Der Maico Champion 400 war ein typischer Kleinwagen der Nachkriegszeit: zwei Sitze, ein Ein-Zylinder-Rasenmähermotor im Heck, entwickelt 1948 von der Zahnradfabrik Friedrichshafen und gefertigt von verschiedenen Lizenznehmern in ganz Deutschland. Einer davon war Benteler. Das Unternehmen wurde 1876 als Eisenwarenhandel in Bielefeld gegründet. Knapp 2000 Maico Champion liefen 1951 und 1952 im Werk Paderborn-Mönkeloh vom Band.
Der Wirtschaftswunderwinzling war nur eines von vielen Beispielen für die Anpassungsfähigkeit des traditionsreichen Familienunternehmens. 1918 produzierte der einstige Stahlhändler die ersten gezogenen Stahlrohre, 1930 Masten und Kandelaber, 1935 Auspuffrohre für den Ford Eifel. Im Krieg folgten Flakgeschütze, danach Fahrradteile, Textil-, Kunststoff- und Glasbearbeitungsmaschinen, 1950 Kühlschränke der Marke Delta. 1974 eröffnete Benteler sogar ein Elektrostahlwerk.
Wichtige Anpassungen wurden verschoben
So schön, schön war die Zeit. Flexibilität und Prosperität sind verflogen, von der Anpassungsfähigkeit der vergangenen Jahr ist kaum noch etwas zu spüren. Der in vierter Generation von Hubertus Benteler geführte Konzern mit zuletzt rund 7,5 Milliarden Euro Umsatz steckt in der Abhängigkeit von der Autoindustrie fest, fast 80 Prozent der Einnahmen stammen von der konjunkturgebeutelten Branche. Dringend notwendige Anpassungen an das kriselnde Umfeld vor allem in Europa wurden immer wieder verschoben. Die offene Nachfolgeregelung trieb Manager ausgerechnet in der wichtigen Autosparte von der Fahne. Seit Anfang des Jahres steht fest, dass weltweit 1800 von 22 000 Stellen in der Autosparte gestrichen werden sollen, davon vermutlich 500 am deutschen Stammsitz in Paderborn.
Benteler, der Unternehmensberatung Berylls Strategy Advisors zufolge 2012 mit einem Spartenumsatz von 5,9 Milliarden Euro weltweit auf Platz 32 der Autozulieferer, hat riesige Probleme mit der Marge. Um Aufträge nicht an Konkurrenten zu verlieren, machte das Unternehmen Insidern zufolge hohe Preiszugeständnisse an etliche Autokonzerne, die im vergangenen Jahr fast den gesamten Gewinn auffraßen.
Benteler gilt als lukrativ
Dabei läuft im 137. Jahr seit der Gründung längst nicht alles schlecht bei Benteler. Die Gruppe, die seit Mitte 2010 von einer Holding in Salzburg geführt wird, ihren Stammsitz aber weiter in Paderborn hat, steht auf drei rechtlich selbstständigen Säulen und verfügt über eine recht ordentliche Eigenkapitalquote von gut 26 Prozent. Das Stahlgeschäft, das 2012 rund eine Milliarde Umsatz beisteuerte, gilt unter Experten als lukrativ.
Auch das Engagement der Benteler-Autosparte bei der Verwendung neuer Materialien und im Leichtbau wird positiv beurteilt. "Das seit 2007 bestehende Joint Venture mit SGL Carbon und die Investitionen in den Aluminiumleichtbau sind ein wichtiges Differenzierungsmerkmal gegenüber Wettbewerbern, die dafür sorgen, dass Benteler in allen Materialien lieferfähig ist", lobt ein Branchenexperte. "Das Karbon-Engagement ist zwar noch eine offene Wette, aber so ein Risiko muss ein Unternehmen eingehen."
Hypotheken der Vergangenheit
Als Achillesferse gilt aber das traditionelle Autogeschäft, das die Produktion von Achsen, Fahrwerks- und Karosserieteilen wie Stoßfängern, Dachrahmen, tragenden Metallsäulen sowie von Auspuffanlagen und Abgassystemen zur Schadstoffverringerung umfasst. Mit der Entwicklung, Fertigung und dem Vertrieb der Autoteile wechselt Benteler praktisch nur Geld. Zwar legte der Umsatz von 5,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr mit einem Plus von sechs Prozent schneller zu als der Markt. Doch blieb nach Abzug der Kosten am Ende nur ein Mickerbetrag von 41 Millionen Euro vor Steuern in der Kasse. Das entspricht einer Umsatzrendite von gerade mal 0,6 Prozent. Die Renditeschwäche ist chronisch: Selbst 2007, im Jahr vor der Lehman-Krise, erreichte Benteler nur knapp vier Prozent.
Nach Ansicht ehemaliger Mitarbeiter ist die Margenschwäche denn auch vor allem eine Hypothek der Vergangenheit, als Benteler einigen Autobauern zu große Zugeständnisse machte, um im Geschäft zu bleiben. "Die Automobilbranche ist ohnehin ein Geschäftsfeld mit sehr hohem Risiko", sagt ein Ex-Manager, "wer da zu große Preiszugeständnisse macht, hängt später am Fliegenfänger."
Benteler kann nicht loslassen
Das Unternehmen will sich dazu nicht konkret äußern. "Benteler ist ein global tätiges Unternehmen und hat überwiegend langjährige Kunden und Geschäftspartner", heißt es auf Anfrage. Es sei wichtig, die Auftragslage ganzheitlich zu betrachten. "Dabei ist es durchaus möglich, dass Aufträge mit sehr unterschiedlichen Margen gebucht werden. Diese Mischung sichert zum einen langjährige, partnerschaftliche Geschäfte und bietet zum anderen eine Auslastung der Werke und sichert somit Arbeitsplätze." Dem Unternehmen gehe es um nachhaltigen, nicht nur um einzelnen, kurzfristigen Erfolg.
Langjährige Kenner sehen allerdings noch eine andere tief sitzende Ursache für die Probleme. "Benteler hat eine ganz komische Firmenkultur", sagt ein Insider. Diese manifestiere sich vor allem in den Charaktereigenschaften des Firmenpatriarchen, Vorstandsvorsitzenden Hubertus Benteler, der das Unternehmen seit 1991 lenkt. Der inzwischen 66 Jahre alte Alleinherrscher über die Aktiengesellschaft, die vollständig im Familienbesitz liegt, kann nur schwer loslassen und Verantwortung an externe Manager delegieren – eine Schwäche, die Benteler mit vielen anderen starken Unternehmerpersönlichkeiten teilt. Sieben Top-Manager haben die Autosparte in den vergangenen sieben Jahren mehr oder weniger entnervt verlassen. "Entweder weil sie nicht durften, wie sie wollten, oder weil sie nicht wollten, wie sie sollten", sagt ein Insider.
Drei Chefs in 14 Jahren
Das amtierende Bereichsvorstandstrio kommt gemeinsam auf eine Amtszeit von nicht mal fünf Jahren. Sprecher Thomas Wünsche – er ist in Personalunion auch Sprecher der Geschäftsführung der Benteler Deutschland GmbH – ist seit knapp eineinhalb Jahren im Amt, sein Kollege James Sheehan gerade mal gut sechs Monate. Nur Ralf Göttel trägt schon seit zweieinhalb Jahren Verantwortung in dem Gremium. "Der häufige Wechsel hat dazu beigetragen, dass längst überfällige Strukturanpassungen immer wieder verschoben wurden", sagt ein Insider gegenüber der WirtschaftsWoche. Das Unternehmen spielt das Thema herunter. Der Konzernvorstand sei mit Hubertus Benteler und Finanzvorstand Siegmund Wenk, der dieser Tage aus Altersgründen aus dem Amt scheidet, sehr stabil, heißt es auf Anfrage. Die Automobilsparte habe in den vergangenen 14 Jahren nur drei Chefs gehabt – inklusive dem amtierenden.
Angst vor Entlassungen
Gleichzeitig zeigt der langjährige Vorstandschef eine ausgeprägte soziale Ader, wie sie sonst eher Gewerkschafter haben. So habe er seinen Managern Fesseln auferlegt, als diese nicht mehr profitable Werke schließen wollten. "Das ist ähnlich wie vor Jahren bei Karmann in Osnabrück", sagt ein Insider. "Auch dort hatten die Eigentümer Angst davor, morgens beim Brötchenholen beschimpft zu werden, weil sie Leute entlassen haben." Die Karosserieschmiede Karmann, die zum Beispiel Cabrios für VW und Audi montierte, musste 2009 nach jahrelangem Siechtum Insolvenz anmelden.
Hubertus Benteler rang sich erst nach der Katastrophenbilanz des vergangenen Jahres dazu durch, schmerzhafte Einschnitte einzuleiten. Das sei zur Zukunftssicherung unerlässlich, erklärte die Firmenleitung Ende Januar. Leichtgefallen ist das dem Firmenpatriarchen sicher nicht.
"Benteler ist ein Familienunternehmen in vierter Generation, es nimmt seine Verantwortung als verantwortungsvoller Arbeitgeber sehr ernst", heißt es in einer offizielle Stellungnahme gegenüber der WirtschaftsWoche. Als nicht börsennotiertes Unternehmen zähle nicht der kurzfristige Erfolg, sodass Werksschließungen sehr gut überlegt werden müssten. Oder, wie der Firmenchef selbst einmal formulierte: "Werke schließen kann jeder, sogar meine Frau. Umstrukturieren und erhalten kann nur ein Mann wie ich."