Der deutsche Getriebehersteller ZF will den US-Konkurrenten TRW übernehmen. Dadurch würde das Unternehmen aus Friedrichshaften gemessen am Umsatz zum drittgrößten Zulieferer nach Continental und Bosch aufsteigen – und ein weiterer potenzieller Wettbewerber vom Markt verschwinden. In kaum einer Branche sind in den vergangenen fünf Jahren so viele Unternehmen vom Markt verschwunden wie in der Zuliefererindustrie.
Für viele Komponenten gibt es oft nur noch zwei oder drei Hersteller. Und wo noch reger Wettbewerb herrscht, wird es nicht mehr lange so bleiben. „Die gesamte Lieferantenlandschaft wird noch eine weitere Konsolidierung erleben", sagt Elmar Kades, Automobilexperte bei AlixPartners.
Immer weniger Unternehmen überleben den Preisdruck der Konzerne. Diese fordern neben günstigen Herstellungskosten eine immer höhere Qualität der Teile und ordern immer größere Stückzahlen für ihre global eingesetzten Baukastensysteme. In einem bisher ungekannten Ausmaß suchen die Lieferanten den Ausweg, indem sie die Grenzen der Legalität überschreiten.
Strafen in Höhe von mehr als 4,5 Milliarden mussten Zulieferer in Europa, den USA und Japan in den vergangenen fünf Jahren zahlen, weil sie ihre Preise untereinander abgesprochen hatten. Ein neuer Rekord. "Wir vermuten Kartelle bei fast allen Teilen, die man für ein Auto braucht", sagte EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia Anfang des Jahres.
Wer für Preisabsprachen belangt wurde
... musste Schaeffler berappen. 370 Millionen Euro waren fällig. Schaeffler hat gemeinsam mit fünf Konkurrenten die Preise für Wälzlager künstlich hochgehalten.
... musste der schwedische Zulieferer SKF wegen der unerlaubten Absprache mit Schaeffler und anderen bezahlen. Zwischen 2005 und 2011 sollen die Wälzlager-Hersteller die steigenden Stahlpreise koordiniert und an die Kunden in der Autoindustrie weitergegeben haben sowie sich bei Kostenvoranschlägen und Jahresrabatten für die Abnehmer abgesprochen haben.
... musste der japanische Konzern Yazaki 2013 bezahlen, weil er sich bei der Lieferung von Kabelbäumen mit anderen Herstellern über eine gemeinsame Preisstruktur geeinigt hatte. Weitere Geldbußen in Höhe von 11 und vier Millionen Euro mussten Yazaki-Tochter S-Y Systems Technologies die ebenfalls japanische Firmen Furukawa zahlen.
... musste der deutsche Zulieferer Leoni vergangenes Jahr bezahlen. Auch er war Teil des Kabelbaum-Kartells.
Scheibenwischer, Kühler, Airbags, Einspritzdüsen, Kabelbäume, Auspuff - von vorne bis hinten sollen sich Zulieferer darüber ausgetauscht haben, wie viel sie für ein Teil verlangen. Die Unternehmensberatung Alix Partners glaubt, dass mittlerweile bis zu 30 Prozent der Materialkosten für ein Fahrzeug von Preisabsprachen betroffen sein können. Wie konnte es zu einer solchen Entwicklung kommen?
Experten glauben: Die Autokonzerne sind daran zu einem guten Teil selber schuld. Ihre Einkaufspolitik beschreiben Lieferanten als rigoros, aggressiv und brutal. Manches von dem, was sie verlangen, "grenzt an Erpressung", sagt ein Zulieferer. "Anstand und Respekt sind im Laufe der letzten zehn Jahre immer mehr verloren gegangen", sagt auch Harald Schatz von der Vertriebsberatung Peter Schreiber & Partner. In den Achtzigerjahren sei Partnerschaft noch keine leere Floskel gewesen. Jetzt, sagt Schatz "hat der Zulieferer zu spuren".
Rabatte bis zur Schmerzgrenze
Wer sich den Vorgaben der Hersteller nicht beuge, verschwinde sofort von der Anbieterliste. Dazu gehört auch, seine Kalkulation bis ins Detail offen zulegen – lange bevor ein Vertragsabschluss in Aussicht sei. Die Preise werden bis an die Schmerzgrenze gedrückt.
Nach einer repräsentativen Umfrage von Peter Schreiber & Partner mussten 46 Prozent der Befragten ihren ursprünglichen Angebotspreis um bis zu 30 Prozent senken, um überhaupt an neue Aufträge zu kommen. Weitere 23 Prozent räumten mindestens zehn Prozent Rabatt ein. Doch damit nicht genug. Üblich sind Folge-Rabatte, bei denen der Zulieferer dem Hersteller jährlich einen Preisabschlag von drei Prozent über die gesamte Vertragslaufzeit gewährt.
Hersteller zögern Bezahlung hinaus
Noch nicht eingerechnet sind die so genannten "Quicksavings". Diese Sonderzahlung verlangen die Hersteller schon vor der Auftragsvergabe. Manche sprechen auch von "pay to play"-Zahlungen. Mit anderen Worten: Die Autokonzeren kassieren bis zu zweistellige Millionenbeträge dafür, dass der Zulieferer überhaupt in die engere Auswahl für einen Auftrag oder Folgeauftrag kommt.
Diese Praxis ist gängig und legal. Für die vielen mittelständischen Hersteller ist das finanziell kaum zu stemmen. "Das Kartellamt setzt den Hebel an der falschen Stelle an", kritisiert Schatz, "die Hersteller nutzen ihre Marktmacht gegenüber mittelständischen Betrieben ganz klar aus."
Womit die Zulieferer zu kämpfen haben
Immer mehr Innovationen müssen von den Zulieferern selbst kommen. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben steigen dadurch stark an. Die Zulieferer müssen stärker in Vorleistung gehen und tragen damit ein höheres unternehmerisches Risiko.
Die Autokonzerne bauen immer mehr Werke in Asien oder Mexiko. Damit steigt der Druck auf die Zulieferer, ebenfalls in neue Standorte zu investieren.
Global agierende Autokonzerne schreiben ihre Aufträge immer öfter für die weltweite Produktion aus. Viele mittelständische Zulieferer können weder die geforderten Stückzahlen herstellen noch den Konzernen einfach ins Ausland nachfolgen.
Autokonzerne wie PSA und GM bilden immer öfter Einkaufsgemeinschaften, gleichzeitig steigt die Zahl von Modulbaukästen für die identische Teile in sehr hoher Stückzahl benötigt werden. Beides führt dazu, dass der Preisdruck steigt. Die Zahl der Zulieferer, die das leisten kann, sinkt.
27 Jahre war er bei Zulieferern als Führungskraft im Vertrieb tätig, "mehrfach habe ich Kunden mit Lieferstopp drohen müssen, um mein Geld zu bekommen." So hätten die Hersteller mit allen Mitteln versucht, Zahlungen für Spezialwerkzeuge hinauszuzögern - weil die Qualität angeblich nicht gepasst habe. Dabei seien die Teile zigtausendfach verbaut gewesen und es zu keinerlei Beanstandungen gekommen. Ebenfalls üblich sei es, die Einkäufer alle anderthalb bis zwei Jahre auszutauschen, damit erst gar keine persönliche Bindung zum Lieferanten zustande komme.
Ohne Innovation kein Premium
Die Beziehungen zwischen Hersteller und Zulieferer erinnern oft mehr an Landsherr und Knecht als an eine faire Vertragspartnerschaft. Dabei sind Autobauer in hohem Maß von den Zulieferern abhängig. Rund 80 Prozent eines Autos entstehen bei den Lieferanten. Die Wertschöpfungstiefe der Autokonzerne hat in den vergangenen Jahren immer weiter abgenommen.
Doch je angespannter die Beziehungen zwischen Hersteller und Zulieferer, desto höher die Gefahr, dass Innovationen auf der Strecke bleiben. Dabei sind diese gerade für die deutschen Premiumhersteller wichtig – nur für Hightech-Produkte lassen sich auch Premiumpreise verlangen.
Guido Hauptmann vom Beratungshaus Goetzpartners sieht bereits erste Konsequenzen: "Neuheiten kommen häufig nicht mehr in deutschen Premiumfahrzeugen zuerst vor, sondern bei der Konkurrenz."
Die Berater von Goetzpartners befragten Lieferanten zu ihrem Verhältnis zu ihren Auftraggebern. Dabei wollten sie wissen, wie die Zulieferer die Zusammenarbeit mit den Autokonzernen entlang des gesamten Wertschöpfungsprozesses bewerteten und wo sie Verbesserungspotenziale sahen; ob sie als Partner wahrgenommen wurden oder ob es den Herstellern nur darum ging, Leistungen aus finanziellen Gründen auszulagern und Zulieferer entsprechend im Preis zu drücken.
Das Ergebnis: Als besonders vorbildlich erlebten die Befragten die Zusammenarbeit mit Jaguar Land Rover, auch die deutschen Hersteller Audi, BMW, Mercedes-Benz, Porsche und VW schnitten insgesamt gut ab. Bei anderen europäischen Hersteller und den asiatischen Marken gestalte sich die Zusammenarbeit weniger partnerschaftlich. Hier stand vor allem der Preis im Vordergrund.
Dem Preisdruck entgehen
"Je austauschbarer das Produkt ist, desto schwerer hat es der Zulieferer gegenüber dem Hersteller", sagt Hauptmann. Wer wie Bosch oder ZF in seinem Bereich technologisch führend ist, kann auch Preise vorgeben. Hersteller von einfachen Spritgussteilen haben fast keine Chance, sich gegen das Preisdiktat zu wehren. Denn für die Zulieferer ist der Druck, in die großen Plattformen oder Baukästen zu liefern, enorm hoch - denn hier werden oft mehrere Millionen Stück pro Jahr produziert. "Ist ein Zulieferer hier nicht dabei, kann sich das deutlich in der Auslastung der Werke niederschlagen“, erklärt Jens Weise von Alix Partners.
Sprich: Lehnt er den Auftrag ab, riskiert er die finanzielle Schieflage bis hin zur Pleite. Auch Schatz hält es für unwahrscheinlich, dass sich jemals ein Zulieferer gegen einen Autokonzern zur Wehr setzt: "Keiner sägt an dem Ast, auf dem er sitzt. 99 Prozent können sagen: Wir machen das Spiel nicht mehr mit. Aber der Einhunderste wittert seine Chance und knickt ein."
Wer ablehnt, ist raus
Einige Lieferanten produzieren zu ihren Fixkosten, nur um für ein Baukastensystem zu liefern. Wer ablehnt, ist raus. "Irgendwann haben Sie mal so viel Druck", sagt ein Zulieferer, "da überlegen sie schon sehr intensiv, ob sie sich mal mit den Kollegen unterhalten." Preisabsprachen? Kein Fair-Play, klar - aber davon kann in der Branche schon lange keine Rede mehr sein.
Doch dieses Spiel hat eine unangenehme Folge: Sind alle schwachen Unternehmen aus dem Markt gedrängt, wird es nämlich selbst den Herstellern mulmig. Denn gibt es nur noch drei potenzielle Lieferanten, wird es Zeit, einen schwächeren Zulieferer zum so genannten Tier 1 aufzubauen - also zum Lieferanten der erste Garde mit Topqualität und erstklassigen Prozessen.
Zuliefererindustrie – Fakten und Trends
Die deutsche Autozulieferindustrie setzte 2013 insgesamt 70 Milliarden Euro um, weltweit machten die 300 größten Unternehmen der Branche einen Umsatz von 720 Milliarden Euro.
In Deutschland arbeiten gut 300.000 Menschen für die Zuliefererindustrie. Der Anteil an der Bruttowertschöpfung Deutschlands liegt bei rund vier Prozent.
Bis 2020 entfällt nahezu 80 Prozent des Branchenwachstums auf die Emerging Markets. Dort werden neue Kapazitäten aufgebaut und lokale Lieferanten-Strukturen gebraucht. Die Zulieferer müssen ihre Preise und Produkte diesen Märkten anpassen.
In Europa wird die Nachfrage mittelfristig stagnieren. Ein Glück für die Zulieferer bleibt das weltweit überdurchschnittlich wachsende Premiumsegment. Das dürfte dafür sorgen, dass die Produktion in den nächsten Jahren mindestens stabil bleibt.
So gründete Daimler 2001 ein Gemeinschaftsunternehmen mit der japanischen IHI-Gruppe, um eine Konkurrenz zu den Turbolader-Spezialisten BorgWarner und Honeywell aufzubauen. 2013 verkauften die Schwaben ihre Anteile an IHI Charging-Systems dann wieder für einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag an den japanischen Partner.
Und als während der Krise 2007 bis 2009 die Autoverkäufe massiv einbrachen und Zulieferer reihenweise vor der Pleite standen, investierten die Autokonzerne dreistellige Millionenbeträge, um ihre Lieferanten zu retten und die Produktion am Laufen zu halten.
Für Berater Schatz passt das nicht zusammen: "Es ist ein irrationales System, das überhaupt nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist." Die Hersteller unterhielten zum Teil 20-köpfige Monitoring-Teams, um die finanzielle Situation ihrer Zulieferer im Auge zu behalten. Stehe ein wichtiger Lieferant kurz vor der Pleite, könne der Konzern beispringen - nachdem er ihn zuvor durch seine Rabattforderungen mit in die Insolvenz getrieben habe.
Schatz wünscht sich für die Zukunft mehr Weitsicht von der Herstellern: "Es wäre für alle sinnvoll, sich wieder mehr als Partner zu verstehen. Damit wir als deutsche Autoindustrie weltweit erfolgreich bleiben."