Das Prinzip ist denkbar einfach: Über die Smartphone-App Scoop können sich Kollegen aus derselben Nachbarschaft für den täglichen Arbeitsweg zu Fahrgemeinschaften zusammenschließen. Ein Angebot unter vielen, könnte man meinen. Dennoch hat BMW jüngst in genau solch eine App investiert.
Zwei Dinge aber heben Scoop Technologies von der Konkurrenz ab: Die Nutzer müssen ihre Fahrgemeinschaften nicht selbst organisieren, ein intelligenter Algorithmus bringt die von Ort und Zeit passenden Pendler zusammen. Und: Scoop vermittelt derzeit nur Fahrten in den Städten San Francisco, Palo Alto, Sunnyvale und North San Jose. Im Silicon Valley also, dem Mekka der IT-Industrie und derzeit Sehnsuchtsort von so manchem Auto-Boss.
Eine solche Mitfahr-App könnten die BMW-Spezialisten mit Leichtigkeit selbst entwickeln. Was sie aber nicht können: Direkt mit lokalen Größen wie Microsoft, Cisco oder Tesla zusammenarbeiten. Scoop kann das nach eigenen Angaben. Wohl nicht nur deshalb sind die Münchner über die Investitions-Sparte BMW i Ventures eingestiegen. Was die „strategische Investition“ gekostet hat, will BMW nicht verraten.
Ein Blick auf die Schlagzeilen der vergangenen Wochen legt den Verdacht nahe, dass der Deal nicht ganz günstig war. Volkswagen hat sich für 300 Millionen Dollar bei dem ursprünglich aus Israel stammenden Fahrvermittler Gett eingekauft, die Opel-Mutter General Motors für 500 Millionen Dollar bei Lyft. Toyota hat sich an der Nummer eins der Mobilitäts-Apps, dem umstrittenen Uber, für eine nicht näher genannte Summe beteiligt. Selbst Saudi-Arabien, das unabhängiger vom Öl werden will, hat gleich 3,5 Milliarden Dollar in Uber gesteckt.
Millionen-Deals mit Start-ups
Doch warum investieren gestandene Auto-Konzerne exorbitante Summen in junge Internet-Unternehmen, die seit ihrer Gründung vornehmlich Verluste produziert haben?
All diese Beteiligungen und Entwicklungs-Vorhaben sind von einem großen Trend getrieben: Die jüngeren Generationen wollen Autos häufiger nur nutzen statt sie zu besitzen. Das eigene Auto – und der dazugehörige Führerschein – hat für moderne Großstädter und Pendler an Wert verloren. Statt in die individuelle Freiheit führt das Auto meist in den nächsten Stau – egal ob in Berlin, Peking oder New York.
Statt selbst fahren also lieber fahren lassen, in einer Fahrgemeinschaft, einem per App herbeigerufenen Chauffeur oder künftig einem kurzfristig gemieteten selbstfahrenden Auto. Ridesharing, Ridehailing oder etwas sperrig On-Demand-Mobilitätsdienstleistung – der Trend hat viele Namen.
Lange waren es die Controller in Stuttgart, München, Wolfsburg und Detroit gewohnt, dass ihre Autos am Ende ihrer meist siebenjährigen Laufzeit das ursprüngliche Investment wieder eingespielt haben. Wer aber in den etablierten Investitionszyklen der Autobranche denkt, kommt in der IT-Welt nicht weiter. Apps und Services haben ihre eigenen Regeln – und brechen mit bestehenden Konventionen.
Wie VW im ersten Quartal abgeschnitten hat
Im Auftaktquartal 2016 hat Volkswagen 2,577 Millionen Fahrzeuge abgesetzt – zum ersten Quartal 2015 ein Rückgang von 1,2 Prozent (2,607 Millionen Fahrzeuge).
Zum Stichtag 31. März 2016 haben 613.075 Menschen für VW gearbeitet. Gegenüber dem Jahr 2015 sind das 0,5 Prozent mehr – damals waren es 610.076 Menschen.
In Deutschland sinkt jedoch die Zahl der VW-Mitarbeiter, zuletzt um 800 auf rund 277.900 Stellen. Der Zuwachs kommt aus dem Ausland, wo VW um fast 4.000 Stellen auf 335.200 Jobs zulegte.
Beim Umsatz musste VW im Vergleich zum Vorjahresquartal ein Minus von 3,4 Prozent hinnehmen. Die Umsatzerlöse sanken von 52,735 Milliarden Euro auf aktuell 50,964 Milliarden Euro.
Das operative Ergebnis (Ebit) stieg um 3,4 Prozent auf 3,44 Milliarden Euro – zum Jahresauftakt 2015 waren es noch 3,328 Milliarden Euro. Die operative Rendite stieg von 6,3 auf 6,8 Prozent.
Das Ergebnis nach Steuern ging deutlich zurück – von 2,932 Milliarden Euro im Q1 2015 auf aktuell 2,365 Milliarden Euro. Das entspricht einem Rückgang von 19,3 Prozent.
Die Marke Volkswagen Pkw verzeichnete in den ersten drei Monaten gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Volumen- und Umsatzrückgang. Der Umsatz von VW-Pkw sank von 26,3 Milliarden Euro auf 25,1 Milliarden Euro, der Absatz fiel von knapp 1,12 Millionen auf 1,07 Millionen Fahrzeuge. Infolge dessen ging das Operative Ergebnis vor Sondereinflüssen auf 73 (514) Millionen Euro zurück, die operative Marge erreichte im ersten Quartal 0,3 Prozent.
Mit 1,3 Milliarden Euro erreichte Audi annähernd wieder das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen des Vorjahres. Bei einem nahezu stabilen Umsatz sank die operative Marge leicht von 9,7 auf 9,0 Prozent.
Bei Skoda stieg das operative Ergebnis aufgrund positiver Mixeffekte und geringerer Materialkosten um gut 30 Prozent auf 315 (242) Millionen Euro. Die operative Marge legte bei deutlich gestiegenem Umsatz auf 9,3 (7,6) Prozent zu.
Seat verbesserte sein Operatives Ergebnis aufgrund von Kostenoptimierungen auf 54 (33) Millionen Euro. Dies entspricht einer Steigerung der Operativen Rendite auf 2,6 (1,5) Prozent.
Gemessen am operativen Ergebnis ist Bentley im ersten Quartal in die roten Zahlen gerutscht. Statt einem Gewinn von 49 Millionen Euro im Vorjahresquartal steht 2016 ein Minus von 54 Millionen Euro zu Buche. Volkswagen begründet das mit gesunkenen Auslieferungen.
Porsche blieb auch zum Auftakt des laufenden Geschäftsjahres in der Erfolgsspur. Das Operative Ergebnis stieg weiter auf 895 (765) Millionen Euro und damit deutlich überproportional zum Umsatz, der aufgrund eines signifikant höheren Absatzes spürbar zulegte. Die operative Marge kletterte auf 16,6 (15,1) Prozent.
Das operative Ergebnis von Volkswagen Nutzfahrzeuge sank volumenbedingt auf 142 (165) Millionen Euro, die operative Marge ging auf 5,2 (6,1) Prozent zurück. Scania verbuchte einen leichten Anstieg des operativen Ergebnisses auf 244 (237) Millionen Euro und eine stabile operative Marge von 9,6 Prozent. Trotz des anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Umfelds in Südamerika verbesserte MAN Nutzfahrzeuge das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen unter anderem aufgrund des höheren Absatzes in Europa auf 65 (minus 13) Millionen Euro. Bei MAN Power Engineering belief sich das operative Ergebnis auf 48 (52) Millionen Euro.
Die Volkswagen Finanzdienstleistungen konnten ihr operatives Ergebnis deutlich auf 492 (403) Millionen Euro steigern. Insbesondere Volumeneffekte wirkten sich positiv aus.
Während viele Gewohnheiten über den Haufen geworfen werden, bleibt ein ökonomischer Grundsatz gültig: Die Nachfrage bestimmt den Preis.
Und die Nachfrage nach der Mobilitäts-Geschäftsidee der Zukunft ist weltweit enorm. Muss ein Auto in der Zukunft noch verkauft werden - oder nur dessen flexible Nutzung? Vielleicht gar die Mobilität an sich, egal mit welchem Verkehrsmittel? Auch wenn die Antwort noch aussteht – keiner will den Anschluss verlieren.
VW fasst neue Zielgruppe ins Auge
Während sich fast alle Autobauer lange auf das konzentriert haben, was sie gut können – Autos bauen und verkaufen – geben bei den innovativen Geschäftsmodellen andere das Tempo vor – und das um jeden Preis. Ein Beispiel: Apple hat sich den Einstieg beim chinesischen Uber-Konkurrenten Didi Chuxing eine Milliarde Dollar kosten lassen. Da sieht selbst Volkswagen mit einem 300-Millionen-Investment eher alt aus.
VW-Chef Matthias Müller sieht in dem Investment aber keine reine Finanzbeteiligung, sondern eine strategische Partnerschaft, wie er bei der Vorstellung der Kooperation am Mittwoch in Berlin sagt. „Unser Kernprodukt ist künftig zunehmend nicht mehr nur das Auto“, so Müller. „Unser Kernprodukt ist Mobilität.“
Damit zielt Volkswagen wie seine Wettbewerber weniger auf den bestehenden Kunden, sondern auf eine neue Zielgruppe. Wer kein eigenes Auto hat, muss dennoch irgendwie von A nach B kommen. Wer dabei nicht auf Bus und Bahn zurückgreifen kann oder will, ruft sich in der Vision der Autobauer per App einen Chauffeur.
Müller rechnet bereits 2025 allein in Europa mit einem Umsatz von zehn Milliarden Euro für den „Mobility on demand“-Markt. Der Markt wachse so exponentiell, „dass wir dabei sein wollen“. Um nicht zu sagen: Dabei sein müssen.
Gett greift myTaxi an
Das soll jetzt anders werden. Mit Gett kann je nach Bedarf ein Fahrer gerufen werden, der Zahlungsverkehr läuft bargeldlos. Zu dem viel beachteten Marktführer Uber gibt es aber einen entscheidenden Unterschied: Alle Gett-Fahrer haben eine Lizenz. Damit greift Gett eigentlich eher den Daimler-Dienst myTaxi als Uber an.
Eine Zusammenarbeit mit Marktführer Uber wurde in Wolfsburg offenbar auch diskutiert, aber laut Digitalchef Johann Jungwirth schnell verworfen. Bei Gett habe man den gewünschten Einfluss – unter anderem einen Sitz im Verwaltungsrat – und vor allem eine exklusive Zusammenarbeit bekommen, was bei dem mit rund 60 Milliarden Dollar bewerteten Uber mit der Höhe des VW-Investments wohl kaum möglich gewesen wäre.
„Der Konzern erlangt Zugang zu 50.000 Taxicabs in über 60 Metropolen wie New York, London, Tel Aviv und Moskau“, kündigt Müller an. „Schon bald werden Gett-Taxen auch durch deutsche Großstädte wie Berlin fahren.“ Im ersten Schritt der Zusammenarbeit stünden Deutschland und weitere europäische Länder im Fokus.
Bereits 2025 sollen das neue Geschäftsfeld „Mobility on demand“, das Volkswagen als zweite Säule neben dem klassischen Auto-Geschäft aufbaut, einen „substanziellen Anteil“ zum Konzernumsatz beisteuern. Und das waren selbst im Krisenjahr 2015 stolze 200 Milliarden Euro.
Ganz nebenbei soll auch die erste Säule von der zweiten profitieren: VW will den lizensierten Gett-Fahrern Autos der Konzernmarken „zu besonderen Konditionen“ anbieten. Für Müller ist es sogar vorstellbar, dass einige Fahrer in einer Premium-Variante die zahlenden Gäste auch mit einem Porsche Panamera durch die Stadt chauffieren.
VW-Gett-Flotte als Testfeld für autonome Autos
In den kommenden zehn bis 15 Jahren wird noch der Autobau und-verkauf das Geld in die Kassen spülen, das räumt auch Müller ein. Die Grundlagen für das, was danach kommt, werden derzeit gelegt. Welche Dienste und Geschäftsmodelle daraus genau entstehen, werden die Konzernoberen in den kommenden Jahren ausarbeiten.
Ein Ansatz: Laut Jungwirth könnte die VW-Gett-Flotte ein Testfeld für autonome Autos werden. Die Profi-Fahrer sitzen als Back-up mit im Wagen, während das Fahrzeug im Straßenverkehr wertvolle Daten sammelt – die dann später die autonomen Assistenten in den Kundenfahrzeugen verbessern.
Auf der anderen Seite des Atlantiks ist die Vision eine ganz ähnliche: General Motors, ansonsten eher eigenbrötlerisch veranlagt, hat im Januar eine halbe Milliarde Dollar in den Uber-Konkurrenten Lyft investiert. Vor einiger Zeit hatte GM bereits das Start-up Cruise Automation übernommen. Mit dessen Technik, die ursprünglich für Landmaschinen und Minenräumfahrzeuge gedacht war, entsteht derzeit ein autonom fahrender Chevrolet Bolt.
Perspektivisch soll die Software auch in den Autos von Lyft eingesetzt werden – womit autonome Taxen vom Schlage eines Google Cars entstehen würden. In den kommenden Monaten soll eine gemeinsame Testflotte an den Start rollen.
Autobauer müssen nicht die Mobilitätskonzerne der Zukunft sein
In naher oder ferner Zukunft wird so aus den Taxi-Vermittlern und Mobilitätsplattformen mit steigender Nachfrage ein funktionierendes Geschäftsmodell. Klingt riskant – ist es auch. Dennoch müssen die Autobauer diese Milliarden-Wette eingehen. Mit Anteilen an Uber, Lyft oder Gett erzielen sie in den kommenden drei Jahren wohl keine Gewinne. Mit den Apps und Plattformen erhalten sie aber etwas viel wertvolleres: Zugang zu jungen Menschen.
In einem Autohaus bekommen sie den Kontakt zu ihren künftigen Kunden immer seltener. Stattdessen nutzen sie neue Portale, um ihre Mobilität bedarfsgerecht zu organisieren. „In der Branche sind sich alle einig, dass die Digitalisierung die Autobauer und ihre Geschäftsmodelle in den kommenden fünf bis zehn Jahren stärker verändern wird als jede Technologie in den vergangenen 50 Jahren“, sagt Axel Schmidt von der Unternehmensberatung Accenture. „Bei neuen Mobilitätskonzepten können viele Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen mitmischen – der Sieger muss kein deutscher Premiumhersteller oder eine heute bekannte Volumenmarke sein.“
Eines ist klar: Autos werden in Zukunft intelligenter genutzt, egal ob selbstfahrende Taxen, vermittelte Fahrer oder smart zusammengestellte Fahrgemeinschaften. Wer nicht emotional an einem eigenen Auto hängt, wird es teilen. Und wenn Autos besser genutzt und weniger auf dem Parkplatz stehen, wird man auch insgesamt weniger Autos brauchen.
Bis die Chefetagen der Autobauer (oder IT-Giganten) auf all diese Unwägbarkeiten eine überzeugende Antwort geliefert haben, hilft ihnen vorerst wohl nur eines: Die heute in einen solchen Anbieter investierte Million ist unter Umständen der Milliardengewinn von morgen. Aber eben nur unter Umständen.