Automobilindustrie Deutsche Autobauer geraten unter Beschuss

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Attacken auf deutsche Autobauer

Wie Franzosen und Italiener mit ihren kleineren Fahrzeugen Mercedes, Audi, BMW und VW beim CO2-Ausstoß neu verkaufter Fahrzeuge unterbieten Quelle: ICCT

Oberklassenfahrzeuge – beispielsweise von BMW, Mercedes und Audi – blasen naturgemäß mehr CO2 in die Luft als kleinere Wagen etwa von Fiat, weil sie größer und schwerer sind. Das hat die EU bislang berücksichtigt, indem sie die Grenzen für Oberklassenhersteller oberhalb des Durchschnittswertes für alle ansetzte, die Kleinwagenbauer dagegen unterhalb. Geht es nach Marchionne, soll von diesem Ausgleich künftig nicht mehr viel übrig bleiben. Bislang durfte etwa der große BMW 7er drei Liter Benzin mehr verbrauchen als der kleine Fiat Punto. Nach Marchionnes Berechnungen soll der Vorteil von 2020 an auf 1,7 Liter fast halbiert werden. Das sei, so sagen Experten, technisch kaum zu schaffen, koste den Hersteller aber in jedem Fall hohe Millionensummen.

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Damit will es der selbstbewusste Fiat-Chef aber nicht belassen. Er will auch eine Art Abwrackprämie für Autofabriken, die aus der EU-Kasse zu bezahlen sei. Damit könnte Fiat zum Beispiel sein überflüssiges Werk in der Nähe von Neapel oder Peugeot seines bei Paris auch auf Kosten der deutschen Steuerzahler schließen und wieder wettbewerbsfähig werden. BMW, Daimler und VW dagegen, deren Werke fast ausnahmslos am Anschlag laufen, hätten davon – außer Kosten – gar nichts. „Ich glaube, wir haben diesen unsinnigen Vorstoß von Marchionne vorerst verhindert“, hofft ein deutscher Automanager. „Dafür bekommt Marchionne in der EU keine Mehrheiten.“

Konzept zur Stärkung der Autoindustrie

EU-Industriekommissar Antonio Tajani jedenfalls will im Herbst ein eigenes Konzept für die Stärkung der industriellen Kerne Europas vorlegen. Mit dem früheren Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Wolfgang Clement und dem mittelständischen Autozulieferer Arndt Kirchhoff kam er in diesen Tagen zu einem Brainstorming zusammen. Dass sich der Italiener Tajani ganz auf die Seite seines Landsmannes Marchionne schlägt, ist unwahrscheinlich. Denn Tajani, so ist in Brüssel zu hören, missfällt das Gejammer der Automobilbauer aus Südeuropa, besonders das von Marchionne.

Die deutschen Hersteller hingegen werden wohl kaum mit industriepolitischen Gegenforderungen antworten, sondern eher versuchen, ihre Stärken auszuspielen. „Wenn Marchionne es schafft, die strengen CO2-Vorgaben in der EU durchzusetzen“, sagt ein hochrangiger Manager eines deutschen Autokonzerns, „dann müssen wir mehr Kompaktwagen ins Sortiment nehmen, um unseren durchschnittlichen Flottenverbrauch zu drücken.“ Die Stoßrichtung ist damit klar. „Ich weiß nicht, wie gut es Marchionne gefallen wird, wenn seine Kompakt- und Kleinwagen dann noch stärker von attraktiven Smarts, Audis, Minis und Elektroautos von BMW bedrängt werden“, droht der Deutsche.

Reine Verzweiflungstaten

Credit-Suisse-Autoanalyst Ellinghorst wertet die „industriepolitischen Attacken aus Frankreich und Italien auf deutsche Hersteller“ ohnehin als „reine Verzweiflungstaten“. Helfen würden solche Eingriffe den Herstellern in Schieflage auf Dauer nicht. Statt politische Manöver zu fahren, sollten die Autobauer ihre „größtenteils selbst verschuldeten Probleme“ lösen: „Überkapazitäten in der Produktion abbauen, mit anderen Unternehmen kooperieren oder zusammengehen, schwache Marken einstellen.“

Wie viel Fahrzeugfabriken zu viel laufen, hat Jens Wiese von Alix Partners ausgerechnet. „Die europäischen Autobauer können 2012 theoretisch rund sieben Millionen Autos mehr bauen, als der Markt aufnehmen kann.“ Ein Abbau der gesamten Überkapazität sei allerdings unrealistisch. „Aber eine Schließung von fünf bis sechs größeren Werken“, sagt Wiese, „wäre wirtschaftlich sinnvoll, damit die europäischen Autohersteller wieder profitabel wirtschaften können.“

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