
Am Ende passiert es dann doch: Kreischend blockieren die Räder, als Tetsuya Iijima erschrocken auf die Bremse steigt. Ein eiliger Taxifahrer hat ihn geschnitten, sich Zentimeter vor ihn gequetscht – und dämpft auf den letzten Metern noch die Laune des Chefingenieurs von Nissan auf dessen historischer Fahrt. Mitten in London testet der japanische Autobauer an diesem trüben Dienstagmorgen einen führerlosen Pkw im realen Berufsverkehr; „absolutes Neuland“, sagt Iijima.
Tests fürs autonome Fahren gab es bisher nur auf Autobahnen: ohne Gegenverkehr, ohne Radfahrer, ohne Fußgänger. Und bis zur Vollbremsung ist das Experiment ein voller Erfolg. Ein Algorithmus manövriert den Nissan sicher durch die staugeplagte Metropole, „drei Minuten schneller als menschliche Testfahrer auf der 15 Kilometer langen Strecke“, sagt Iijima. Das Auto rollt sanft, aber zügig durch enge Einbahn- und sechsspurige Ausfallstraßen. Es erkennt zuverlässig Menschen, Bordsteinkanten, Schilder und Ampeln, weiß zwischen fahrenden und parkenden Autos zu unterscheiden, hält den perfekten Abstand.
Autonomes Fahren funktioniert – zu 99 Prozent. Matthew Avery, Chef des Forschungszentrums der europäischen Kfz-Versicherer im englischen Newbury, rechnet bereits von 2025 an mit selbstfahrenden Autos im Alltag. Entscheidend also sind andere Fragen: Wer wird diese neue Technologie prägen? Wer verfügt über das dafür notwendige Wissen – und wer wird an ihr verdienen?





Vor allem für die deutsche Industrie sind dies drängende Fragen. Die hiesigen Hersteller und Zulieferer haben sich in der alten Welt besonders bequem eingerichtet. Nun stehen neue Zeiten an: Wenn Roboter das Steuer übernehmen, werden Unfälle, derzeit in neun von zehn Fällen von Menschen verursacht, zur Ausnahme. Staus werden selten, weil sich die Computerautos untereinander abstimmen. Statt ihre Zeit im Stoßverkehr und auf Parkplatzsuche zu vergeuden, könnten Pendler im Auto lesen, arbeiten, sogar schlafen. Sie wären dann am Ziel so entspannt wie Bahnreisende – und zwar auch dort, wo keine Schienen hinführen.
Schöne, neue Autowelt.
Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens
Der Fahrer lenkt, bremst und beschleunigt selbständig. Einfache Systeme wie Abstandshalter unterstützen ihn.
Das elektronische System übernimmt bestimmte Funktionen wie etwa das automatische Einparken oder das Spurhalten. Der Fahrer bleibt aber weiter in der Verantwortung, die Hände bleiben am Lenkrad.
Das Fahrzeug fährt weitgehend autonom, der Fahrer muss nicht mehr alles dauerhaft überwachen. Er darf die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber in der Lage sein, nach Vorwarnung die Kontrolle wieder zu übernehmen.
Der Fahrer kann noch übernehmen, ist aber nicht mehr erforderlich, um das Auto zu steuern. Elektronische Systeme können alle Verkehrssituationen automatisch bewältigen.
Das Lenkrad entfällt, das Auto wird nur noch vom System gesteuert.
Nicht so schön allerdings dürfte sie für die deutsche Autoindustrie werden. Sie bekommt neue Konkurrenz, ihre Marktanteile und Gewinne geraten unter Druck. Vor allem Cash-kräftige IT-Konzerne wie Intel und Google drängen massiv ins Autogeschäft. „Sie werden große Teile der lukrativen Wertschöpfung für sich beanspruchen“, sagt Wolfgang Bernhart, der bei Roland Berger die Autobranche berät.
Vorsprung dank Masse
Die Autokonzerne müssen ihre Strukturen umbauen – oder mit den Hightechrevolutionären kooperieren, wenn sie nicht langfristig zum Hersteller namenloser Blechhüllen verkommen wollen.





Eine Nachricht, die manche Chefetagen nur sehr langsam erreicht. VW-Chef Matthias Müller nannte das autonome Fahren noch 2015 „einen Hype, durch nichts zu rechtfertigen“. Dabei stehen die deutschen Firmen auf den ersten Blick gar nicht schlecht da: Sie halten mehr als die Hälfte der weltweit knapp 5900 Patente zum autonomen Fahren. Allein Bosch besitzt 958; es folgen Audi mit 516 und Continental mit 439 Patenten. Nur Ford, GM und Toyota mischen mit in der Top-Ten-Liga und machen der deutschen Ingenieurkunst Konkurrenz.
Die Deutschen sind immer dort stark, wo sie ihr Know-how in bestehenden Technologien weiterentwickeln können – etwa aus Spurhalte- und Kollisionsschutzsystemen. Durch die Rekombination des Know-hows aus verschiedenen Technologien, die Autofahrern schon heute assistieren, wollen Bosch und Conti ihre Position als führende Zulieferer in die neue Autowelt retten. „Wie im Zehnkampf muss man für das autonome Fahren alle Disziplinen gut beherrschen, nicht nur eine oder zwei sehr gut“, sagt Bosch-CEO Volkmar Denner. Seine Paradedisziplinen: elektronische Stabilitätssysteme, die verhindern, dass ein Auto zu schnell in eine enge Kurve fährt und kippt; computeroptimierte Bremsen und Lenksysteme, die die Zahl der Auffahrunfälle bereits um mehr als 40 Prozent verringert haben. Und die Sinnesorgane des Zukunftsautos: Radar-, Ultraschall- und Videosensoren, die die Umgebung des Fahrzeugs erfassen.