Autozulieferer Läutet der Fall Volkswagen eine Zeitenwende ein?

Der Produktionsstopp bei VW hat gezeigt: Das Verhältnis zwischen Autobauern und Zulieferern ist mehr als angespannt. Die Auswirkungen des Falls Prevent auf die Machtverhältnisse in der Branche sind noch nicht abzusehen.

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Diese Zulieferer sind besonders abhängig von VW
Platz 15: Thyssen-KruppIm Geschäftsjahr 2014 erwirtschaftete Thyssen-Krupp durch Geschäfte mit Volkswagen einen Umsatz von rund 2 Milliarden Euro. Die Summe macht allerdings lediglich 5 Prozent am Gesamtumsatz aus. Angaben beruhen auf Geschäftsberichte, Unternehmenspräsentationen, Berechnungen und Schätzungen. Quelle: Bloomberg, HRI Stand: 28. September 2015 Quelle: dpa
Platz 14: LeoniDie Leoni AG aus Nürnberg ist als Hersteller von Kabeln und Drähten auf Bordnetz-Systeme spezialisiert. Als Zulieferer für Volkswagen machte das Unternehmen 2014 einen Umsatz von 243 Millionen Euro, das waren 6 Prozent des Gesamtumsatzes. Quelle: dpa
Platz 13: RheinmetallAuch Rheinmetall erzielt 6 Prozent seines Gesamtumsatzes mit VW, 294 Millionen Euro waren es im Geschäftsjahr 2014. Quelle: dpa
Platz 12: ZF FriedrichshafenRund 1,5 Milliarden Euro erlöste der Konzern mit den Wolfsburgern, 9 Prozent des Gesamtumsatzes im Geschäftsjahr 2014. Quelle: dpa
Platz 11: ContinentalDer Dax-Konzern erwirtschaftete durch VW-Aufträge im Geschäftsjahr 2014 einen Umsatz von rund 3 Milliarden Euro, die immerhin 9 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachten. Quelle: dpa
Platz 10: DelphiDer US-Zulieferer Delphi Automotive setzte bei Geschäften mit VW 2014 rund 1,2 Milliarden Euro um – 10 Prozent des Gesamtumsatzes. Quelle: dpa
Platz 9: Elring-KlingerDer unter anderem auf Zylinderkopf und Spezialdichtungen spezialisierte Konzern machte durch Geschäfte mit VW absolut den geringsten Umsatz in der Rangliste: lediglich 142 Millionen Euro. Die Summe machte trotzdem 10 Prozent des Gesamtumsatzes im Geschäftsjahr 2014 aus. Quelle: dpa

Der Showdown dauerte 19 Stunden. Er begann am Montag um 13 Uhr in einem Wolfsburger Hotel. Weißer Rauch aber stieg erst am nächsten Morgen um 8 Uhr auf. Geschlafen haben soll in dieser Nacht keiner. Zu viel stand für Volkswagen auf dem Spiel. Weil zwei Zulieferer wichtige Teile nicht mehr lieferten, stand allen voran die Produktion des VW-Modells Golf im Stammwerk Wolfsburg still. Der Lieferstopp betraf knapp 28.000 Beschäftigte. VW hatte bereits Kurzarbeit geplant.

Die zwei bis dato kaum bekannten Zulieferer Car Trim und ES Automobilguss hatten mit VW den größten Autobauer Europas kurzzeitig in die Knie gezwungen. Ein Vorgang, der das Verhältnis zwischen Herstellern und Zulieferern verändern wird.

70 Prozent der Teile kommen von Zulieferern

Der Streit hatte sich an einem Projekt von Car Trim und VW entzündet, aus dem der Autobauer ausgeschieden war. VW habe Aufträge „frist- und grundlos“ gekündigt, sagte Prevent, die Mutter der betroffenen Zulieferer, und klagte, die Firmen hätten Ansprüche gegen VW in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe. Da Volkswagen nicht zahlte, stoppten Car Trim und ES Automobilguss ihre Lieferungen an VW kurzerhand.

Diese VW-Werke waren von dem Lieferstopp betroffen

Der Fall zeigt, wie abhängig die Autobauer von einigen Zulieferern sind. Frank Schwope, Analyst der Nord/LB, schätzt, dass im Schnitt rund 70 Prozent der Teile, die in einem Auto verbaut werden, von Zulieferern kommen – von Getriebeteilen bis zum Scheinwerfer. Im Jahr 2015 setzten die 100 größten Zulieferer weltweit 789 Milliarden Euro um. Die deutschen Unternehmen hatten der Beratung Berylls Strategy Advisors zufolge einen Anteil von gut 22 Prozent – im weltweiten Vergleich kommen die Deutschen auf Platz zwei, gleich hinter Japan.

Oft werden Lieferanten von Herstellern gegängelt. Zwar hat sich etwa BMW einen Ruf als fairer Partner erarbeitet, doch versuche VW seit dem Dieselskandal, so der Vorwurf einiger Zulieferer, auf ihre Kosten zu sparen. VW weist das zurück; man entscheide auf Basis von Qualität, Innovationen, Lieferfähigkeit und Kosten über Verträge.

So oder so: Viele Hersteller drücken Verträge mit harten Vorgaben und Preisen durch, statt auf partnerschaftlichen Umgang zu setzen. Das passe nicht zum Geschäftsgebaren unserer Zeit, in der Arbeitsteilung herrsche, sagt Frank Welge, Partner der Kölner Einkaufs- und Lieferkettenberatung Inverto. Unternehmen anderer Branchen hätten Zulieferer längst zu Geschäftspartnern gemacht. Die Beziehung würde durch weitsichtige Verträge gesichert, die eine gerechte Teilung gemeinsam erwirtschafteter Gewinne ermöglichten, so Welge.

Hätte sich VW daran gehalten, wäre dem Unternehmen einiges erspart geblieben. Denn Herausforderer Prevent agierte im Streit mit seinem übermächtigen Partner geschickt. So lag VW anfangs offenbar nur mit Car Trim im Clinch, der eine VW-Tochter mit Bezügen für Autositze beliefert. Als Car Trim auf seiner Forderung gegen VW sitzen blieb, trat Car Trim einen Teil der Forderung an die ebenfalls zu Prevent gehörige ES Automobilguss ab. Das Unternehmen liefert Getriebeteile – und ist dort als alleiniger Lieferant ein kurzfristig nicht zu ersetzender Zulieferer für VW. So konnte ein kleines Unternehmen wie Prevent den übermächtigen VW-Konzern in die Knie zwingen.

Für einzelne Teile gibt es nur einen Zulieferer

Der Fall kann sich jederzeit wiederholen: Für den vom Lieferstopp betroffenen VW Golf liefern rund 500 Zulieferer Einzelteile zu. Die Produktion ist auf Kante genäht, denn das Prinzip der doppelten Absicherung mit zwei Lieferanten pro Teil ist nicht überall praktikabel. Oft benötigen Autobauer spezielle Teile, die nur von einem Hersteller produziert werden. „Viele Fahrzeugtypen werden in so vielen Varianten gebaut, dass die einzelnen Stückzahlen klein sind – also lohnt es sich oft nicht, einen zweiten Lieferanten für jedes Teil zu beauftragen“, sagt Jan Dannenberg von Berylls.

Die Milliarden-Buße für VW im Überblick

Es kann Autoanalyst Schwope zufolge Wochen oder gar Monate dauern, bis ein neuer Zulieferer einspringen kann oder ein zweiter die doppelte Stückzahl liefert. Zulieferer müssen erst Personal und Werkzeuge aufbauen, bis sie liefern können, zudem durchlaufen die Teile bei Herstellern zeitaufwendige Kontrollen.

VW gibt zu, dass „die Absicherung aller Lieferteile durch zwei oder mehrere Lieferanten faktisch und kaufmännisch nicht möglich“ sei. Die Abhängigkeit sei heute „so eng, dass alle daran Beteiligten darauf angewiesen sind, dass Verträge eingehalten werden“, schreibt VW in einer Stellungnahme.

„Ohne Zulieferer geht gar nichts."

Im Verband der Automobilindustrie (VDA) sind sowohl Autobauer als auch die Zulieferer vertreten. Eine nicht immer einfache Konstellation. „Wir tragen Lob und Tadel von Zulieferern – meist gebündelt – zu den Einkaufschefs und umgekehrt deren Erwartungen an die Lieferanten“, sagt VDA-Geschäftsführer Klaus Bräunig – und weiter: „Ohne Zulieferer geht gar nichts. Und wer mit seinen Forderungen überzieht, zieht am Ende doch den Kürzeren, das zeigt die Erfahrung beider Herstellergruppen.“

Doch es muss nicht immer ein Streit sein – eine Naturkatastrophe oder Feuer reichen aus, um den Nachschub zu gefährden. Nicht nur aus diesem Grund überwiegen für Marc Staudenmayer, Deutschland-Geschäftsführer der Strategieberatung Advancy, die Risiken, wenn bestimmte Teile nur von einem Lieferanten bezogen werden. „Die Einsparungen gegenüber einer Lösung mit zwei Lieferanten für ein Bauteil werden im Schadensfall sofort aufgebraucht“, so Staudenmayer. Dies sei seit Jahren bekannt, allerdings sei es vielen Herstellern wichtiger, kurzfristig Geld zu sparen, als langfristig ihre Lieferungen abzusichern.

Weil der drohende Ausfall eines Zulieferers so brisant für die Autobauer ist, werden hochspezialisierte Werkzeuge, die Teile für die Autobauer fertigen, besonders geschützt. „Wichtige Werkzeuge stehen in speziellen Räumen, sodass sie etwa im Fall eines Brandes geborgen werden können und nicht kaputt gehen“, sagt Berater Dannenberg. Die Autobauer verlangen solche Investitionen von ihren Zulieferern, sonst bekommen sie mitunter keinen Auftrag.

9,1 Prozent Gewinnmarge

Der Druck auf viele Zulieferer ist einerseits groß. So rechnet Berater Dannenberg von Berylls damit, dass bis zum Jahresende etwa 70 Autozulieferer in Deutschland aufgekauft werden. 42 von ihnen sind 2016 bereits übernommen worden.

Wahr ist andererseits aber auch: Zulieferer verdienen im Schnitt besser als Autobauer. 2015 rutschte kein deutscher Zulieferer, der unter die globalen Top 100 fällt, in die roten Zahlen – im Schnitt lagen hiesige Zulieferer mit 9,1 Prozent Gewinnmarge vom Umsatz im Spitzenfeld der profitabelsten Automobilzulieferer der Welt. Zum Vergleich: Die Europäer lagen ohne Deutschland bei 8,8 und die Japaner bei 7,5 Prozent.

Natürlich verdient nicht jeder Zulieferer so gut – das Feld spaltet sich in solche, die Innovationen entwickeln, und bloße Produzenten: Laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger sind die Margen bei Anbietern von Antriebssystemen zuletzt unter den Branchenschnitt gefallen. Zulieferer, die auf gefragte Fahrassistenzsysteme oder automatisierte Fahrfunktionen spezialisiert sind, schneiden bei der Rendite besser ab. „Im Schnitt verbuchen Unternehmen, die auf Innovationen bei ihren Produkten setzen, eine um rund zwei Prozent höhere Profitabilität als Unternehmen, die nur produzieren“, sagt Thomas Schlick, Partner bei Roland Berger.

Das zeigt, dass es zu wenig ist, wenn ein Zulieferer nur Standardware produziert. „Innovation ist die Kernkompetenz der deutschen Industrie. Nur so können wir im Wettbewerb mit asiatischen oder anderen Unternehmen bestehen – das gilt für die Autobauer, aber auch die Zulieferer“, sagt Arndt Kirchhoff, Chef des Karosseriebauers Kirchhoff Automotive aus Iserlohn. Damit Deutschland international nicht abgehängt wird, müssen spezialisierte Zulieferer daher gut verdienen.

Die Autobauer überlassen den Zulieferern heute auch wichtige Forschungsarbeiten, die sie früher selbst gemacht haben. „Diese Entwicklung macht die Autobauer abhängiger von den führenden Zulieferern“, sagt Personalberater Jon Nedelcu, der bei großen Zulieferern und Automobilherstellern international Führungspositionen besetzt. Er meint, dass Hersteller und Zulieferer daher mehr auf partnerschaftliche Zusammenarbeit setzen sollten. Dies nicht zuletzt, weil sich vor allem im Silicon Valley in den USA neue Mobilitätskonzepte entwickelten, die klassische Automobilhersteller und Zulieferer herausforderten.

Zulieferer forschen heute für die Autobauer

Nedelcu trifft damit den Nerv vieler Zulieferer, doch nur wenige sprechen so offen wie die börsennotierte SHW aus Aalen, die Motoröl- und Getriebeölpumpen baut und bei der gut 40 Prozent des Umsatzes an VW hängen: „Zulieferer müssen in der Lage sein, auskömmliche Margen zu erzielen, um langfristig hinreichend in die Produktentwicklung sowie neue Märkte investieren zu können“, sagt Michael Schickling von SHW. Das Unternehmen ist in Europa Marktführer im Bereich Motorschmierölpumpen.

Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler hofft, dass VW seine Partner künftig besser behandelt. „Manchmal braucht man ein reinigendes Gewitter, das passiert eigentlich viel zu selten.“

Der Streit zwischen VW und seinen Zulieferern gilt als beendet. Auch wenn über die finanziellen Modalitäten Stillschweigen vereinbart worden ist – aus Verhandlungskreisen ist zu hören, dass Prevent am Ende durchaus zufrieden mit dem Ergebnis war.

Vielleicht ist ein Anfang damit gemacht. Die Frage ist aber, zu welchem Preis, denn es ist denkbar, dass der Schuss mittelfristig nach hinten losgeht. Manch ein Experte befürchtet, dass Prevent nun bei vielen Herstellern „auf der schwarzen Liste stehen“ könnte, wie Berater Staudenmayer sagt. David gegen Goliath – möglicherweise gibt es in diesem Kampf noch eine nächste Runde.

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