
Gerade sechs Wochen ist es her, dass General Motors (GM) mit der Meldung schockte, die Werke Bochum und Ellesmere Port schließen zu wollen. Jetzt melden mehrere Medien erneut, dass sich GM von den beiden Standorten trennen möchten. Nach Informationen des "Handelsblatts" hat die Opel-Mutter bereits durchrechnen lassen, was die Werksschließungen kosten würden. Das Ergebnis: rund 1,5 Milliarden Euro. Diesen Betrag könnten sich die Amerikaner, die im vergangenen Geschäftsjahr einen Gewinn von rund 5,7 Milliarden Euro machten, ohne weiteres leisten.
Dagegen schreibt GMs Europageschäft - das ist Opel und zum kleineren Teil die britische Vauxhall mit dem Werk in Ellesmere Port - 2011 knapp 750 Millionen Dollar Verlust. Was der Spekulation um scharfe Einschnitte neue Nahrung gibt.
Einenkel fordert Opel-Task-Force
Die Mitarbeiter in Bochum sind in Aufregung versetzt. Der Chef des Betriebsrates, Rainer Einenkel, fordert die Landesregierung Nordrhein-Westfalens zur sofortigen Gründung einer Opel-Task-Force auf. „Die Landesregierung muss jetzt sofort eine Task Force gründen, um das Bochumer Opel-Werk zu retten“, sagte Einenkel der „Rheinischen Post“. Man müsse sich sehr große Sorgen machen, sagte Einenkel im "Westdeutschen Rundfunk". Das gelte aber nicht nur für Bochum.





„Es kann auch jedes andere Werk treffen, dass man Werksschließungen nicht nur androht, sondern möglicherweise umsetzt", sagte Einenkel. „GM hat wiederholt erklärt, dass es angesichts von Überkapazitäten von 500.000 Fahrzeugen pro Jahr zwei Werke zu viel gebe. Der neue Produktionschef hat ein Werk nach dem anderen besucht und spielt sie gegeneinander aus“, sagte ein Aufsichtsratsmitglied aus dem Arbeitnehmerlager.
Betriebsratsmitglied und IG Metall Bezirksleiter Armin Schild sagte, es werde nicht gelingen die Belegschaften und Standorte gegeneinander auszuspielen. Doch der Versuch beschädige das Unternehmen als Arbeitgeber und die Marke.
Gefährlicher Know-how-Verlust
Schild: "Opel hat kein Lohnkostenproblem, Opel hat ein Strategieproblem. Opel stellt längst den unteren Benchmark bei den Fertigungslohnkosten dar." GM fahre bei Opel seit zwanzig Jahren den alten "Crashkurs" nach dem Motto "dem sinken Marktanteil hinterher sparen".
Andere Automobilhersteller hätten gelernt elegante "make or buy"-Entscheidungen zu treffen und sparten damit nicht nur Kosten. "Sie bleiben dabei flexibel und innovativ". GM bleibe stattdessen stur bei einer "knallhart kostengetriebenen Kurzfristlogik" und baue Fertigungstiefe immer weiter ab, "obwohl das kaum zu Kosteneinsparungen, dafür aber zu massivem Know-how Abfluss und Flexibilitätsverlusten führe.
Der Betriebsrat des Autobauers war vor kurzem bereits auf Konfrontationskurs zum Management gegangen. Die Betriebsräte der Opel-Werke in Europa hatten die Unternehmensleitung und den US-Mutterkonzern aufgefordert, „konstruktive Gespräche“ mit der Belegschaft aufzunehmen.
Warum nicht Chevrolets in Bochum bauen?
Einenkel warnte den Konzern vor drastischen Einschnitten. „Ich glaube, wenn man Opel-Werke schließt, dann wird die Marke Opel endgültig den Bach runtergehen“, sagte er. Nötig sei viel mehr eine Wachstumspolitik. So könnten in den Opel-Werken Autos für Märkte außerhalb Europas oder für andere Konzerntöchter wie Chevrolet gebaut werden. Außerdem müsse Opel Zugang zu Wachstumsmärkten wie China bekommen.
Opel als Auslandsmarke etablieren
Bisher verwehrt die Mutter in Detroit seiner Tochter den Zugang zu Märkten außerhalb der EU. Das ist besonders bitter, da der europäische Automarkt stagniert, während sich die Absätze in den USA und China bei Marken bei Volkswagen, Audi, Daimler und BMW überaus positiv entwickeln. Dass Opel außerhalb Europas erfolgreich sein könne, zeigten die zaghaften Versuche in Russland. "60.000 Exportfahrzeuge auf Märkte außerhalb Europas sind sicher kurzfristig möglich", teilte Gewerkschafter Schild mit. "Mittel- und langfristig deutlich mehr." Damit könnten die Anlagen in Europa betriebswirtschaftlich sinnvoll ausgelastet werden. Milliardenverschlingende Aufwendungen für Personalabbau und Werksschließungen könnten stattdessen in Forschung und Entwicklung investiert werden.
Die Chronik des Opel-Dramas
Der Opel-Mutterkonzern General Motors (GM) kündigt ein Sanierungsprogramm für Opel an. 10.000 Stellen und somit fast jeder dritte Arbeitsplatz sollen wegfallen. 6.500 Mitarbeiter sollen per Abfindungen ausscheiden. GM will mit dem Sanierungsprogramm die Kosten seines defizitären Europa-Geschäftes um jährlich 500 Millionen Euro reduzieren.
4.500 Mitarbeiter haben Abfindungsverträge unterzeichnet und verlassen Opel bis Ende 2005 freiwillig. Von den Abfindungsverträgen entfallen 2.700 auf das Stammwerk in Rüsselsheim, 1.500 auf Bochum und 300 auf Kaiserslautern. Am Standort Bochum sollen bis 2007 weitere 1.500 Mitarbeiter per Abfindung ausscheiden.
Die Unternehmensleitung und Opel-Betriebsrat unterzeichnen den Zukunftsvertrag 2010. Damit sind betriebsbedingte Kündigungen bis 2010 vermieden und Werksschließungen bei Opel verhindert.
Absatzeinbruch und massive Verluste bei Opel – der Autobauer fragt beim Kanzleramt nach Hilfe an. Eine Bürgschaft von Bund und Ländern soll aushelfen: Opel benötigt eine Milliarde Euro Bürgschaften.
Der Mutterkonzern GM möchte 47.000 Stellen streichen, 25.000 davon außerhalb der USA. Nun möchte sich Opel von GM abkoppeln. Dafür braucht Rüsselsheim mehr Geld: 3,3 Milliarden Euro. Der Staat soll das Geld bereitstellen.
Ein Sanierungskonzept wird vorgelegt. Der damalige Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg bringt ein Insolvenzverfahren ins Gespräch. Die Bundesregierung führt parallel zu ihren Verhandlungen mit der Opel-Mutter General Motors (GM) Gespräche mit potenziellen Investoren. Bundeskanzlerin Angela Merkel verspricht Bürgschaften für einen Opel-Investor.
Der italienische Fiat-Konzern und der österreichisch-kanadische Autozulieferer Magna zeigen Interesse.
Vertreter von Bund, Banken und Ländern einigen sich auf eine Zwischenfinanzierung im Rahmen von 1,5 Milliarden Euro an staatlich verbürgten Krediten für den angeschlagenen Autobauer. Nun bieten Fiat, Magna und die in Belgien ansässige Ripplewood-Tochter RHJ International (RHJI) für Opel. Zu Guttenberg bringt den chinesischen Autokonzern BAIC an den Verhandlungstisch.
GM meldet Insolvenz an. Opel erhält eine erste Finanzspritze des Staates. BAIC und RHJI legen Angebote auf den Tisch. Fiat hat sich aus den Verhandlungen bereits im Mai zurückgezogen. Die Länderchefs und die Bundeskanzlerin befürworten aber den Einstieg Magnas und der russischen Sberbank. Nun steigt auch BAIC aus dem Bieterverfahren aus. RHJI hat dagegen schon einen unterschriftsreifen Vertrag mit GM, sagt der RHJI-Chef Fischer. Magna zieht nach und legt GM einen Vertrag zum Unterschreiben vor. GM möchte Opel auf jeden Fall verkaufen, betont der Konzern bei einem Treffen mit Bund und Ländern.
RHJI bessert das Angebot nach. Der GM-Verwaltungsrat empfiehlt den Verkauf von Opel an Magna. Doch es wird ein Veto der EU-Kommission befürchtet. Nun möchte GM Opel doch behalten.
Der neue Opel Chef Nick Reilly stellt einen Sanierungsplan vor: Der Staat soll sich mit 1,5 Milliarden daran beteiligen. 8400 Stellen sollen in Europa fallen, 3900 davon in Europa.
Nun soll Opel aus eigner Kraft saniert werden. Also doch keine Staatshilfen. Das Werk in Antwerpen mit 2500 Mitarbeitern wird geschlossen
GM kehrt 17 Monate nach dem Insolvenzantrag an die Börse zurück. 23 Milliarden Dollar nimmt der Autobauer dabei ein – ein Rekord
GM legt eine gutes Jahresergebnis vor, doch Opel schreibt weiter rote Zahlen. GM-Chefentwickler Karl-Friedich Stracke löst Reilly ab. Dieser wird Chef des GM-Europageschäfts. Opel schreibt immer noch rote Zahlen
Gerüchte machen die Runde, General Motors wolle Opel verkaufen. Opel dementiert.
GM-Chef Dan Akerson bekräftigt auf der Automesse in Detroit: „Ich werde Opel nicht aufgeben“, Es gebe beim europäischen Ableger von GM einiges zu tun, um ihn in die Spur zu bringen, aber GM habe „genügend Geld, um Opel zu halten und zu verbessern“. Die Marke Opel sei eine wichtige regionale Marke, die einen festen Platz im Konzern habe.
Das Europageschäft von GM schreibt nach wie vor rote Zahlen. Nach einem Bericht des Wall Street Journals soll GM mit der Schließung von Werken, unter anderem in Bochum drohen. Der Opel-Betriebsrat dementiert.
Das Wall Street Journal berichtet erneut von geplanten Werksschließungen. Bochum und das britische Ellesmere, ein Werk der Marke Vauxhall, stünden auf der Abschussliste.
Gnadenfrist bis 2014
Schon am kommenden Mittwoch wird sich der Opel-Aufsichtsrat mit einem Geschäftsplan befassen, der wohl die Schließung der zwei Werke und die Senkung der Produktionskapazitäten um 30 Prozent vorsehe. Bochum bliebe auch im Falle der Schließung eine Gnadenfrist von zwei Jahren. Bis Ende 2014 sind nach einer Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und dem Konzern betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2014 ausgeschlossen. Bis dahin hätten die Stadt Bochum und das Land Zeit, um neue Arbeitsplätze für die bisherigen Opel-Mitarbeiter zu schaffen. Die Zukunft des Werks in Bochum dürfte auch den beginnenden Landtagswahlkampf befeuern - NRW wählt am 13. Mai ein neues Parlament.
Das Werk ist nach Opel-Angaben der größte industrielle Arbeitgeber in der Region. In den dortigen Werken werden die Modelle Astra und Zafira sowie Achsen und Getriebe produziert. 2007 wurden dort 240.000 Autos gebaut. Opel hat in Deutschland insgesamt noch etwa 40.000 Mitarbeiter und weitere Werke in Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern.
Mit Material von dpa, rtr, AP