So manch ein Spötter fühlt sich bei autonomen Autos an das bisherige Schicksal der Elektroautos erinnert: Hoch gepriesen, oft angekündigt, aber noch immer nicht im Massenmarkt angekommen.
Eben jene Kritiker können sich auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas bestätigt sehen. Dort nisten sich mehr und mehr Anbieter aus der Autobranche zwischen den Ständen von Samsung, LG und Co ein. Sie nutzen die Plattform zwischen 4K-Fernsehern, Kameras und Smart-Home-Anwendungen, um ihre neuesten technologischen Entwicklungen zu präsentieren.
Das war meist das autonome Fahren. Roboterautos, die den Passagieren eine angenehme und unterhaltsame Fahrt bieten und als geteiltes Auto als Teil eines Mobilitätsdiensts zugleich die Großstädte vor dem Verkehrsinfarkt retten. Und unfallfrei sollen sie Verkehr der Zukunft auch noch machen.
Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens
Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.
Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.
Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.
Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.
Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert.
Doch wer nach Jahren der Ankündigungen auf konkrete Serienmodelle gehofft hat, wird enttäuscht. Das neue Elektro-SUV der jungen Marke Byton beherrscht zwar das autonome Fahren nach Level 4 (von 5), kommt aber erst 2019. Und das auch vorerst nur in China. VW zeigt unter anderem den ID Buzz, eine bereits bekannte Studie, die Anfang des kommenden Jahrzehnts mit Elektroantrieb und autonomen Fahrfunktionen die Straßen erobern soll.
Roboterautos erst ab 2021 für Privatleute
Auch Egil Juliussen sieht in den kommenden Jahren keinen schnellen Durchbruch für Robo-Autos. „Die ersten autonomen Fahrzeuge – abgesehen von nachgerüsteten Testträgern – kommen 2019 in den Flotten von fahrerlosen Mobilitätsdiensten“, sagt der Direktor des Automotive Technology Research bei dem Marktanalyseunternehmen IHS Markit.
Seine Prognose: 2021, wenn vollautonome Autos erstmals für Privatkunden käuflich sein werden, geht Juliussen von 51.000 Einheiten aus – weltweit. "Die Vorhersagen von IHS Markit erwarten rund eine Million verkaufter Einheiten im Jahr 2025, die sich über geteilte Fahrzeugflotten und Autos in Individualbesitz verteilen", sagt der Analyst.
Ob die Millionen-Marke nun als Durchbruch gilt oder nicht: Die Entwicklung ist laut Szenario der IHS-Forscher nicht aufzuhalten. 2040 gehen sie von 33 Millionen autonomen Fahrzeugen pro Jahr aus. Mit einer interessanten globalen Verteilung:
- In den USA werden ab 2019 die ersten autonomen Fahrzeuge im Einsatz sein. Nicht nur dank Waymo, General Motors und Uber sind viele Bundesstaaten wie auch die US-Regierung technologiefreundlich gesinnt und dürften das ohnehin bereits offene Regelwerk noch stärker auf autonome Fahrzeuge zuschneiden. In den USA machen die angekündigten Testflotten den Anfang. 2021 kommen hier die ersten Autos für Privatkunden. Volumen 2040: 7,4 Millionen autonome Autos pro Jahr.
- In China werden bald Gesetze für Tests und Entwicklung autonomer Fahrzeuge erwartet. Danach dürfte es schnell gehen: Mobilitätsdienste, die sich bereits heute in chinesischen Großstädten etabliert haben, werden auf autonome Fahrzeuge umstellen. Die Experten gehen davon aus, dass auch die fahrerlose Variante bei der technikaffinen Bevölkerung beliebt ist. Volumen 2040: 14,5 Millionen autonome Autos pro Jahr.
- In Europa ist die regulatorische Lage schwieriger, wie Uber und Co bereits heute erfahren müssen. In dem IHS-Szenario wird Europa also eine andere Entwicklung nehmen als die USA und China. Hier wird die Balance zugunsten autonomer Autos in Privatbesitz kippen – vor allem bei den technologiegetriebenen Premiummarken. Entsprechend geringer fallen die erwarteten Absatzzahlen aus. Volumen 2040: 5,5 Millionen autonome Autos pro Jahr.
- Außerhalb dieser drei Hauptmärkte kann die Entwicklung sehr unterschiedlich verlaufen. In Ländern wie Japan, Südkorea, Australien und Kanada sehen die IHS-Experten durchaus das Potenzial für eine zügige Entwicklung. In anderen Teilen der Welt seien die Bedingungen aber deutlich schwieriger, was die Entwicklung verlangsame. Volumen 2040: 6,3 Millionen autonome Autos pro Jahr.
Tech-Unternehmen drängen ins Geschäft
Der Treiber für die Entwicklung sind klar die Mobilitätsdienste. „Mobility-as-a-Service ist ein Segen für das autonome Fahren, und es wird helfen, die Technologien zu beweisen und zu verbessern“, erwartet Jeremy Carlson, Hauptanalyst bei IHS Markit. „In dieser Zeit kann die Industrie die Beziehung zwischen Auto und Fahrer sowie die Benutzererfahrung neu definieren.“
Für die etablierten Autobauer kann das entscheidend werden: Derzeit drängen Technologieunternehmen wie die Google-Schwester Waymo, Apple und viele andere Konzerne ohne eigenen Autobau in die Branche, vor allem bei technologisch getriebenen Themen wie selbstfahrenden Autos oder Fahrvermittlungsdiensten. Auch die CES-Premiere Byton wird von Tencent aus China und Foxconn aus Taiwan finanziert.
Der Ansatz der Unternehmensberatung KPMG: Wenn die Autobauer nicht zum bloßen „Stahlbieger“ verkommen wollten, müssten sie sich vom derzeitigen Wettbewerb untereinander ein Stück weit lösen. „Die 50 größten Autohersteller kommen heute zusammen nur noch auf 20 Prozent der Marktkapitalisierung der 15 größten Technologieunternehmen. 2010 waren es noch 40 Prozent“, sagte KPMG-Autoexperte Dieter Becker. Digitalkonzerne spielten inzwischen in einer ganz anderen Liga. „Vor allem für die Massenhersteller führt kein Weg an Fusionen vorbei, wenn sie den Kampf ums Überleben gegen die Technologiegiganten nicht verlieren wollen.“
Die nächsten fünf Jahre entscheiden
Axel Schmidt, globaler Geschäftsführer für den Bereich Automotive bei der Unternehmensberatung Accenture, sieht noch eine Alternative zu Fusionen. „In den nächsten drei bis fünf Jahren wird sich zeigen, wer das Feld anführt“, sagt Schmidt. „Das Wettrennen wird gewinnen, wer die klügsten Partnerschaften eingeht: Sowohl Tech-Unternehmen wie die Halbleiterhersteller oder klassische Zulieferer, die etwa bei Batterie- und Ladetechnologie wichtige Lücken im Portfolio der Hersteller füllen, sind dafür entscheidend.“
So hat VW im Vorfeld der CES angekündigt, beim autonomen Fahren mit dem US-Start-up Aurora zusammenarbeiten zu wollen. Dessen Gründer ist kein Geringerer als Chris Urmson, jahrelang der Kopf hinter den selbstfahrenden Google-Autos. Auch mehrere Entwickler von Teslas Autopilot arbeiten inzwischen für Aurora. Das erklärte Ziel der Partnerschaft: Die Entwicklung selbstfahrender Elektroautos für „Mobility-as-a-Service“-Dienstleistungen.
2018 zieht die KI ins Auto ein
Nicht nur aus Schmidts Sicht ist sich die Branche einig, dass sowohl Elektroautos als auch das autonome Fahren alternativlos sind. Beim Elektroauto seien die Pläne fertig und in Umsetzung. Doch bis Privatleute vollautonome Autos kaufen können, vergehen „vermutlich noch ein paar Jahre“.
Deshalb glaubt Schmidt, dass sich der Fokus im Jahr 2018 auf ein anderes Thema legen wird, das bald zum größeren Hype werden könnte: die Vernetzung von Autos mit dem Internet. „Hier entscheidet sich vieles, und zwar sehr bald“, meint er.
Ein Beispiel: Aufgrund der Bewegungsprofile weiß das Smartphone, wann die morgendliche Fahrt ins Büro oder ein Termin anstehen. Damit wissen das auch Apple oder Google, nicht aber das Navi des Autos in der Garage. „Die Konnektivität ist vorhanden, die Rechenleistung auch. Aber noch fehlen einfache und effiziente Wege, um mit den Daten zu interagieren“, sagt Schmidts Kollege Gabriel Seiberth. „Genau das verändern Künstliche Intelligenz und Algorithmen gerade.“
Neue Geschäftsmodelle basieren auf Datenanalyse
Seiberths Argument: Fast alle künftigen Geschäftsmodelle, die derzeit diskutiert werden – also Sharing-Dienste, Mobilitätsdienste oder schlichtweg Services rund um Elektroautos –, verlangen nach einer intelligenten Datenverarbeitung im Auto. „Neue Technik macht eine sinnvolle Nutzung der Daten möglich – und das ist ein entscheidender Schritt“, so Seiberth.
Die „in-vehicle-AI“ (Artificial Intelligence, Künstliche Intelligenz), wie Schmidt und Seiberth sie nennen, sei weitgehend marktreif. „Dienste wie Amazons Alexa oder der Google Assistant bringen KI ins Auto, die dem Nutzer auch zu Hause und bei der Arbeit zur Verfügung stehen“, sagt Schmidt. „Auf diese Weise wird das vernetzte Auto endlich vom Transportmittel zum wirklich nützlichen Mobilgerät.“
Wie das selbstfahrende Auto die Wirtschaft jenseits der Fahrzeugbauer verändert
... verbringen zwei von drei deutschen Autofahrern pro Tag in ihrem Wagen. Viel Zeit, um im Internet zu surfen, wenn sie nicht mehr auf den Verkehr achten müssen. Für Boutiquen und Museen, Kinos und Fitnessstudios bedeutet dies: Sie müssen auch online präsent sein, weil sie kaum noch einer zufällig entdeckt, während er aus dem Fenster blickt.
... zusätzlichen Umsatz im Jahr könnte das selbstfahrende Auto Bars, Discos und Kneipen weltweit bringen. Denn Alkohol und Autofahren schließen sich nicht mehr aus. Derzeit trinken die Menschen weltweit Alkohol im Wert von 1,5 Billionen Dollar.
... haben deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr für Geschäftsreisen ausgegeben. In Zukunft lässt sich das selbstfahrende Auto als rollendes Bett nutzen. Man fährt abends los und ist am nächsten Morgen am Ziel. Hotels könnten dann allenfalls noch mit einem Angebot zur Morgentoilette punkten.
... des Münchner Stadtgebiets sind durch parkende Autos blockiert. Selbstfahrende Autos werden den Passagier am Ziel absetzen, zum nächsten Einsatz fahren – und so den Verkehr besser steuern. Parkplätze werden also kaum noch gebraucht. Schlecht für die Betreiber von Parkhäusern, die heute in Westeuropa jährlich 50 Milliarden Euro umsetzen.
... Verkehrsschilder und 1,5 Millionen Ampeln gibt es in Deutschland. Die verschwinden. Selbstfahrende Autos fahren auch bei hohem Tempo Stoßstange an Stoßstange, kreuzen und biegen ab – ohne zu stoppen. Selbst den Weg kennen sie.
... nimmt allein Hamburg jedes Jahr mit Knöllchen ein. Selbstfahrende Autos achten aufs Tempolimit und parken nur dort, wo sie auch parken dürfen. Städten gehen also Einnahmen verloren.
... unserer Lebensmittel werden wir in 30 Jahren geliefert bekommen – unabhängig von den Großbritannien und Japan sind die sich selbst steuernden Essenslieferanten testweise schon unterwegs.
... aller Versuche in Deutschland, ein Paket zuzustellen, sind vergeblich. Selbstfahrende Paketautos liefern eine Sendung, wenn der Empfänger sie zu sich ruft – auch nachts und am Wochenende.
... ihres US-Umsatzes macht die Fast-Food-Kette McDonald’s schon heute am Drive-in-Schalter. Im selbstfahrenden Auto können alle Passagiere essen – und nicht nur die auf der Rückbank. Und die Wagen können Fritten und Burger auch ganz allein am Drive-in-Schalter abholen und ausliefern.
Dort liegt eine weitere Herausforderung für die „Stahlbieger“: Die genannten KI-Systeme kommen von US-Größen. „Künstliche Intelligenz revolutioniert das Auto“, sagt auch VW-Markenvorstand Herbert Diess auf der CES. „Autonomes Fahren, emissionsfreie und digital vernetzte Mobilität sind ohne Fortschritte bei künstlicher Intelligenz und ‚Deep Learning‘ nicht möglich.“
Im selben Atemzug kündigte Diess an, einen intelligenten Co-Piloten entwickeln zu wollen – zusammen mit dem Chiphersteller Nvidia. Und Sie ahnen schon, wo Nvidia seinen Hauptsitz hat: in Santa Clara, Kalifornien.
Ethische Grundregeln für autonome Autos
Teil- und vollautomatisierte Verkehrssysteme dienen zuerst der Verbesserung der Sicherheit aller Beteiligten im Straßenverkehr. Daneben geht es um die Steigerung von Mobilitätschancen und die Ermöglichung weiterer Vorteile. Die technische Entwicklung gehorcht dem Prinzip der Privatautonomie im Sinne eigenverantwortlicher Handlungsfreiheit.
Quelle: Bundesverkehrsministerium
Der Schutz von Menschen hat Vorrang vor allen anderen Nützlichkeitserwägungen. Ziel ist die Verringerung von Schäden bis hin zur vollständigen Vermeidung. Die Zulassung von automatisierten Systemen ist nur vertretbar, wenn sie im Vergleich zu menschlichen
Fahrleistungen zumindest eine Verminderung von Schäden im Sinne einer positiven Risikobilanz verspricht.
Die Gewährleistungsverantwortung für die Einführung und Zulassung automatisierter und vernetzter Systeme im öffentlichen Verkehrsraum obliegt der öffentlichen Hand. Fahrsysteme bedürfen deshalb der behördlichen Zulassung und Kontrolle. Die Vermeidung von Unfällen ist Leitbild, wobei technisch unvermeidbare Restrisiken einer Einführung des automatisierten Fahrens bei Vorliegen einer grundsätzlich positiven Risikobilanz nicht entgegenstehen.
Die eigenverantwortliche Entscheidung des Menschen ist Ausdruck einer Gesellschaft, in der der einzelne Mensch mit seinem Entfaltungsanspruch und seiner Schutzbedürftigkeit im Zentrum steht. Jede staatliche und politische Ordnungsentscheidung dient deshalb der freien Entfaltung und dem Schutz des Menschen. In einer freien Gesellschaft erfolgt die gesetzliche Gestaltung von Technik so, dass ein Maximum persönlicher Entscheidungsfreiheit in einer allgemeinen Entfaltungsordnung mit der Freiheit anderer und ihrer Sicherheit zum Ausgleich gelangt.
Die automatisierte und vernetzte Technik sollte Unfälle so gut wie praktisch möglich vermeiden. Die Technik muss nach ihrem jeweiligen Stand so ausgelegt sein, dass kritische Situationen gar nicht erst entstehen, dazu gehören auch Dilemma-Situationen, also eine Lage, in der ein automatisiertes Fahrzeug vor der „Entscheidung“ steht, eines von zwei nicht abwägungsfähigen Übeln notwendig verwirklichen zu müssen. Dabei sollte das gesamte Spektrum technischer Möglichkeiten – etwa von der Einschränkung des Anwendungsbereichs auf kontrollierbare Verkehrsumgebungen, Fahrzeugsensorik und Bremsleistungen, Signale für gefährdete Personen bis hin zu einer Gefahrenprävention mittels einer „intelligenten“ Straßen-Infrastruktur – genutzt und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Die erhebliche Steigerung der Verkehrssicherheit ist Entwicklungs- und Regulierungsziel, und zwar bereits in der Auslegung und Programmierung der Fahrzeuge zu defensivem und vorausschauendem, schwächere Verkehrsteilnehmer („Vulnerable Road Users“) schonendem Fahren.
Die Einführung höherer automatisierter Fahrsysteme insbesondere mit der Möglichkeit automatisierter Kollisionsvermeidung kann gesellschaftlich und ethisch geboten sein, wenn damit vorhandene Potentiale der Schadensminderung genutzt werden können. Umgekehrt ist eine gesetzlich auferlegte Pflicht zur Nutzung vollautomatisierter Verkehrssysteme oder die Herbeiführung einer praktischen Unentrinnbarkeit ethisch bedenklich, wenn damit die Unterwerfung unter technische Imperative verbunden ist (Verbot der Degradierung des Subjekts zum bloßen Netzwerkelement).
In Gefahrensituationen, die sich bei aller technischen Vorsorge als unvermeidbar erweisen, besitzt der Schutz menschlichen Lebens in einer Rechtsgüterabwägung höchste Priorität. Die Programmierung ist deshalb im Rahmen des technisch Machbaren so anzulegen, im Konflikt Tier- oder Sachschäden in Kauf zu nehmen, wenn dadurch Personenschäden vermeidbar sind.
Echte dilemmatische Entscheidungen, wie die Entscheidung Leben gegen Leben sind von der konkreten tatsächlichen Situation unter Einschluss „unberechenbarer“ Verhaltensweisen Betroffener abhängig. Sie sind deshalb nicht eindeutig normierbar und auch nicht ethisch zweifelsfrei programmierbar. Technische Systeme müssen auf Unfallvermeidung ausgelegt werden, sind aber auf eine komplexe oder intuitive Unfallfolgenabschätzung nicht so normierbar, dass sie die Entscheidung eines sittlich urteilsfähigen, verantwortlichen Fahrzeugführers ersetzen oder vorwegnehmen könnten. Ein menschlicher Fahrer würde sich zwar rechtswidrig verhalten, wenn er im Notstand einen Menschen tötet, um einen oder mehrere andere Menschen zu retten, aber er würde nicht notwendig schuldhaft handeln. Derartige in der Rückschau angestellte und besondere Umstände würdigende Urteile des Rechts lassen sich nicht ohne weiteres in abstrakt-generelle Ex-Ante-Beurteilungen und damit auch nicht in entsprechende Programmierungen umwandeln. Es wäre gerade deshalb wünschenswert, durch eine unabhängige öffentliche Einrichtung (etwa einer Bundesstelle für Unfalluntersuchung automatisierter Verkehrssysteme oder eines Bundesamtes für Sicherheit im automatisierten und vernetzten Verkehr) Erfahrungen systematisch zu verarbeiten.
Bei unausweichlichen Unfallsituationen ist jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution) strikt untersagt. Eine Aufrechnung von Opfern ist untersagt. Eine allgemeine Programmierung auf eine Minderung der Zahl von Personenschäden kann vertretbar sein. Die an der Erzeugung von Mobilitätsrisiken Beteiligten dürfen Unbeteiligte nicht opfern.
Die dem Menschen vorbehaltene Verantwortung verschiebt sich bei automatisierten und vernetzten Fahrsystemen vom Autofahrer auf die Hersteller und Betreiber der technischen Systeme und die infrastrukturellen, politischen und rechtlichen Entscheidungsinstanzen. Gesetzliche Haftungsregelungen und ihre Konkretisierung in der gerichtlichen Entscheidungspraxis müssen diesem Übergang hinreichend Rechnung tragen.
Für die Haftung für Schäden durch aktivierte automatisierte Fahrsysteme gelten die gleichen Grundsätze wie in der übrigen Produkthaftung. Daraus folgt, dass Hersteller oder Betreiber verpflichtet sind, ihre Systeme fortlaufend zu optimieren und auch bereits ausgelieferte Systeme zu beobachten und zu verbessern, wo dies technisch möglich und zumutbar ist.
Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch auf eine hinreichend differenzierte Aufklärung über neue Technologien und ihren Einsatz. Zur konkreten Umsetzung der hier entwickelten Grundsätze sollten in möglichst transparenter Form Leitlinien für den Einsatz und die
Programmierung von automatisierten Fahrzeugen abgeleitet und in der Öffentlichkeit kommuniziert und von einer fachlich geeigneten, unabhängigen Stelle geprüft werden.
Ob in Zukunft eine dem Bahn- und Luftverkehr entsprechende vollständige Vernetzung und zentrale Steuerung sämtlicher Kraftfahrzeuge im Kontext einer digitalen Verkehrsinfrastruktur möglich und sinnvoll sein wird, lässt sich heute nicht abschätzen. Eine vollständige Vernetzung und zentrale Steuerung sämtlicher Fahrzeuge im Kontext einer digitalen Verkehrsinfrastruktur ist ethisch bedenklich, wenn und soweit sie Risiken einer totalen Überwachung der Verkehrsteilnehmer und der Manipulation der Fahrzeugsteuerung nicht sicher auszuschließen vermag.
Automatisiertes Fahren ist nur in dem Maße vertretbar, in dem denkbare Angriffe, insbesondere Manipulationen des IT-Systems oder auch immanente Systemschwächen nicht zu solchen Schäden führen, die das Vertrauen in den Straßenverkehr nachhaltig erschüttern.
Erlaubte Geschäftsmodelle, die sich die durch automatisiertes und vernetztes Fahren entstehenden, für die Fahrzeugsteuerung erheblichen oder unerheblichen Daten zunutze machen, finden ihre Grenze in der Autonomie und Datenhoheit der Verkehrsteilnehmer. Fahrzeughalter oder Fahrzeugnutzer entscheiden grundsätzlich über Weitergabe und Verwendung ihrer anfallenden Fahrzeugdaten. Die Freiwilligkeit solcher Datenpreisgabe setzt das Bestehen ernsthafter Alternativen und Praktikabilität voraus. Einer normativen
Kraft des Faktischen, wie sie etwa beim Datenzugriff durch die Betreiber von Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken vorherrscht, sollte frühzeitig entgegengewirkt werden
Es muss klar unterscheidbar sein, ob ein fahrerloses System genutzt wird oder ein Fahrer mit der Möglichkeit des „Overrulings“ Verantwortung behält. Bei nicht fahrerlosen Systemen muss die Mensch/Maschine-Schnittstelle so ausgelegt werden, dass zu jedem Zeitpunkt klar geregelt und erkennbar ist, welche Zuständigkeiten auf welcher Seite liegen, insbesondere auf welcher Seite die Kontrolle liegt. Die Verteilung der Zuständigkeiten (und damit der Verantwortung) zum Beispiel im Hinblick auf Zeitpunkt und Zugriffsregelungen sollte dokumentiert und gespeichert werden. Das gilt vor allem für Übergabevorgänge zwischen Mensch und Technik. Eine internationale Standardisierung der Übergabevorgänge und der Dokumentation (Protokollierung) ist anzustreben, um angesichts der grenzüberschreitenden Verbreitung automobiler und digitaler Technologien die Kompatibilität der Protokoll- oder Dokumentationspflichten zu gewährleisten.
Software und Technik hochautomatisierter Fahrzeuge müssen so ausgelegt werden, dass die Notwendigkeit einer abrupten Übergabe der Kontrolle an den Fahrer („Notstand“) praktisch ausgeschlossen ist. Um eine effiziente, zuverlässige und sichere Kommunikation zwischen Mensch und Maschine zu ermöglichen und Überforderung zu vermeiden, müssen sich die Systeme stärker dem Kommunikationsverhalten des Menschen anpassen und nicht umgekehrt erhöhte Anpassungsleistungen dem Menschen abverlangt werden.
Lernende und im Fahrzeugbetrieb selbstlernende Systeme sowie ihre Verbindung zu zentralen Szenarien-Datenbanken können ethisch erlaubt sein, wenn und soweit sie Sicherheitsgewinne erzielen. Selbstlernende Systeme dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn sie die Sicherheitsanforderungen an fahrzeugsteuerungsrelevante Funktionen erfüllen und die hier aufgestellten Regeln nicht aushebeln. Es erscheint sinnvoll, relevante Szenarien an einen zentralen Szenarien-Katalog einer neutralen Instanz zu übergeben, um entsprechende allgemeingültige Vorgaben, einschließlich etwaiger Abnahmetests zu erstellen.
In Notsituationen muss das Fahrzeug autonom, d.h. ohne menschliche Unterstützung, in einen „sicheren Zustand“ gelangen. Eine Vereinheitlichung insbesondere der Definition des sicheren Zustandes oder auch der Übergaberoutinen ist wünschenswert.
Die sachgerechte Nutzung automatisierter Systeme sollte bereits Teil der allgemeinen digitalen Bildung sein. Der sachgerechte Umgang mit automatisierten Fahrsystemen sollte bei der Fahrausbildung in geeigneter Weise vermittelt und geprüft werden.