Es soll ein Supersportwagen der Extraklasse werden: 260 Kilometer pro Stunde Spitzengeschwindigkeit – null auf hundert in weniger als drei Sekunden. Und das rein elektrisch mit über 300 Kilometern Reichweite. Das Showcar des chinesischen Autobauers BAIC ist auf der am Montag eröffneten Automesse in Peking zu sehen.
So präsentiert sich China gerne: als Speerspitze der Elektromobilität. Nirgends schießen die Zulassungen für Elektroautos so in die Höhe. Um mehr als das Dreifache, so die Statistik des chinesischen Verbands der Automobilindustrie CAAM haben die Verkäufe von 2014 auf 2015 zugelegt. Auf über 330.000 Stück. In Deutschland registrierte das KBA gerade einmal 23.500 voll- und teilelektrifizierte Fahrzeuge. Die deutschen Autobauer sind sich einig: „Wir sehen in China künftig gute Chancen für Elektrofahrzeuge, weil es sicherlich einer der Märkte sein wird, wo sich Elektromobilität weit entwickelt“, so BMW-Chef Harald Krüger.
Die chinesische Regierung sieht mit der neuen Antriebstechnologie ihre Chance gekommen, endlich einen international wettbewerbsfähigen Automobilhersteller zu formen. Und beim ersten Blick auf das Ranking der beliebtesten Elektro-Modelle scheint die Rechnung auf zugehen. Denn es sind die Modelle der chinesischen Hersteller, die die Spitzenplätze der meistverkauften E-Autos und Hybriden belegen. Ganz vorne die Plug-In-Hybride Qin und Tang von BYD, sowie die rein batteriebetriebenen Miniflitzer Zotye Yun 100, Chery eQ und die e-Series von BAIC.
Fahrzeugproduktion und -absatz in China seit 2008
Produktion: 6,74 Millionen Autos und 2,56 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 6,76 Millionen Autos und 2,63 Millionen Nutzfahrzeuge
Quelle: Statista.de
Produktion: 10,38 Millionen Autos und 3,41 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 10,33 Millionen Autos und 3,31 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 13,9 Millionen Autos und 4,37 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 13,76 Millionen Autos und 4,3 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 14,49 Millionen Autos und 3,93 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 14,47 Millionen Autos und 4,03 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 15,52 Millionen Autos und 3,75 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 15,5 Millionen Autos und 3,81 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 18,09 Millionen Autos und 4,03 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 17,93 Millionen Autos und 4,06 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 19,92 Millionen Autos und 3,8 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 19,7 Millionen Autos und 3,79 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion (Januar-März): 5,31 Millionen Autos und 0,89 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz (Januar-März): 5,31 Millionen Autos und 0,85 Millionen Nutzfahrzeuge
Weder das Daimler-Joint-Venture Denza noch das deutsch-bayerische Gemeinschaftsprodukt von BMW mit dem Namen Zinoro tauchen unter den Top Ten auf. Tesla ist als reine Importmarke mit 4500 zugelassenen Elektrolimousinen erfolgreicher als Denza mit 2900. Zum Vergleich: Zotye verkaufte rund 25.000 E-Flitzer.
Rauschende Absatzzahlen und die westlichen Hersteller weit abgehängt. Traut man den Zahlen sind China und seine Autohersteller auf dem besten Weg zu Leitwölfen der Elektromobilität zu werden. Doch eigentlich ist die Situation zum Heulen.
Denn die Zahlen geben ein verzerrtes und unvollständiges Bild der Entwicklung des Marktes und der chinesischen Hersteller wieder. Hinter ihnen verbirgt sich Subventionsbetrug im großen Stil und eine heimische Automobilwirtschaft, die einzig darauf getrimmt ist, Steuergelder abzugreifen, jedoch veraltete Technik in den Markt spült. Innovationen? Fehlanzeige. Chinas Autopolitik – gescheitert. Die Geschichte vom chinesischen Wunderland der Elektromobilität – eine Mär.
Freie Fahrt für Stromer
Das wichtigste Verkaufsargument von Autohändler Qian Kuns steht gut sichtbar auf einem Hybridauto in der Ecke des Autohauses in Shanghai: „Kauf’ das Auto und bekomme ein Nummernschild umsonst.“ Das Auto, das Qian gerade einer Familie verkaufen will, kostet auf dem Papier umgerechnet 54.000 Euro. Für eine chinesische Familie mittleren Einkommens ist das noch viel mehr Geld als für eine in Deutschland. Nach Abzug der Subventionen durch die Zentral- und Lokalregierung sinkt der Preis aber auf rund 24.000 Euro. Dazu wirbt die Luxusmarke Roewe des staatlichen Autobauers SAIC Motor mit einem Kredit über zwei Jahre zu 2,99 Prozent. Pro Monat verkauft Qian dank der üppigen Fördergelder rund 150 Elektro-Autos.
„Die Nachfrage ist einzig und allein durch die Regierung und ihre Förderungspolitik erzeugt“, sagt Clemens Wasner von der auf die Automobilindustrie spezialisierten Unternehmensberatung EFS aus Wien. „Abgesehen davon gibt es aktuell in China keinen echten Markt für Elektrofahrzeuge.“
Betrüger kassieren Fördergelder
Den weltweit größten Markt von 331.000 verkauften Elektroautos sowie Fahrzeugen Verbrennungs- und E-Motor zum Aufladen an der Steckdosen (Plug-in-Hybride) hat sich die chinesische Regierung mit vier Milliarden Euro Subventionen erkauft. Um die gewollten fünf Millionen E-Autos bis 2020 auf die Straße zu bringen, müsste Peking laut der Nichtregierungsorganisation ChinaEV100 weitere umgerechnet 53 Milliarden Euro in Förderprogramme investieren.
60.000 Renminbi (umgerechnet 8.200 Euro) gab es 2015 beim Kauf eines Elektro-Autos, 600.000 gar für einen stromgetriebenen Bus – wenn nicht sogar mehr. Manche Lokalregierung legt noch einen drauf. Bis zur Fördersumme von einer Million Renminibi.
Und hier beginnt das Märchen vom China-Elektro-Wunderland. Denn ein Großteil des Geldes, das die chinesische Zentralregierung in den Fördertopf für den Kauf von E-Autos gesteckt hat, floss nicht an den umweltbewusste Privatkunden, sondern an städtische Omnibus-Gesellschaften. 80 Prozent aller Fördergelder sackten die landesweit 25 Bus-Gesellschaften ein, erklärt Cui Dong Shu, Generalsekretär der National Passenger Car Association gegenüber Yancheng Evening News. Nur 20 Prozent floss in die Förderung privater Pkw, wie chinesische Medien berichteten. „Normale Pkw sind nur mit wenigen Millionen Renminibi gefördert worden, für Busse dürften es wohl 80 Milliarden gewesen sein.“
Das alleine wäre noch nicht schlimm. Schließlich sind Busse und dazu Strombetriebene doppelt umweltfreundlich. Die Krux: In rund der Hälfte der Fälle, in denen Bus-Betreiber Fördergelder kassiert haben, lag Betrug vor, wie chinesische Medien berichteten. Die Bus-Hersteller, Betreiber städtischer Nahverkehrsbetriebe und Lokalpolitiker in Personalunion, steckten die Subventionen ein, ohne E-Busse auf die Straße zu bringen. Das bot zwei Vorteile: Geld ohne Gegenleistung und Planerfüllung.
Denn Peking hat seinen Regionen und Distrikten Verkaufsziele für E-Autos diktiert. Die Lokalpolitiker/Bushersteller glänzten mit erreichten Quoten und schoben nebenbei das Geld ein. Die Zentralregierung hat im Februar eine Untersuchungskommission ins Leben gerufen, um die Fälle aufzuklären. Im März erklärte der Minister für Industrie- und Informationstechnologie Miao Wei, es handle sich nur um eine kleine Zahl von Betrügern. Medienberichte, nach denen bis zu 90.000 Fahrzeuge nur auf dem Papier verkauft worden seien, dürfte man keinen Glauben schenken.
Wie es aber zur faktischen Differenz zwischen registrierten, aber nicht produzierten 70.000 E-Autos in den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres kam, hat das Ministerium bisher nicht erklären können. Chinesische Zeitungen sprechen bereits von „Geisterautos“. Der Economic Observer, eines der angesehensten Wirtschafts-Magazin Chinas, berichtet von E-Auto-Herstellern, die Fahrzeuge gleich mehrfach verkauften. Nach Abschluss des Geschäfts wurden die Batterien ausgebaut und an die nächste Gesellschaft vertickt, die dafür Subventionen einstrich. Die Ergebnisse der Untersuchung werden in den nächsten Tage erwartet.
Die Elektro-Busse machten 2015 fast ein Drittel aller vom Autohersteller-Verband gezählten elektrischen Fahrzeuge aus. Die Subventionen für E-Busse wurden als unmittelbare Folge kurzerhand halbiert. Damit dürfte auch die Zahl der Zulassungen schrumpfen.
Neuzulassungen nur noch mit Nachweis
Die Schockwellen nach dem Bekanntwerden der Betrügereien sind in der März-Statistik des Verbands der chinesischen Autobauer bereits zu sehen. Offiziell wurden nur noch 46 Prozent mehr E-Autos mehr verkauft als im Vorjahresmonat. Eine solche Zahl würde in Deutschland freilich Begeisterungsstürme auslösen. Doch im Januar war die Zahl noch um 170 Prozent gewachsen und im gesamten Jahr 2015 um 340 Prozent.
Wie schnell das Interesse an Stromern erlischt, wenn die Behörden den Subventionshahn abdrehen, zeigt sich in Shanghai. Dort wurden 2015 rund 5000 der insgesamt 43.000 Plug-In-Hybride in China zugelassen, weil die Fahrzeuge sofort ein Nummernschild bekamen. Normalerweise werden die Schilder verlost. Seit diesem Jahr ist das allerdings an eine Bedingung geknüpft. Der Halter muss nachweisen, dass er tatsächlich elektrisch unterwegs ist und sein Auto regelmäßig zu Hause an der Steckdose lädt.
„Die meisten Halter haben schlicht die Prämie kassiert und dann den Verbrennungsmotor genutzt“, so Jochen Siebert, von JSC Automotive Consulting, der den chinesischen Markt von Shanghai aus beobachtet. Seit die neue Regelung in Kraft getreten ist, streben die Neu-Zulassungen der Steckdosen-Hybride in Shanghai gen null.
Kein Wunder, denn so gut wie kein Chinese findet am heimischen Wohnblock eine Ladestation. Die Zentralregierung will mit einem milliardenschweren Investitionsprogramm ändern, doch die Chancen auf Umsetzung stehen schlecht – Eigentümer und Wohnungsbaugesellschaften sehen nur Kosten und Aufwand – kaum Nutzen.
Die Statistiken entpuppen sich umso mehr als Blendwerk, je tiefer man in sie eindringt. Die Top zehn der meistverkauften Stromer und Steckdosen-Hybriden bestreiten die chinesischen Hersteller allein. Nicht aber, weil ihre Produkte dem Angebot der westlichen Autobauer so überlegen wären, sondern weil sie auf die gewährten Subventionen hin optimiert sind.
„Das ist alles altes Gelumpe mit ein bisschen Elektronik“, so das vernichtende Urteil von Jochen Siebert. „Das ist keine ernst zu nehmende Konkurrenz für westliche Elektroautos“, erklären Ingenieure eines deutschen Premiumautobauers hinter vorgehaltener Hand. Nicht ein einziges der batteriebetriebenen Modelle sei international wettbewerbsfähig. „Kreisliga gegen Champions League“, bemüht Siebert eine Analogie aus dem Fußball.
Auch die chinesischen Medien prangern mittlerweile die verfehlte Industriepolitik der Regierung an. Es sei peinlich, heißt es sinngemäß in den Tageszeitungen Shanghai Daily und China Daily, was die chinesischen Autohersteller als Elektromobile hervorbrachten. Vom Ziel der chinesischen Regierung einen Global Player für E-Autos zu schaffen sei man Lichtjahre entfernt. Clemens Wasner von EFS: „Die schiere Größe des Landes wird dafür sorgen, dass in China so viel Elektroautos verkauft werden wie nirgends sonst auf der Welt. Dies bedeutet aber keineswegs, dass China dadurch zu einem Leitmarkt wird, denn qualitativ haben die chinesischen Autohersteller derzeit nichts zu bieten. Sie werden auch in fünf Jahren nicht zu den weltweit führenden Anbietern von E-Autos gehören“.
Bis 2020 werden die Prämien für Elektro-Fahrzeuge auf null sinken. Gleichzeitig schreibt Peking einen deutlich niedrigeren Kraftstoffverbrauch der Flotten eines Herstellers. 2020 dürfen die Autos eines Konzerns im Schnitt dann nur noch fünf Liter Benzin auf 100 Kilometer verbrauchen. In Peking gilt der Wert schon ab 2018. Ohne stärkere Elektrifizierung und Hybridisierung ist das nicht zu schaffen. „Dann schlägt auch die Stunde der deutschen Hersteller“, sagt Siebert. Daimler, Audi und BMW haben bereits mit der Hybridisierung ihrer Flotten begonnen. VW zeigt auf der Automesse in Peking einen sportlichen Geländewagen mit Plug-In-Hybrid-Antrieb.
Wie gut die deutschen Hersteller ihre großen Hybride in China noch verkaufen können, wird sich weniger auf der Automesse in Peking zeigen. Zetsche, Müller Krüger und Co sollten eher auf die Zulassungszahlen in Shanghai schauen – auch wenn diese inzwischen ernüchternd ausfallen.