Automobilindustrie Deutsche Autobauer geraten unter Beschuss

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Nationalistische Auswüchse

Voraussichtliches Absatzminus der Autoindustrie 2012

Die Kluft in Europas Autoindustrie erinnert erschreckend an die Debatte um den Euro. Hier die darbenden Südländer, dort die kraftstrotzenden Deutschen. Und wie in der Euro-Debatte fordern die Hersteller aus dem Süden Eingriffe des Staates, die sie auf Kosten der Deutschen retten sollen. Frankreich will sich gegen Konkurrenz östlich des Rheins abschotten. Fiat möchte die Wettbewerber nördlich der Alpen durch besonders strenge EU-Vorgaben für den CO2-Ausstoß ausbremsen und sich sogar die Schließung eigener Fabriken von Brüssel bezahlen lassen.

Sollte es dazu kommen, wäre dies wohl zum Nachteil für alle Beteiligten. Die sich abzeichnenden „Auswüchse nationalistischer Industriepolitik“, sagt Autoanalyst Arndt Ellinghorst von der Schweizer Bank Credit Suisse, schadeten den schwachen Autobauern, weil sie nötige Kurskorrekturen verschliefen, aber auch den deutschen Herstellern, weil sie einseitig belastet würden: „Am Ende wären alle Verlierer.“ Sollte sich die Euro-Krise weiter verschärfen, drohe schon 2013 ein „großer Knall“. Um Insolvenzen von Autobauern abzuwenden, müssten Regierungen dann „ein ganzes Feuerwerk von milliardenschweren Stützungsmaßnahmen zünden“, sagt Ellinghorst, der in einer groß angelegten Studie die Lage der europäischen Autoindustrie analysiert hat.

Ein Autozar für Europa

Der politische Streit um die Autoindustrie erscheint den Autoanalysten der Credit Suisse inzwischen so bedrohlich, dass sie sogar die Inthronisierung eines mächtigen „Autozars“ in der EU fordern, der die Industrie wieder in die Spur bringen soll. Ihr Vorbild: Der als „Autozar“ bezeichnete Koordinator Steven Rattner, den US-Präsident Barack Obama berief, als 2009 mit General Motors und Chrysler zwei der drei amerikanischen Autobauer in die Insolvenz gingen.

Wie konnte die Schlüsselindustrie Europas, die fast 13 Millionen Menschen beschäftigt, so tief sinken? Einst die Wiege des Automobils, wurde Europa zu Beginn des letzten Jahrhunderts von amerikanischen Produzenten herausgefordert. Das US-Unternehmen Ford hatte den Automobilbau industrialisiert, das Auto wurde zur Massenware. Europa lernte schnell von Amerika und profitierte von dieser ersten Revolution in der Autoindustrie. Die nächste Revolution schwappte nach dem Zweiten Weltkrieg aus Asien in die Alte Welt. Das extrem effiziente Toyota-Produktionssystem setzte Europas Traditionskonzerne unter Druck. Doch auch diese zweite Revolution überstanden die europäischen Hersteller, indem sie das Toyota-System selbst einführten.

Welche europäischen Hersteller die dritte automobile Revolution – den allmählichen Abschied vom Benzin- und Dieselmotor – überleben, ist dagegen völlig ungewiss. Jeder der Konzerne muss Milliarden zusätzlich investieren, um Batterie-, Hybrid- oder Wasserstoffautos auf die Straße zu bringen. In den kommenden Jahren steigen die Kosten dafür besonders stark, wie aus der Credit-Suisse-Studie hervorgeht. Bereits 2014 liegen die jährlichen Aufwendungen der europäischen Autobauer für neue Anlagen und Technologien rund zehn Milliarden Euro über dem heutigen Niveau.

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