Autoindustrie unter Druck „Viele Unternehmen werden es alleine nicht schaffen“

Droht die Autokalypse? JP-Morgan-Topbanker Christian Kames über die Schwäche der deutschen Automobilbranche und die Notwendigkeit zum radikalen Wandel.

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Christian Kames ist Chef des deutschen Investmentbankings der US-Großbank JP Morgan und zählt damit zu den wichtigsten Arrangeuren größerer Konzernumbauten. Er beobachtet die Entwicklung in der Autoindustrie genau.

Herr Kames, in den vergangenen Wochen häufen sich die negativen Nachrichten aus der Autoindustrie. Wie schlimm steht es um Deutschlands wichtigste Branche?

Die Lage ist tatsächlich ausgesprochen herausfordernd. Die Autoindustrie steht vor einer grundlegenden Transformation, die neue Fähigkeiten, neue Ansätze und hohe Investitionen in das zukünftige Geschäft verlangt. Gleichzeitig befindet sich die Autoindustrie mittlerweile in ihrem ersten Abschwung seit 2009. Die globale Automobilproduktion ist deutlich rückläufig und die nächsten Jahre werden keine einfachen werden. Dadurch bricht Herstellern und Zulieferern teilweise das traditionelle Geschäft weg. Das macht Investitionen in die Wende noch schwieriger, viele Unternehmen werden es alleine nicht mehr schaffen. Das sieht am auch am Kapitalmarkt. Es gibt kaum eine Branche, die so niedrige Bewertungsmultiplikatoren aufweist wie die Autoindustrie.

Die meisten haben in den vergangenen Jahren gut verdient. Haben sie wirklich zu wenig Geld für die Zukunft?

Das stimmt zwar grundsätzlich, allerdings sind Profitabilität und Rendite in der Autoindustrie traditionell niedrig. Das gilt auch für die vergangenen Jahre. Mit der Abschwächung der Industrie wird sich die finanzielle Situation weiter verschlechtern, wie die letzten prominenten Gewinn-Warnungen bereits zeigen. Gleichzeitig haben neue Wettbewerber aus der Technologiebranche, die um ein vielfaches finanzstärker sind als die traditionellen Automobilkonzerne und fokussiert in einzelnen Feldern Milliarden investieren, die Spielregeln neu definiert. Die notwendigen Investitionsvolumen in neue Felder sind signifikant größer geworden. Damit tut sich eine Finanzierungslücke auf. Eine starke Bilanz und entsprechendes Risikomanagement werden maßgebliche Erfolgsfaktoren für die Zukunft sein.

von Stefan Hajek, Jörn Petring, Annina Reimann, Christof Schürmann, Cornelius Welp

Wird die deutsche Autoindustrie also abgehängt?
Ich glaube nicht, dass die deutsche Autoindustrie bereits abgehängt ist, aber sie muss entschieden gegensteuern und den teilweise verlorenen Boden wieder gut machen. Lange hat man versucht, den Wandel eher aufzuhalten als in führender Position zu gestalten. Das gilt nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Politik. Die Unterstützung der Transformation – etwa beim Thema Infrastruktur für Elektromobilität – war bislang kaum erkennbar. Mittlerweile haben viele Unternehmen aber die Zeichen der Zeit erkannt, wenngleich sie sich noch stark in der Konsequenz und der Anpassungsgeschwindigkeit unterscheiden. VW, Daimler und BMW haben nach wie vor alle Möglichkeiten, in der Industrie weiter vorne mitzuspielen. Das Gleiche gilt für die großen Zulieferer wie Bosch, Continental oder ZF. Allerdings werden es viele kleinere und mittlere Zulieferer nicht schaffen.

Warum?

Die Globalisierung mitzumachen war für viele schon anspruchsvoll genug, jetzt kommen noch die Industrietransformation und sinkende Produktionsvolumina dazu. Die notwendigen Investitionen sind nicht nur sehr groß, sondern auch extrem riskant. Keiner weiß zum Beispiel heute, ob und wann Autos wirklich komplett fahrerlos unterwegs sein werden. Wenn sich das autonome Fahren aber durchsetzt, sieht die Branche danach komplett anders aus. Unternehmen können es sich deshalb nicht leisten, bei dem Thema nicht dabei zu sein und den Anschluss zu verpassen. Das Gleiche gilt für die Elektromobilität. Kein Hersteller oder Zulieferer verdient heute damit Geld, muss aber große Summen investieren. Wenn man wartet, bis sich der Markt etabliert hat, sind die Marktanteile verteilt. Da selbst große Konzerne solche Wetten nicht alleine schultern wollen oder können, wird es deutlich mehr Partnerschaften und Gemeinschaftsunternehmen geben müssen. Für kleinere und mittlere Unternehmen gilt dies umso mehr.

Dann müssen die Unternehmen wichtiges Wissen aber mit Wettbewerbern teilen.
So denken viele deutsche Ingenieure heute immer noch. Die Zukunftsbereiche will man am liebsten 100 Prozent kontrollieren. Auch für den deutschen Mittelstand ist es schwer, sich aus strategischen Gründen zu öffnen. Wenn man sich aber nicht stärker für andere Partner und für externe Kapitalgeber öffnet, droht man vom Wandel überholt zu werden. Denn alleine schafft man es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Im Silicon Valley, in Israel oder China werden Märkte erobert, bevor sie entstehen. Investoren stellen dafür viele Milliarden bereit, wenn ein Unternehmen ein klares Zukunftsprofil hat. Viele der heutigen Tech-Giganten wären ohne diese Möglichkeit entweder gar nicht erst entstanden oder zumindest nicht da, wo sie jetzt sind. Diese Möglichkeit wird von deutschen Unternehmen noch viel zu wenig genutzt.

Wie könnten sie das ändern?

Indem sie Einheiten mit klarer Ausrichtung schaffen, Kompetenzen bündeln und sich gezielt für Partnerschaften und den Kapitalmarkt öffnen. Wie das gehen kann, hat zum Beispiel General Motors gezeigt. Viele Jahre galt der Konzern als technologisch abgehängt, hat sich dann aber an Cruise, einem Start-up für autonomes Fahren beteiligt und im Anschluss SoftBank und Honda als Partner aufgenommen. GM hat damit nicht nur Risiko und Investitionsbedarf geteilt, sondern auch Wert für seine Aktionäre geschaffen. Cruise ist mittlerweile mehr Wert als einige der etablierten Automarken von GM, obwohl das Unternehmen noch gar keinen Umsatz macht. Auch die Partnerschaft von VW und Ford, die ihre Unternehmen Argo und AID in einem Gemeinschaftsunternehmen zusammengeführt haben, geht in diese Richtung. Entsprechende Konstellationen werden wir in Zukunft deutlich häufiger sehen.

Das klingt nach vielen Transaktionen und einer Neuordnung der Branche.

Überlegungen dazu gibt es aktuell in fast jedem Unternehmen und da geht auch kein Weg dran vorbei. Bei der Entschlossenheit, die Transformation umzusetzen, und der Frage, welche Wege dafür in Frage kommen, gibt es allerdings noch große Unterschiede. Dabei geht es auch nicht immer nur um Investitionen in die Zukunft. Das bisherige Kerngeschäft der meisten Automobilunternehmen wird in der Zukunft schrumpfen. Das bedeutet, dass die Anforderungen hier ganz andere sind als in den Zukunftsbereichen. Ich gehe davon aus, dass es zum Beispiel zum Beispiel bei Zulieferern mit einem traditionellen Produktportfolio zu einer erheblichen Konsolidierung kommen wird. Und da ist man besser einer der ersten, da man dann noch mitgestalten kann.

Ist das für Investoren überhaupt attraktiv?

Für Geldgeber kann es das durchaus sein. Das hat am Ende viel damit zu tun, ob man als Unternehmen überzeugend darlegen kann, dass man auch in einem schrumpfenden Markt profitabel wachsen kann. Das geht zum einen über Größe und Kostenführerschaft, zum anderen über Innovation. Wenn man sich anschaut, wie sich der Aktienkurs von Unternehmen entwickelt hat, die von Großkonzernen abgespalten oder an die Börse gebracht wurden, so hat sich dieser Meist positiv entwickelt – auch wenn oftmals nicht das Geschäft mit den besten Wachstumsaussichten abgespalten wurde. Hierin liegt auch in der Autoindustrie vielfach eine Chance.

VW, BMW und Daimler müssen die Wende zur E-Mobilität schaffen – trotz Handelskrieg und schwacher Konjunktur. Wie gut die drei Konzerne vorbereitet sind, lesen Sie in der großen Analyse der WirtschaftsWoche.



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