Autohersteller Kommt nach Dieselgate ein Reifengate?

Die EU will verhindern, dass Autobauer bei der Sicherheit so tricksen wie bei den Abgasen – es also große Unterschiede zwischen Prüfstand und Straße gibt. Neue Regeln sollen ein Problem bei Reifen lösen.

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Reifendruckkontrollsysteme im Fokus der EU-Kommission Quelle: dpa Picture-Alliance

Es war eine schier unglaubliche Geschichte, die der Manager eines Autozulieferers dem damaligen EU-Industriekommissar Antonio Tajani am 4. Juli 2012 präsentierte: Mehrere Autokonzerne, behauptete er, würden Millionen Menschen in Lebensgefahr bringen, indem sie Reifendruckmesssysteme in ihre Autos einbauten, die zwar durch die Zulassungstests kämen, im Alltag aber nicht funktionierten.

Die Systeme sollen den Fahrer informieren, wenn ein Reifen zu wenig Luft hat. So sollen Unfälle verhindert werden. Ob der Manager dem EU-Kommissar die Namen von Autobauern verraten hat, die seiner Meinung nach tricksen, ist nicht überliefert. Problematisch, sagte er aber, seien indirekte Messsysteme, wie sie in Autos des Volkswagen-Konzerns (VW, Audi, Škoda, Seat), aber auch bei Fiat, Peugeot, Honda, Mazda und Citroën eingesetzt werden.

Gut eine Stunde dauerte die Unterredung mit Tajani damals. Später schrieb er an die EU-Verkehrsminister, dass die Autobauer besser überwacht werden sollten.

Welche Schadstoffe im Abgas stecken

Gremien der Vereinten Nationen (UN) und der EU haben sich das Thema Reifendruck inzwischen vorgeknöpft. Das sei, so die EU-Kommission, wichtig, damit die Leistungsanforderungen an Systeme, die den Reifendruck überwachen, nicht nur erfüllt werden, „wenn das Fahrzeug getestet wird (...) sondern (...) auch dann, wenn das Auto auf der Straße benutzt wird“. Das erinnert an den Dieselskandal – wo Autos mit Tricks zwar Abgastests der Behörden bestanden, im Alltag aber mehr Schadstoffe in die Luft bliesen.

Autokonzerne müssten auf eine bessere Technik umsteigen

Die regionale UN-Kommission UNECE, in der die EU-Kommission vertreten ist, hat nun neue Regeln für Reifen formuliert, wonach Messsysteme künftig auch im Straßenverkehr und nicht nur im Zulassungstest funktionieren müssen. Anfang 2017 treten die Regeln in Kraft, bestätigte die Kommission; danach will sie sie noch 2017 in EU-Recht umsetzen.

Autokonzerne, deren Fahrzeuge nur den Zulassungstest schaffen, auf der Straße aber versagen, haben dann ein Problem. Sie müssten auf bessere Technik umsteigen.

Mangelnder Reifendruck ist einer der häufigsten Ursachen für Unfälle. So schätzt der Sachverständige Christian Koch von der Prüforganisation Dekra, dass bei jedem zweiten Unfall, der wegen technischer Mängel passiert, platte Reifen schuld sind. Systeme, die den Druck überwachen, sind daher Pflicht: Seit zwei Jahren muss jedes neue Auto, das in der EU zugelassen wird, ein System zur Druckkontrolle haben – bislang sind das knapp 27 Millionen Autos.

Das sind die Mängelzwerge und Mängelriesen
Mercedes-Benz GLK Quelle: Mercedes-Benz
Porsche 911 Quelle: Porsche
Kia Sportage Quelle: Kia
Mercedes-Benz SLK Quelle: Mercedes-Benz
Dacia Logan Quelle: Dacia
Mazda 3 Quelle: Mazda
Chevrolet Matiz Quelle: Chevrolet

Autobauer setzen auf zwei Systeme, die den Druck messen. Daimler und BMW etwa bauen ein „direktes Messsystem“ ein. Dabei werden Sensoren an jedem Reifen befestigt, die Temperatur und Luftdruck messen. Das liefert schnelle und genaue Ergebnisse, ist aber etwa 100 Euro teurer als das „indirekte System“, mit dem zum Beispiel VW 90 Prozent seiner Flotte ausstattet. Indirekte Systeme werden etwa als Software im Steuergerät des Antiblockiersystems aufgespielt. Aus den Daten, die das Gerät sammelt, leitet das System ab, ob ein Reifen Luft verliert.

Auf der Straße arbeitet das indirekte System nicht zuverlässig

Experten meinen, dass indirekte Messsysteme nicht so sicher seien wie direkte. Während das direkte in Sekunden anschlägt, wenn der Druck sinkt, benötigt das indirekte mitunter Stunden und misst nicht so genau. VW wiegelt ab: Ihre Systeme entsprächen den Anforderungen des Gesetzes.

Tatsächlich schaffen indirekte Messsysteme den Zulassungstest, was daran liegen könnte, dass sie unter Idealbedingungen getestet werden. Die Temperatur liegt dabei zwischen null und 40 Grad, die Fahrbahn ist trocken, Reifen sind vor dem Test weder Sonne noch Wind ausgesetzt.

ACE-Winterreifentest für Reifen der Dimension 225/50 R17

Im echten Leben, wo es auch mal schneit, regnet oder heiß ist, warnen indirekte Messsysteme offenbar nicht so zuverlässig wie im Zulassungstest. Die Regeln, wie sie die UNECE vorsieht, sollen das verhindern. Demnach müssten die Systeme künftig auch unter realen Bedingungen funktionieren.

Die Umweltorganisation Transport & Environment fordert nun, dass zusätzlich zu den neuen Regeln auch nationale Behörden wie das Kraftfahrtbundesamt regelmäßig Alltagstests durchführen. Welche Folgen das haben kann, ließ sich 2014 in den USA beobachten, wo Tests im Normalbetrieb Alltag sind. Der Verkehrsbehörde NHTSA war der Mazda 6 aufgefallen: Entwich in allen Reifen langsam Luft, erkannte das indirekte System das nicht. Der Autobauer musste 100 000 Autos zurückrufen.

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