Experten bezweifeln allerdings, dass das reicht – und dass sich die Deutschen damit allein durchsetzen. „Patente sind nicht immer Innovationen“, sagt Stefan Bratzel, Professor am Center for Automotive Management in Bergisch Gladbach. Damit aus Erfindergeist ein wirtschaftlicher Wettbewerbsvorteil entsteht, muss die technische Neuerung eines Unternehmens den Kunden einen echten Mehrwert bieten und „nahe an der Serienreife, also mindestens schon in Prototypen im Einsatz sein“, meint Bratzel.
Legt man diese Maßstäbe an, ergibt sich schnell ein anderes Bild: Toyota, Nissan und Tesla liegen vorn, obwohl sie weniger Patente halten oder diese sogar, wie Tesla, teilweise offenlegen. „Die Entwicklung verläuft außerdem extrem dynamisch; niemand darf sich auf seinem Vorsprung ausruhen“, sagt Bratzel. Allein 2016 wurden so viele Patente für das autonome Fahren angemeldet wie in allen anderen Jahren zuvor. Ford zum Beispiel holt rasant auf, hat die Zahl seiner Patente seit 2015 vervierfacht.
Markus Wiederstein ist Kfz-Produktions- und Planungsexperte bei der Beratungsgesellschaft Polarix-Partner. „Die Entwicklungsabteilungen der Autoindustrie sind hervorragend darin, eine bewährte Technik in kleinen Schritten immer weiter zu optimieren“, sagt er. Wie man mit einem radikalen Umbruch umgeht, wisse dagegen niemand in der Branche: So etwas gab es schlicht nicht seit mehr als 100 Jahren. Die größten, eher inkrementellen Neuerungen hießen Katalysator, Turbolader und Servolenkung. Jetzt kommen mit Elektroantrieb und autonomem Fahren gleich zwei disruptive Umbrüche auf einmal. „Es kann passieren, dass die Auto-Revolution viele der bisherigen evolutionären Fortschritte überflüssig macht“, sagt Wiederstein.
Bei Audi vertrauen sie auf ihren Vorsprung durch die bisher entwickelte Technik. Bilderbuchbayern: Sanft hügelt sich das sechsspurige Betonband der A 9 durch die Hallertau nördlich von München. Ab und zu ein Zwiebeltürmchen links und rechts, Wiesen, Wälder, Hopfenfelder.
Mitten drin im dichten Verkehr fährt seit Anfang Oktober oft ein schwarzer Audi, in dem ein Algorithmus lenkt statt ein Mensch. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat die A 9, die direkt am Audi-Stammwerk in Ingolstadt vorbeiführt, zur ersten offiziellen Dauerteststrecke für selbstfahrende Autos in Deutschland erklärt. Seitdem testet Audi hier erstmals ein Auto nach Level 3 im realen Autobahnverkehr (siehe Infobox). Der A8 kann bis Tempo 60 selbstständig bremsen, lenken und beschleunigen – und dem Fahrer etwa das lästige und ermüdende Abbremsen und Wiederanfahren im zäh fließenden Verkehr auf staugeplagten Autobahnen abnehmen.
Noch verlangt das Gesetz, dass der Fahrer notfalls jederzeit eingreifen kann, sagt Audi-CIO Mattias Ulbrich. Rein technisch könnte man den neuen A 8 im Stau oder langsam rollenden Stoßverkehr autonom fahren lassen und sich mit etwas anderem beschäftigen. Möglich machen das eine in Autos bisher ungekannte Rechnerleistung und sehr viel Sensorik: vom Radar über Kameras bis zum Laserscanner.
Eindrucksvoll. Aber das wird nicht genügen, um die Konkurrenz aus dem Silicon Valley abzuhängen. „Die große technische Klippe stellt Level 4 dar: wenn das Auto selbstständig von A nach B fährt, der Fahrer nichts mehr überwachen muss“, betont Berater Bernhart. Es sei „ein Riesenunterschied, ob ein technisch komplexes System in 99 Prozent der Fälle funktioniert und jemand im Notfall noch eingreifen kann – oder zu 100 Prozent und der Fahrer schlafen kann“, sagt Entwickler Iijima in der Londoner Rushhour. Schließlich musste er gerade für einen Drängler bremsen. Und neben eiligen Taxis kreuzen im Stadtverkehr auch noch Fußgänger und Radfahrer den Weg – oft, ohne das zu signalisieren, und wider alle Regeln.