Was haben der Videorekorder, der Commodore64 und Tetris gemeinsam? Sie alle wurden einst auf der Consumer Electronics Show (CES) der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Zwar geht es heute auch noch um gebogene Großdisplays oder skurrile Erfindungen wie eine Haarbürste mit eingebautem Mikrofon, doch die eigentlichen Stars der vergangenen Messen in Las Vegas waren die Autos.
Dabei geht es nicht unbedingt um PS-strotzende Sportwagen und dicke SUV. Im Fokus steht, was sich die Hersteller für die Zukunft ausdenken. Neuheiten zum autonomen und vernetzten Fahren werden auf der Elektronikmesse in der Wüste Nevadas gezeigt, die PS-Boliden eine Woche später auf der Automesse in Detroit.
Zur Person
Wolfgang Bernhart ist Partner im Stuttgarter Automotive Kompetenzzentrum von Roland Berger.
Stephan Keese ist Partner und Autoexperte im Chicagoer Büro von Roland Berger und beobachtet von dort aus die Entwicklungen auf dem US-Markt.
Im Interview erklären Wolfgang Bernhart und Stephan Keese, Auto-Experten bei der Unternehmensberatung Roland Berger, die aktuellen Trends, wie sich die Verhältnisse zwischen Autobauern, Zulieferern und UT-Konzernen verschieben und was ein On-Demand-Gefährt eines Mobilitätsdienstleisters vom heutigen Familienauto unterscheidet.
WirtschaftsWoche Online: Digitalisierung und Vernetzung sind zu geflügelten Worten in der Autoindustrie geworden, einige Konzerne zieht es sogar auf die Elektronikmesse CES. Wie ernst meinen es die Hersteller wirklich?
Wolfgang Bernhart: Die CES war auch schon vor einigen Jahren ein Thema, als das Schlagwort Digitalisierung noch nicht in aller Munde war. Die Vernetzung des Fahrzeugs mit der Umwelt und der persönlichen Cloud ist nicht mehr wegzudiskutieren. Solche Funktionen erwarten auch immer mehr Kunden in einem neuen Auto. Sie wollen immer und überall erreichbar sein – auch in der Zeit im Auto. Dazu kommt, dass die Vernetzung auch bei der Elektromobilität eine wichtige Rolle spielt, etwa wenn ich eine freie Ladesäule finden will. Diese Entwicklungen ignoriert kein Hersteller.
Haben die Autokonzerne schon die volle Tragweite der Digitalisierung erkannt?
Bernhart: Auch wenn es pathetisch klingt: Wir haben alle noch nicht verstanden, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf unser Leben und unsere Arbeit in den nächsten 20 Jahren haben wird. Die Autokonzerne arbeiten aber systematisch daran – auch wenn viele Konzepte und Gedankenspiele sicher im Papierkorb landen werden.
Die Vorreiter der Digitalisierung sind die großen IT-Konzerne. Ist die Beziehung zwischen Tech-Firmen und Autoherstellern ein Gegen- oder ein Miteinander?
Bernhart: Bei den Tech-Firmen muss man zwischen den Internetkonzernen und den Halbleiter-Herstellern unterscheiden. Die Halbleiter-Hersteller haben bereits Partnerschaften und Kooperationen mit Autobauern und Zulieferern. Bei den Internetkonzernen ist vor zwei, drei Jahren der Eindruck entstanden, es sei mehr ein Gegen- als ein Miteinander. Doch auch das nähert sich eher dem Szenario bei den Halbleiter-Herstellern an. Wir sehen bereits die ersten Partnerschaften von großen Auto- und Internetkonzernen wie etwa Fiat Chrysler und Google. Beide Seiten haben erkannt, dass eine Zusammenarbeit in bestimmten Feldern sinnvoll ist.
Im Geschäft mit den Auto-Daten konkurrieren die Autokonzerne nicht nur mit den IT-Firmen, auch ihre klassischen Zulieferer wollen bei der Vernetzung mitspielen. Welche Rolle werden ZF, Bosch, Conti und Co. einnehmen?
Bernhart: Die Vernetzung läuft über das Fahrzeug. Und damit sitzt derjenige, der das Fahrzeug kontrolliert, am längsten Hebel. In der Autoindustrie haben noch die Hersteller selbst diese Gatekeeper-Rolle, sie geben den Ton an. Das muss aber nicht auf Dauer so sein, das können IT-Firmen oder die Zulieferer ändern. Das hat die Mobilfunk-Industrie gezeigt: Die Kontrolle liegt nicht mehr bei den Telekom-Anbietern und – mit Ausnahme von Apple dank seines geschlossenen Systems – auch nicht bei den Smartphone-Herstellern, sondern bei den Software-Anbietern.
Sind da die großen, finanzstarken Player im Vorteil?
Bernhart: Auch kleine Unternehmen können in ihrer Nische eine bedeutende Rolle spielen. Gerade, wenn man nicht nur an die Autoindustrie denkt, sondern an eine Schnittstelle wie die Unterhaltungselektronik oder Connectivity. Bei Bluetooth-Verbindungen zum Beispiel kommt man an einem bestimmten Unternehmen kaum vorbei.
Stephan Keese: Dazu kommt auch, dass die Autobauer zurzeit ihre Angebote und ihre Geschäftsmodelle auf den Prüfstand stellen. Früher haben sie von einem Zulieferer Komplettsysteme gekauft, die nach rund drei bis vier Jahren ein Update erhalten haben. Heute gehen sie dazu über, nur noch Komponenten zu kaufen und die Software selbst weiter zu entwickeln. Diese können sie dann regelmäßig per Funk in die Autos übertragen, wie ein Softwareupdate beim Smartphone. Zulieferer denken und arbeiten noch nicht in so kurzen Zyklen.
„Nur wenige Hersteller können alles selbst machen“
Müssen die Autobauer die Software dann selbst entwickeln?
Keese: Nur drei oder vier Autokonzerne haben die Fähigkeiten und Kapazitäten, das selbst zu machen. Das lohnt sich aber auch nur, wenn die Funktionen markendifferenzierend sind – sprich sie sich mit der eigenen Lösung vom Wettbewerb abheben können. Nicht jeder Hersteller wird jede kleine Standard-Funktion selbst entwickeln. Trägt es nicht zur Markenbildung bei, werden die großen und die kleinen Hersteller weiter auf Zulieferer zurückgreifen. Das heißt dann, dass die Zulieferer sich an diese Anforderungen anpassen müssen.
Bernhart: Etwas Ähnliches lässt sich zurzeit in China beobachten. Dort liegen die Produktentwicklungszeiten für Infotainment- und Connectivity-Lösungen in der Regel unter 18 Monaten. Das sind zwar oft Standard-Lösungen und bei weitem nicht so angepasst wie die Systeme deutscher Hersteller, aber es geht. In diesem Zeitraum ein komplettes Infotainmentsystem zu entwickeln, müssen westliche Zulieferer erst noch lernen.
Die Highlights der CES 2017
Samsung erneuert seine Smartphone-Mittelklasse. Im Gegensatz zu den Top-Modellen der S-Reihe gibt es bei den A-Modellen leichte Abstriche beim Chip, Display und Kamera. Für die meisten Nutzer reicht das aber dennoch völlig aus. Verkaufsstart ist im Februar.
Ebenfalls auf die Mittelklasse zielt das HTC X10. Der Nachfolger des X9 dürfte vor allem mit einem kolportierten Preis von 290 Dollar punkten.
Asus erneuert sein Chomebook – das sind Netbooks auf Basis des Google-Betriebssystems chromeOS. Viel ist noch nicht bekannt, spekuliert wird über ein 12,5-Zoll-HD-Display und (ähnlich der Macbooks) nur noch USB-C-Anschlüsse.
Beyerdynamic verspricht neue In-Ear-Kopfhörer der Spitzenklasse. Allerdings wohl auch zu einem Spitzenpreis von rund 1000 Dollar.
Auf der CES geht es nicht nur um autonome Autos und Smartphones. Samsung zeigt eine gewöhnungsbedürftige Kombination aus Waschmaschine und Wäschetrockner, bei der zwei Programme gleichzeitig laufen können. Soll Zeit und Energie sparen.
GoXtreme zeigt mit der Sphere WVR20 eine 4K-fähige Virtual-Reality-Kamera. Und dem Vernehmen nach auch eine VR-Brille.
LG treibt das Prinzip der drahtlosen Lautsprecher auf die Spitze: Der PJ9 schwebt dank starker Magnete einige Zentimeter über der Basisstation frei im Raum. Damit ist er sicher ein Hingucker auf der CES. Aber auch ein Klangwunder?
Virtual Reality ist einer der Trends auf der CES. Neben der Oculus Rift gehört die HTC Vive zu den verbreitetsten VR-Brillen. Gerüchten zufolge steht auf der CES die Premiere der zweiten Generation an, die ohne Kabel auskommen soll.
Blackberry hat angekündigt, keine eigenen Smartphones mehr herstellen zu wollen. Das letzte "echte" Blackberry-Gerät könnte auf der CES vorgestellt werden.
VW will in den kommenden drei Jahren 1000 IT-Experten in den unterschiedlichsten Bereichen anstellen. Ist das nicht viel zu spät?
Keese: Zu einzelnen Unternehmen äußern wir uns nicht. Aber generell gilt in der Branche: Das Problem ist nicht die Leute einzustellen, sondern die Leute zu finden. Eine solche Ankündigung kann auch ein Versuch sein, überhaupt die Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, um auch branchenfremde Fachkräfte zu erreichen. Das gilt übrigens auch in den USA: Im Großraum Detroit fehlen tausende Software- und Elektronikentwickler bei den großen drei US-Herstellern und ihren Zulieferern.
Dabei sind die US-Universitäten eigentlich recht nah an der Praxis.
Keese: Das ist richtig, der Lehre kann man keinen Vorwurf machen. In der Automobilentwicklung ist ein neuer Berufszweig entstanden, Software- und Elektronikingenieure waren früher einfach nicht gefragt. Im Fokus standen die klassischen Maschinenbauer. Das hat sich komplett gedreht, der Bedarf ist größer als das Angebot.
In Sachen Elektroantrieb und autonomes Fahren haben branchenfremde Unternehmen zuerst die Schlagzeilen und die Entwicklung bestimmt. Was müssen die Autobauer anders machen, damit sie bei den nächsten Megatrends von Anfang an vorne liegen?
Keese: Wir haben eine sehr traditionelle Industrie, die es gelernt hat, in Zyklen von sechs oder sieben Jahren zu denken. Die heutigen disruptiven Entwicklungen verändern grundsätzlich auch das Verhalten der Autobauer: Es wird mehr in Forschung investiert, Venture-Capital-Gesellschaften gegründet, Geschäftsmodelle hinterfragt. Dadurch werden die Konzerne automatisch agiler. Zudem haben sie verstanden, dass sie bei der Elektromobilität geschlafen haben.
Müssen die deutschen Autobauer von Tesla lernen?
Keese: Tesla wird von vielen gelobt, sie hatten auch zur richtigen Zeit das richtige Auto. Wenn ich mir aber die anstehenden Modellneuheiten der kommenden fünf Jahre anschaue, dann hat jeder namhafte Hersteller mindestens zwei bis drei reine Elektroautos mit annehmbarer Reichweite auf dem Markt. Dann wird auch Tesla wieder mehr an den Rand gedrängt. Die Autoindustrie ist nicht die innovativste, aber wenn sie sich auf einen Weg festgelegt hat, ist sie sehr gut und schnell darin.
„Mobilität funktioniert nach dem "Winner takes it all"-Prinzip“
Eine Stärke der deutschen Autoindustrie ist bislang ihr herausragendes Netz an Zulieferern und Partnern. Passen die Unternehmen dieses Netz schnell genug an die neuen Herausforderungen an?
Keese: Ja. In den Entwicklungsabteilungen sitzt bereits viel Knowhow, das gezielt mit Zukäufen gestärkt wird – teilweise wegen des Technologietransfers, teilweise einfach wegen der Kapazität. Beim reinen Venture Capital bin ich skeptisch: Echte Innovationen aus Start-ups gab es nur in überschaubarer Anzahl, der Großteil stammt nach wie vor von mittleren und großen Unternehmen. Auch wenn man die Investitionen der Zulieferer in Zukunftsthemen wie dem autonomen Fahren, Connectivity und Infotainment sieht, wird mir um die deutsche Autoindustrie nicht angst und bange.
Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens
Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.
Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.
Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.
Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.
Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert.
Wer hat in den bestehenden und entstehenden Kooperationen und Ökosystemen die besseren Karten?
Keese: Die deutschen Premiumhersteller sind hervorragend positioniert, wenn sie ihre Produkte gegen neue Mobilitätsdienste verteidigen müssen. Viele Menschen haben in der Familie zwei oder drei Autos. In Ballungsräumen brauche ich in Zukunft vielleicht nur noch ein Familienauto, der Rest wird mit On-Demand-Mobilität abgedeckt. Dann kann ich mir statt zwei Mittelklasse-Autos vielleicht ein teureres leisten. Auf der anderen Seite kann ist es möglich, dass heutige Volumenhersteller künftig in eine Art Auftragsfertigung für Mobilitätsdienste aufgehen. Dort wird die Spezifikation der Autos weniger vom Hersteller, sondern vom Mobilitätsanbieter vorgegeben.
Was meinen Sie mit „Spezifikation der Autos“? Werden diese sich von den heutigen unterscheiden?
Keese: Ja, die Anforderungen an ein Auto in Privatbesitz und ein On-Demand-Gefährt sind anders. Das eigene Auto steht den Großteil des Tages ungenutzt auf dem Parkplatz, während das Auto eines Mobilitätsdiensts möglichst die ganze Zeit im Einsatz ist. Deshalb braucht es andere Materialien im Innenraum, die haltbarer sind – eher wie in der Bahn oder im Flugzeug. Oder andere Funktionen für die Vielzahl der unterschiedlichen Nutzer, die es fahren werden. Das ist technologisch hoch anspruchsvoll, das sind keinesfalls Low-Tech-Fahrzeuge. Alleine schon deshalb, weil sich auch die Mobilitätsanbieter untereinander differenzieren müssen.
Das heißt aber auch, dass die Mobilitätsanbieter, die heute größtenteils defizitär arbeiten, kräftig investieren müssen.
Keese: Lassen Sie es mich mit Amazon vergleichen: Amazon könnte schon seit Jahren profitabel sein, würden sie nicht so viel investieren. Auch die Mobilitätsanbieter investieren in ihre Zukunft: Heute entfällt der größte Posten in ihren Ausgaben auf die Subventionen für die Fahrer. Werden sie den Fahrer mit autonomen Fahrzeugen los, entfällt der größte Kostenpunkt. Aber die Mobilität funktioniert heute nach dem „Winner takes it all“-Prinzip: Es wird am Ende zwei oder drei große Mobilitätsanbieter geben. Wenn sie heute nicht in Marketing und neue Geschäftsfelder investieren – und dabei Verluste in Kauf nehmen – haben sie langfristig keine Chance, vorne mitzuspielen.