Autobranche im Wandel Gesucht: Der Butler auf vier Rädern

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Autohersteller müssen zweispurig fahren

„Trotz der Kaufprämie: Der Kunde muss bislang die Mehrkosten für ein Elektroauto tragen, durch einen höheren Listenpreis“, kritisiert Alexander Wachtmeister. „Aber der Kunde hat ja nicht automatisch mehr Geld zu Verfügung.“ Folglich müsse zumindest „eine sehr hohe Benutzerfreundlichkeit gegeben sein, etwa durch flächendeckende Ladestationen. Ist die nicht gegeben, kauft der Kunde eben doch den Verbrenner.“

BMW fordert deshalb von der Bundesregierung Steuersenkungen für Ladestrom sowie mehr kostenlose Parkplätze für Stromautos. Und die Bundesregierung hatte zuvor die staatliche Kaufprämie für E-Autos, die eigentlich Ende Juni auslaufen sollte, bis Ende 2020 verlängert.

Aber natürlich kann sich kein Hersteller der Realität verschließen, wonach mehr als 90 Prozent aller neuzugelassenen Fahrzeuge in Deutschland herkömmliche Verbrenner sind. Hierin besteht eine große Herausforderung für die Industrie: Die Hersteller müssen auch weiterhin parallel die Entwicklung ihrer Verbrennerflotte finanzieren, gleichzeitig aber noch viel stärkere Anreize für den Kauf ihrer Fahrzeuge mit alternativen Antrieben schaffen.

Dabei brauchen sie das Geld doch so dringend an anderer Stelle: Denn parallel schmieden immer mehr Konzerne notgedrungen Zweckbündnisse, um sich die enormen Entwicklungskosten beim autonomen Fahren zu teilen. Intern bangen nicht wenige Hersteller, zu reinen Blechlieferanten für die auf diesem Gebiet weit enteilten Tech-Konzerne aus den USA und China degradiert zu werden. In einer aktuellen Studie beziffert Alix Partners diese kumulierte Investitionssumme aller Autohersteller auf 245 Milliarden Euro, verteilt auf die kommenden fünf Jahre.

Aber abgesehen vom Reiz der E-Autos, einer zufriedenstellenden Verteilung von Steckdosen-Tankstellen im Lande und einer zuverlässigen Selbstfahrtechnik gibt es noch ein unterschätztes Feld, auf dem laut Experten akuter Handlungsbedarf besteht: BCG-Autoexperte Wachtmeister nennt es „die vermeintlich kleinen, jedoch womöglich kaufentscheidenden Dinge“: „Es gibt immer noch die Tendenz unter europäischen Autobauern, dass Softwarelösungen und Services im Auto zwar wichtig, aber nicht wirklich kaufentscheidend sind. Diese Sicht ist fatal.“

Kaufentscheidende Services

Was er mit diesen Serviceleistungen meint, lässt sich in China beobachten. Hier haben der Internetgigant Alibaba und Chinas größter Autohersteller, die Shanghai Automotive Industry Corporation, 2015 das Gemeinschaftsunternehmen Banma gegründet. Schon ein Jahr später stellte man gemeinsam mit dem Roewe RX5 das laut eigenen Angaben weltweit erste sogenannte „Internet-Auto“ vor, also ein Auto, das dauerhaft mit dem Internet verbunden und mit einem Betriebssystem ausgestattet ist, das dem eines Mobiltelefons ähnelt.

In den vergangenen vier Jahren ist Banma in bemerkenswerter Geschwindigkeit zur führenden Plattform für das vernetzte Auto in China geworden. Per Sprachsteuerung können Autofahrer aus ihrem Fahrzeug heraus zahlreiche Dienstleistungen nutzen, etwa Getränke bestellen, einen Parkplatz oder eine Ladestation reservieren und auch bezahlen (via Alipay). Das alles, ohne das Auto verlassen zu müssen, ohne eine zusätzliche Identifizierung. Navigation funktioniert selbstverständlich auch per Sprachbefehl. Das Besondere: Die Plattform ist offen, externe Anbieter können und sollen ihre Dienste über Banma zur Verfügung stellen. Das Auto wird so zum Butler auf vier Rädern.

„In Europa herrscht das Denken: Das müssen wir alles selber machen“

Man kann sich leicht vorstellen, dass manch alteingesessener Ingenieur oder Vertriebler das Bestellen eines Kaffees aus dem Fahrzeug heraus als Firlefanz abtut – doch das wäre nach Einschätzung von BCG-Autoexperte Wachtmeister verhängnisvoll. China sei „viel weiter in der Anwendung und auch der Flexibilität“. Dem Konzern Alibaba sei es bei Banma „fast egal, wer den Service bereitstellt, so lange er auf seiner Plattform abläuft. Denn das bindet Kunden. In Europa herrscht dagegen das Denken: Das müssen wir doch alles selber machen.“ Die spannende Frage laute daher aus seiner Sicht: Wer ist in der Lage, gute Partnerschaften einzugehen?

Mittlerweile hat auch auf diesem Feld ein Wettrennen um die besten Kooperationen eingesetzt. Dabei scheinen chinesische Anbieter begehrtere Partner zu sein als Google und Amazon: Mercedes-Benz arbeitet mit dem chinesischen Elektronikhersteller Xiaomi zusammen. Die jüngst vorgestellte Erweiterung des Infotainment-Systems MBUX beinhaltet nun neben der Sprachsteuerung auch vergrößerte berührungsempfindliche Bildschirme; per eingebauter SIM-Karte sind jene Fahrzeuge ständig online. BMW verkündete Anfang des Jahres, seine Autos in China zukünftig mit Alibabas Sprachassistenten Tmall Genie ausstatten zu wollen. Und Banma arbeitet under anderem schon mit Bosch, Ford, Peugeot und Renault zusammen.

von Martin Seiwert

Für das Jahr 2023 plant Banma, sechs Millionen Fahrzeuge in China ausgerüstet zu haben. „Chinesische Kunden haben höhere Anforderungen an intelligente Anwendungen“, zitiert die Singapurer Webseite Asia-One den Berater Yale Zhang vom Schanghaier Unternehmen Automotive Foresight. Der Grund: chinesische Kunden seien im Durchschnitt zehn Jahre jünger als jene in den etablierten Ländern. Chinas Staatsregierung hat sich bereits 2017 dazu verpflichtet, 90 Prozent aller chinesischen Städte und Autobahnen mit der sogenannten C-V2X-Technik auszustatten. Das C steht für das Mobilfunknetz (Cellular), hinter dem Kürzel V2X verbirgt sich der Begriff „Vehicle to everything“, also die Verbindung des Fahrzeugs mit anderen Fahrzeugen, Objekten in der Nähe und seiner Infrastruktur.

Ende kommenden Jahres werden nach Schätzung von China Unicom schon 40 Millionen Chinesen V2X-Fahrzeuge benutzen, was einem Weltmarktanteil von 60 Prozent entspreche. Und BCG-Experte Wachtmeister konstatiert: „Chinesische Hersteller sind in Teilen weiter als europäische. Dort gibt es mit Tencent und Alibaba zwei dominierende und staatlich geförderte Tech-Unternehmen, die das Zusammenspiel mit der Autoindustrie stark forcieren. Das gibt es bei uns in der Form nicht.“

Angesichts dieser Aussichten können europäische Autohersteller schon mal in den Zustand der Erschöpfung verfallen.

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