gibt die Behörde eine Gesamtzahl bekannt, ohne allerdings auf Modelle einzugehen.
Sowohl die Zahl der Produktsicherheitsuntersuchungen als auch die der Rückrufe ist danach in den vergangenen fünf Jahren stetig gestiegen. Nicht nur der VW-Skandal, auch Probleme mit dem Airbag-Hersteller Takata hatten zuletzt die Zahlen in die Höhe getrieben. Hinzu kommt die Baukastenbauweise vieler Hersteller, die dazu führt, dass ein defektes Bauteil gleich mehrere Modelle trifft.
US-Behörde als Vorbild?
Nach Jungbluths Meinung müssten die Verbraucher auch Informationen darüber erhalten, wie ein Mangel einzuschätzen ist. Darüber hinaus müsse darauf hingewiesen werden, wenn sich Fahrzeugeigenschaften wie etwa der Verbrauch durch Nachbesserung im Falle eines Rückrufs ändere, so Jungbluth.
Vorbild könne ihrer Ansicht nach die Übersicht der US-Behörde NHTSA sein. Dort können Autokäufer anhand einer Identifikationsnummer sehen, ob ein Wagen bei einem Rückruf repariert wurde. Aber auch die Seite des ADAC, wo mehrere Rückrufe parallel angezeigt werden, hält Jungbluth für hilfreicher als die Aufstellung des KBA.
Fünf Gründe für die häufigen Rückrufe
Die technische Komplexität der Fahrzeuge ist in den letzten 10 bis 15 Jahren enorm gestiegen, wodurch die Fahrzeuge zwar grundsätzlich sicherer geworden sind. Allerdings führte die technische Komplexität auch zu einem Anstieg der Fehlerhäufigkeit und Fehleranfälligkeit. Hierzu tragen unter anderem passive und aktive Sicherheitssysteme (wie ABS, ESP, Airbags; Fahrassistenzsysteme) bei, die gleichzeitig die Fahrzeugsicherheit deutlich erhöht haben. Darüber hinaus sind motortechnische Optimierungen (Start/Stopp-Systeme, Aufladung etc.) sowie zahlreiche Komfortmerkmale wie etwa Navigations-, Telefon und Internetdienste im Fahrzeuge zu nennen. Es ist zu erwarten, dass im Zuge der Entwicklung weiterer Komfort- und Sicherheitsfeatures auch künftig der Komplexitätsgrad der Fahrzeuge zunimmt.
Quelle: "Die Rückruf-Trends der globalen Automobilhersteller im Jahr 2014 (AutomotivePeformance 2015)" des Center of Automotive Management
Die Produktentwicklungszyklen wurden in den vergangenen zehn Jahren deutlich verkürzt. Aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität der Branche bringen die globalen Hersteller in immer kürzerer Zeit neue Modelle bzw. Derivate in Umlauf und verbreitern damit ihr Produktportfolio kontinuierlich. Wer es schafft, mit neuen Modellen beziehungsweise Modellvarianten schnell am Markt zu sein, hat im globalen Wettbewerb Vorteile. Der hohe Zeitdruck in der Produktentwicklung wirkt sich negativ auf
die Qualitätssicherung aus.
Um Kosten-, Zeit- und Innovationsvorteile zu realisieren, wurden erhebliche Teile der Wertschöpfung auf die Automobilzulieferer übertragen. Ihr Wertschöpfungsanteil ist mittlerweile auf rund 75 Prozent gestiegen. Gleichzeitig steigen mit dieser Verlagerung die Anforderungen an unternehmensübergreifendes Qualitätsmanagement, das darüber hinaus auf globaler Ebene sichergestellt werden muss. Es muss einerseits nicht nur die eigene Produktqualität, sondern auch durch geeignete Prozesse die Teilequalität der globalen Lieferanten gesichert werden. Andererseits steigt die Komplexität eines Qualitätsmanagement auch dadurch, dass die Automobilhersteller nicht nur die zugelieferten Teile, sondern meist auch die Qualität der international verteilten Produktionsanlagen ihrer Zulieferer einschätzen und durch Prozesse absichern müssen.
Die Automobilhersteller stehen aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität auch unter enormen Kostendruck. Gleichzeitig geben die Hersteller den Kostendruck an die Automobilzulieferer weiter, die dazu angehalten sind, ihre eigene Kosten beziehungsweise die ihrer Teile- und Rohstofflieferanten zu drücken. Hier besteht die Gefahr, dass der Kostendruck auf zu Ungunsten der Produktqualität geht.
Um Kosten zu sparen und die Entwicklungsgeschwindigkeit zu erhöhen, müssen die Hersteller zunehmend auf Gleichteile- oder Baukastenstrategien setzen. Hierbei nutzen die OEM die gleichen Komponenten und Module in möglichst vielen Modellen, um von den hiermit verbundenen Mengeneffekten zu profitieren. So plant BMW etwa die Zahl der hergestellten Fahrzeuge je Plattform bis zum Jahr 2019 etwa zu verdoppeln, Volkswagen (durch die Einführung des MQB) diese sogar fast zu verdreifachen. Diese Strategie entwickelt sich zu einem wichtigen Erfolgs- und Überlebensfaktor der Hersteller, da sich aus ihr erhebliche Kostenvorteile ergeben können. Gleichzeitig steigt jedoch das Risiko, dass bei Qualitätsproblemen einzelner Teile oder Komponenten eine große Menge von Fahrzeugen über Baureihen hinweg zurückgerufen werden müssen.
Dabei stützt sich der ADAC selbst nicht auf Daten des KBA, sondern auf Informationen, die der Verein von seinen Mitgliedern oder Werkstätten erhält. Die Sammlung erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, heißt es beim ADAC. Die alleinige Höhe der Rückrufe sei aber auch nicht unbedingt ein Grund zur Besorgnis, sondern könne auch ein Zeichen dafür sein, dass ein System funktioniere, sagte ein Sprecher. Auch beim Auto Club Europa (ACE) sieht man keinen Sinn in einer weitreichenderen Rückruf-Datei.
Wer wissen will, wie viele Rückrufe es allein in Deutschland und bei den deutschen Herstellern in diesem Jahr bislang gegeben hat, kann sich nur annähern: Die einzige Zahl, die das KBA veröffentlicht, ist die „freiwillige Serviceaktion“ für 630.000 Autos verschiedener Hersteller nach den Abgasprüfungen im April.
Der Autohersteller Daimler spricht darüber hinaus von „zwei bis drei Dutzend“ Rückrufen. Genaue Zahlen seien irreführend, weil zum Teil nur eine Handvoll Fahrzeuge im eigenen Fuhrpark betroffen seien. BMW nennt zwei Rückrufe wegen Problemen mit Airbags und der Befestigungsbügel für Kindersitze, von denen etwa 122.000 Fahrzeuge waren.
Volkswagen hat neben den angekündigten 2,4 Millionen mit dem Dieselmotor EA 189 ausgestatteten Autos knapp 200.000 Fahrzeuge der Marke VW in die Werkstätten beordert. Die VW-Tochter Audi hat neben 1600 Autos wegen defekter Schiebedächer auch 160 Fahrzeuge mit Takata-Seitenairbags zurückgerufen. Bei Porsche mussten ein Sicherungsring am Fußhebelwerk bei 30.600 Cayenne und Befestigungsschrauben an den Gurten bei 114 der in Manufaktur gefertigten 918 Spyder kontrolliert werden.