Autobranche VW-Zulieferer SAM Automotive meldet Insolvenz an

SAM: VW-Zulieferer aus Baden-Württemberg meldet Insolvenz an Quelle: imago images

Großpleite in Baden-Württemberg: Der VW-Zulieferer SAM kippt in die Insolvenz. Nun kommt es nicht nur auf den Volkswagen-Konzern und die Banken an, sondern auch auf den C&A-Clan – und auf den Insolvenzexperten Holger Leichtle.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Es ist eine der größten Insolvenzen im Autozuliefererbereich: Die SAM Automotive Group mit mehr als 1800 Mitarbeitern hat beim Amtsgericht Aalen Insolvenzantrag gestellt. Das Unternehmen entwickelt und fertigt an den baden-württembergischen Standorten Steinheim, Böhmenkirch und Laichingen-Feldstetten sowie Puebla in Mexiko Aluminiumbauteile für die Autoindustrie, darunter etwa Dachreling-Systeme, Zierleisten und Tankdeckelsysteme für alle namhaften Hersteller. Einen Großteil des Umsatzes von zuletzt rund 280 Millionen Euro erwirtschaftet SAM mit dem VW-Konzern. Aber auch Mercedes, General Motors und Volvo gehören zum Kundenkreis.

Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wurde nach Informationen der WirtschaftsWoche Holger Leichtle, Partner von Schultze & Braun, bestellt. Die Kanzlei führt regelmäßig die Rangliste der verfahrenstärksten Insolvenzkanzleien an.

Leichtle selbst gilt als erfahrener Sanierungsprofi, der bereits zahlreiche Insolvenzen im Automotive-Sektor dirigiert hat. So ist der Jurist seit Frühjahr bei dem insolventen Carbonteilespezialisten UBC mit Hauptsitz in Murr im Einsatz. 2017 gelang Leichtle der Verkauf des insolventen Zulieferers Burkhardt Kunststoffverarbeitung. Zuletzt stand er zudem als Verwalter der Anlagefirma EN Storage im Rampenlicht, die rund 2000 Kleinanleger um 90 Millionen Euro gebracht haben soll.

Bei SAM hat Leichtle bereits die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds für die Beschäftigten gesichert. „Alle Aufträge werden vereinbarungsgemäß abgewickelt“, teilte Leichtle mit. Die Geschäftsleitung habe in den vergangenen Monaten intensiv an verschiedenen Rettungsszenarien gearbeitet. Alle Beteiligten hätten die Bereitschaft gezeigt, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten und auch weiteres Kapital bereitzustellen, so der Verwalter.

Im Februar 2016 hatte die Beteiligungsgesellschaft Bregal Unternehmerkapital die damalige Binder-Gruppe übernommen und wenige Monate später in SAM, kurz für: „Süddeutsche Aluminium Manufaktur“, umgetauft. Der Investor Bregal gehört zum Imperium des Handelsclans Brenninkmeijer, dem Eigentümer der Modekette C&A. Mit dem Verkauf zogen sich die Gebrüder Hans und Ottmar Binder aus dem Unternehmen zurück. Ihr Vater hatte 1955 die Firma gegründet und in der heimischen Garage zunächst für WMF Besteck poliert.

Die neuen Besitzer wollten das Unternehmen internationalisieren und die Abhängigkeit vom Hauptkunden VW reduzieren. Aus 14 Tochtergesellschaften, die zuletzt zur Binder-Gruppe gehört hatten, wurden drei unter dem Dach der SAM. Bei der Konsolidierung des Betriebs gebe es noch Hausaufgaben zu erledigen, sagte der damals neu eingesetzte Geschäftsführer Peter Markowsky, der den Sanierungsexperten und Interimsmanger Roman Simon abgelöst hatte. Markowsky bescheinigte der Binder-Gruppe „ein Riesenpotential“ auf dem europäischen Markt.

Zunächst schien es tatsächlich aufwärts zu gehen, zeigen Daten aus dem Bundesanzeiger. 2016 erwirtschaftete die Kerngesellschaft der Gruppe, die SAM automotive production einen Jahresüberschuss von rund einer Million Euro, nachdem zuvor ein Verlust von mehr als 31 Millionen Euro die Bilanz belastet hatte.

Allerdings gehen das Management und die Wirtschaftsprüfer von KPMG im Jahresabschluss 2016 auch dezidiert auf „bestandsgefährdende Risiken“ ein. So wies das Unternehmen damals ein negatives Eigenkapital von fast 15 Millionen Euro aus. Der Geschäftsplan zeige zwar Verbesserungen und eine ausreichende Liquiditätsversorgung, doch der Fortbestand der SAM sei davon abhängig, dass „die Geschäftsplanung ohne erhebliche negative Abweichungen eintritt“, heißt es im Risikobericht. Zudem sei der Fortbestand der SAM automotive production GmbH von der „Aufrechterhaltung der Finanzierung durch die kreditgewährenden Banken und Finanzinstitute abhängig“.

Probleme der Autozulieferer

Die Banken, darunter die Kreissparkasse Göppingen und die DZ Bank, hatten beim Eigentümerwechsel einen Konsortialkredit über insgesamt 63,9 Millionen Euro und einer Laufzeit bis Ende 2022 vergeben. Unter Beratung des Frankfurter Heuking-Teams um den Partner Thomas Schrell ließen sich die Institute so gut wie alle verfügbaren Sicherheiten einräumen, darunter neben Marken- und Patentrechten auch eine „Erstrangige notarielle Geschäftsanteilsverpfändung“. Zusätzlich gab der Investor Bregal über sein Investmentvehikel Decorum eine bis Ende 2018 laufende Patronatserklärung über maximal 8,5 Millionen Euro ab.

Offenkundig gingen die Pläne der Geschäftsführung nicht auf. Die Nachfrage schwächte sich zuletzt ab. Verschärft wurde die Lage im Frühjahr durch einen Großbrand im Galvanikbereich des Werks in Böhmenkirch. Beides habe zu Umsatzeinbrüchen geführt, die nicht kompensiert werden konnten, heißt es in einer Pressemitteilung von Schultze & Braun.

„Die Geschäftsleitung hat in den vergangenen Monaten intensiv an verschiedenen Rettungsszenarien gearbeitet“, so Verwalter Leichtle. Dafür holte das Management die Sanierungsexperten der Frankfurter Kanzlei Finkenhof an Bord und die restrukturierungserprobten Wirtschaftsprüfer der Andersch AG.

Insolvenzverwalter Leichtle dürfte nun vor der Herausforderung stehen, zum einen mit den Kreditgebern Lösungen zu erzielen, etwa eine teilweise Freigabe der Sicherheiten, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Zum anderen muss er sich mit dem Hauptkunden VW einigen, wobei der Hersteller ebenfalls ein erhebliches Interesse an der weiteren Belieferung haben dürfte, um die eigene Produktion nicht zu gefährden. Mit WKW Automotive und C&F Automotive gibt es nur zwei zentrale Wettbewerber von SAM.

Auch bei einem möglichen späteren Bieterverfahren dürfte vor allem die Kundenbeziehung zu VW - samt möglichst auskömmlicher und stabiler Verträge - ein zentrales Asset sein. Auch die Warenkreditversicherer, die Arbeitsagentur und die Gewerkschaft IG Metall dürften in dem Verfahren eine Rolle spielen.

Letztere hatte bereits unter dem alten Eigentümer höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten gefordert, die über teils unzumutbare Arbeitsbedingungen und hygienische Verhältnisse in den Werken klagten. Auch gegen Pläne, Teile der Produktion in die Slowakei zu verlagern, regte sich Widerstand. Gestern Abend hatte die IG Metall zudem den Insolvenzantrag öffentlich gemacht.

In der Sanierungsbranche galt das Unternehmen derweil schon länger als Krisenkandidat, zumal der gesamte Sektor unter erheblichem Kostendruck steht.

Zudem zeichnen sich - unabhängig vom aktuellen Fall - strukturelle Probleme ab. So sehen Insolvenzverwalter eine Pleitewelle - ausgelöst durch das Elektroauto - auf die deutsche Zulieferindustrie zurollen. Mehr als 100.000 Arbeitsplätze dürften verloren gehen, hatte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im Deutschen Anwaltverein, Martin Prager, im vergangenen Jahr prognostiziert. Vor diesem Hintergrund erwägen derzeit bereits einzelne Verwalter-Kanzleien ihre Präsenz in Baden-Württemberg auszubauen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%