Der Showdown dauerte 19 Stunden. Er begann am Montag um 13 Uhr in einem Wolfsburger Hotel. Weißer Rauch aber stieg erst am nächsten Morgen um 8 Uhr auf. Geschlafen haben soll in dieser Nacht keiner. Zu viel stand für Volkswagen auf dem Spiel. Weil zwei Zulieferer wichtige Teile nicht mehr lieferten, stand allen voran die Produktion des VW-Modells Golf im Stammwerk Wolfsburg still. Der Lieferstopp betraf knapp 28.000 Beschäftigte. VW hatte bereits Kurzarbeit geplant.
Die zwei bis dato kaum bekannten Zulieferer Car Trim und ES Automobilguss hatten mit VW den größten Autobauer Europas kurzzeitig in die Knie gezwungen. Ein Vorgang, der das Verhältnis zwischen Herstellern und Zulieferern verändern wird.
70 Prozent der Teile kommen von Zulieferern
Der Streit hatte sich an einem Projekt von Car Trim und VW entzündet, aus dem der Autobauer ausgeschieden war. VW habe Aufträge „frist- und grundlos“ gekündigt, sagte Prevent, die Mutter der betroffenen Zulieferer, und klagte, die Firmen hätten Ansprüche gegen VW in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe. Da Volkswagen nicht zahlte, stoppten Car Trim und ES Automobilguss ihre Lieferungen an VW kurzerhand.
Diese VW-Werke waren von dem Lieferstopp betroffen
Modell: Passat
Betroffene Mitarbeiter: rund 7.500
Quelle: Volkswagen
Modell: Golf (Tiguan- und Touran-Fertigung laufen weiter)
Betroffene Mitarbeiter: rund 10.000
Modell: Passat und Golf
Betroffene Mitarbeiter: rund 6.000
Modell: Teilbereiche der Getriebe- und Abgasanlagenfertigung
Betroffene Mitarbeiter: rund 1.500
Modell: Teilbereiche der Motorenfertigung
Betroffene Mitarbeiter: rund 1.400
Modell: Teilbereiche der Fahrwerkteile- und Kunststoffteile-Fertigung
Betroffene Mitarbeiter: rund 1.300
Der Fall zeigt, wie abhängig die Autobauer von einigen Zulieferern sind. Frank Schwope, Analyst der Nord/LB, schätzt, dass im Schnitt rund 70 Prozent der Teile, die in einem Auto verbaut werden, von Zulieferern kommen – von Getriebeteilen bis zum Scheinwerfer. Im Jahr 2015 setzten die 100 größten Zulieferer weltweit 789 Milliarden Euro um. Die deutschen Unternehmen hatten der Beratung Berylls Strategy Advisors zufolge einen Anteil von gut 22 Prozent – im weltweiten Vergleich kommen die Deutschen auf Platz zwei, gleich hinter Japan.
Oft werden Lieferanten von Herstellern gegängelt. Zwar hat sich etwa BMW einen Ruf als fairer Partner erarbeitet, doch versuche VW seit dem Dieselskandal, so der Vorwurf einiger Zulieferer, auf ihre Kosten zu sparen. VW weist das zurück; man entscheide auf Basis von Qualität, Innovationen, Lieferfähigkeit und Kosten über Verträge.
So oder so: Viele Hersteller drücken Verträge mit harten Vorgaben und Preisen durch, statt auf partnerschaftlichen Umgang zu setzen. Das passe nicht zum Geschäftsgebaren unserer Zeit, in der Arbeitsteilung herrsche, sagt Frank Welge, Partner der Kölner Einkaufs- und Lieferkettenberatung Inverto. Unternehmen anderer Branchen hätten Zulieferer längst zu Geschäftspartnern gemacht. Die Beziehung würde durch weitsichtige Verträge gesichert, die eine gerechte Teilung gemeinsam erwirtschafteter Gewinne ermöglichten, so Welge.
Hätte sich VW daran gehalten, wäre dem Unternehmen einiges erspart geblieben. Denn Herausforderer Prevent agierte im Streit mit seinem übermächtigen Partner geschickt. So lag VW anfangs offenbar nur mit Car Trim im Clinch, der eine VW-Tochter mit Bezügen für Autositze beliefert. Als Car Trim auf seiner Forderung gegen VW sitzen blieb, trat Car Trim einen Teil der Forderung an die ebenfalls zu Prevent gehörige ES Automobilguss ab. Das Unternehmen liefert Getriebeteile – und ist dort als alleiniger Lieferant ein kurzfristig nicht zu ersetzender Zulieferer für VW. So konnte ein kleines Unternehmen wie Prevent den übermächtigen VW-Konzern in die Knie zwingen.