Autohandel Wieso Autohäuser viele Probleme haben – und dennoch nicht ganz aussterben werden

Die Konsolidierung in den Autohäusern ist dennoch im Gang: 1999 gab es in Deutschlands Autohäusern 531.000 Beschäftigte, im vergangenen Jahr 2020 waren es 94.800 weniger. Quelle: Bloomberg

Die Welt des Autohandels wird immer digitaler. Autohäuser verlieren an Bedeutung. Heute arbeiten dort rund 95.000 Menschen weniger als noch 1999. Die Autohäuser müssen raus aus der analogen Welt – doch nur digital geht es auch nicht.

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Sabine Scheunert kann mit einer beeindruckenden Zahl aufwarten: Was man bei Mercedes sehe, sagt sie im „Chefgespräch“-Podcast mit WiWo-Chefredakteur Beat Balzli, das sei, dass „schon heute jeder Fahrzeugkauf in der digitalen Welt startet. Wenn ich heute 90 Prozent der Kunden informiert in den Autohäusern habe, dann müssen wir uns Gedanken machen, wie der Retail der Zukunft ausschauen wird.“ Und an dieser Zukunft arbeitet Scheunert: Schließlich ist sie bei Mercedes-Benz Pkw als Vice President zuständig für die Themen Digital, IT, Sales und Marketing. Und wenn eine weiß, ob das Autohaus ausstirbt wie einst die Dinosaurier, dann sie. Insofern lässt sie sich mit so einer Frage auch nicht aus der Reserve locken: Man sei „absolut überzeugt, dass der physische Kontakt für unsere Kundinnen und Kunden weiterhin sehr wichtig ist“, sagt sie.

Die Prozesse sind „nicht mehr fit“ für das Jahr 2025

Trotzdem muss sie das eine machen – und kann das andere nicht lassen. Mercedes arbeitet daran, dass das gesamte Angebot im Vertrieb und im Aftersales digital angeboten werden kann. „Wir sind mit unseren Partnern in intensiven Austausch, wie wir uns effizienter aufstellen können“, sagt sie. Mercedes müsse sich „Gedanken machen“ über die „heutigen Prozesse“ und darüber, ob diese „noch fit“ sind, wenn man die Jahre 2025 und 2030 schreibe. Antwort: Vermutlich nicht. Denn aktuell braucht ein Kunde von Mercedes im Internet noch „über zehn Klicks“, um ein Fahrzeug vorzureservieren. „Wir haben eine ganz klare Ambition: Wir möchten in 2025 fünf Klicks to buy und drei zum Finanzieren und zum Leasen haben“, sagt Scheunert. 

Sabine Scheunert ist bei Mercedes-Benz Pkw als Vice President zuständig für die Themen Digital, IT, Sales und Marketing. Quelle: Mercedes-Benz

Keine Frage: Der Vertrieb muss digitaler werden. Doch weitestgehend digital wie bei Tesla ist auch nicht denkbar: „Ganz ohne stationäre Showrooms geht es im Vertrieb von Autos nicht. Selbst Tesla, der derzeit digitalste Autobauer, hat eigene Showrooms und muss jetzt schnell Servicebetriebe aufbauen“, sagt Berater August Joas, der als Partner bei Oliver Wyman die Sparte Automobilhersteller und Zulieferer leitet. Wer in der Vergangenheit primär digital verkauft habe, mache „momentan bittere Erfahrungen mit enttäuschten Kunden. Diese suchen Servicepartner für Wartung und Instandsetzung – doch freie Werkstätten sind oft nicht so sehr auf hochtechnische Autos spezialisiert. Da wartet derzeit manch ein Kunde Wochen auf einen Termin bei einem der wenigen qualifizierten Servicepartner“, sagt Joas. Es gibt also derzeit zwei Trends: Konventionell aufgestellte Autobauer mit vielen Autohäusern drehen ihren Vertrieb gerade in Richtung online und die bislang stark digital aufgestellten bauen aus in Richtung der stationären Welt, weil ihre Kunden sonst zu wenig Service bekommen. Ein Auto kann man eben nicht komplett online warten.

Schon 94.800 Mitarbeiter weniger in den Autohäusern

Die Konsolidierung in den Autohäusern ist dennoch im Gang: 1999 gab es in Deutschlands Autohäusern 531.000 Beschäftigte, im vergangenen Jahr 2020 waren es 94.800 weniger. „Alle Hersteller sind dabei, die Händlernetze zu bereinigen“, sagt Sebastian Fersterra, der bei der IG Metall im Vorstand den Bereich Handwerk KMU leitet, zu dem auch die Autohäuser gehören. 2020, erzählt er, habe zum Beispiel Volkswagen den Händlern neue Verträge gegeben. „Ein Teil bekam gar keinen neuen Vertrag, ein Teil nur einen für drei Jahre und ein weiterer Teil einen unbefristeten Vertrag.“ Er ist sich sicher: „Es wird zu einer weiteren Bereinigung bei den Autohäusern kommen – aber ich glaube nicht, dass es mittelfristig gar keine Händler mehr gibt, denn die Autobauer brauchen die Autohäuser. Sie sorgen für Umsatz, verkaufen Originalersatzteile mit guten Erträgen und bieten den Service an.“

Sabine Scheunert erzählt im Podcast, was Jingle Bells mit neuen digitalen Geschäftsfeldern zu tun hat, ob das Autohaus eine Zukunft hat – und warum Daimler-Fahrer bald über chinesische Satelliten vernetzt werden.
von Beat Balzli

Berater Joas prognostiziert: „Im Jahr 2030 wird das Verhältnis zwischen Online und stationärem Vertrieb in etwa bei 50:50 liegen – aktuell werden weniger als fünf Prozent der Autos digital verkauft.“ Er geht davon aus, das in Deutschland bis zum Jahr 2030 etwa ein Drittel der Autohäuser verschwindet, „überleben werden die starken Händler und Marken“.

Das Problem der Autohäuser liegt auch im Hochlauf der Elektromobilität: Denn viele Autohäuser verdienen erst dann Geld, wenn der Kunde mit seinem Auto in die angeschlossene Werkstatt kommt. „Bis zu 30 Prozent des Umsatzes im Service eines Autohauses kommt aus dem Geschäft mit dem Ölwechsel“, sagt Fersterra. Allein: Ein E-Auto braucht kein Öl und einen Teil der Wartung kann man über Software-Updates regeln. Und wenn ein E-Auto gewartet werden muss, dann fehlt vielen Autohäusern die Ladeinfrastruktur sowie das Fachpersonal, das sich mit Hochvolt-Technik auskennen muss. 

Der Händler wird zum Vermittler

Viele Autobauer stellen im Vertrieb nun ohnehin auf das Agenturmodell um. Dabei fungiert der Händler nur noch als Vermittler. „Dabei verkauft der Händler im Auftrag und auf Rechnung des Autobauers. Für die Hersteller ist das ein Vorteil, weil sie Preise und Rabatte direkt steuern können“, sagt Joas. Andererseits wird den Autohäusern so an vielen Stellen die eigentlich für die Händler wichtige Hoheit über die Kundendaten entzogen und dem Hersteller übertragen.

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Von Mercedes kann man noch einige Neuerungen bei den Händlern und im Vertrieb erwarten: „Wir wollen den Vertrieb wirklich 100 Prozent digitalisieren“, verspricht Scheunert. Es müsse intuitiv und einfach werden – vor allem aber „Spaß machen“. Man sei da „momentan mit Hochdruck dran, das weltweit aufzuräumen und dementsprechend dann auszurollen“. 

Mehr zum Thema: Daimler-IT-Chefin Sabine Scheunert erzählt im WiWo-Podcast, was Jingle Bells mit neuen digitalen Geschäftsfeldern zu tun hat, ob das Autohaus eine Zukunft hat – und warum Daimler-Fahrer bald über chinesische Satelliten vernetzt werden.

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