Autozulieferer Leoni-Chef Probst: Produktion in Nordafrika alternativlos

Klaus Probst, der Chef des Autozulieferers Leoni, will an der Fertigung in Ägypten trotz der schwierigen Lage festhalten. Außerdem: Wie viel Kilometer Kabel in einem Mittelklasseauto stecken und wo Leoni wachsen will.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Vorstandsvorsitzende von Leoni, Klaus Probst Quelle: Presse

WirtschaftsWoche: Herr Probst, Leoni hat einen Großteil der Fertigung für seine europäischen Kunden aus Kostengründen nach Nordafrika verlagert. Jetzt gibt es wegen der immer wieder aufflammenden politischen Unruhen in der Region Riesenprobleme. Ist Ihr Globalisierungskurs damit gescheitert?

Probst: Nein, keineswegs. Die Probleme betreffen nur einen relativ geringen Teil unseres Geschäfts. Fast die Hälfte der Bordnetz-Produktion für europäische Kunden kommt nach wie vor aus Osteuropa. Wir haben dort Fabriken in Polen, Rumänien, Russland, Serbien, der Slowakei und der Ukraine. In Nordafrika produzieren wir in drei Ländern: In Tunesien, wo wir mit rund 12 000 Beschäftigten in drei Werken der größte private Arbeitgeber sind, ist die Lage ruhig, in Marokko gab es nie Störungen.

Aber in Ägypten standen die Bänder still.

Ägypten ist eine schwierige Region, da hatten wir im Sommer größere Probleme. Wir mussten zeitweise wegen des nächtlichen Ausgangsverbots den Schichtbetrieb umstellen. Und wir waren für einige Wochen gezwungen, teilweise auf Luftfrachttransporte auszuweichen, weil die Zollbeamten im Hafen von Alexandria gestreikt haben. Das alles hat zusätzliche Kosten verursacht, aber wir konnten die Lieferkette zu unseren Automobilkunden zu 100 Prozent aufrechterhalten. Zurzeit läuft die Produktion in Ägypten wieder normal, und wir erwarten, dass sich die Lage stabilisiert.

Wäre es nicht besser, sich aus Ägypten zurückzuziehen?

Bordnetze und Kabelbäume werden weit überwiegend in Handarbeit gefertigt. In Nordafrika liegt der Stundenlohn bei rund zwei Euro, was die Region sehr attraktiv macht. In Deutschland haben wir Stundenlöhne von 35 Euro, eine Fertigung hier wäre viel zu teuer. Selbst ehemalige osteuropäische Billiglohnländer wie Polen sind wegen gestiegener Löhne kaum noch wettbewerbsfähig für unser Geschäft. Die Produktion in Nordafrika ist für uns ohne Alternative, ein Rückzug aktuell kein Thema.

Zur Person

Und Ihre Kunden sind bereit, das damit verbundene Risiko zu tragen?

Ja, keiner unserer Kunden hat verlangt, dass wir uns aus Ägypten zurückziehen. Die Entscheidung über Standorte fällt in enger Abstimmung mit den Kunden, denn es besteht eine sehr hohe Abhängigkeit von unserer zuverlässigen Lieferfähigkeit.

Warum ist das so?

Vielfach verteilen Autohersteller ihr Auftragsvolumen für bestimmte Teile auf mindestens zwei Zulieferer. Bei Bordnetzen wird dagegen häufig die Strategie des Single-Sourcings umgesetzt, das heißt, entweder das gesamte System oder auch Teile davon werden nur an einen Zulieferer vergeben. Bordnetze gehören mit zu den teuersten Zukaufteilen eines Automobilherstellers. Bei einem Mittelklasseauto sind wir mit 200 bis 300 Euro an der Wertschöpfung beteiligt, bei einem Sportwagen sogar mit 500 bis 600 Euro. Um die hohen Vorlaufkosten auf mehrere Jahre verteilen zu können, schließen wir meistens Verträge mit den Autoherstellern, die für die gesamte Laufzeit einer neuen Modellreihe gelten. In der Premiumklasse dauert die Entwicklung eines neuen Bordnetzes zwei bis drei Jahre, die Kosten summieren sich auf einen hohen einstelligen Millionenbetrag.

Warum ist es so teuer, ein paar elektrische Leitungen zurechtzuschneiden?

Autos haben heute sehr viel Elektronik und Elektrik an Bord, entsprechend komplex sind die Kabelverbindungen, die den elektrischen Strom zu den verbrauchenden Teilen bringen oder Signale weiterleiten. Ein VW-Käfer der ersten Baujahre hatte die Beleuchtung vorne und hinten, ein Bremslicht, Blinker und Hupe, insgesamt vermutlich kaum mehr als 100 Meter Kabel. Heute haben Autos Fensterheber und Navigationsgerät, Lautsprecher vorne, hinten und in den Türen, Kurvenlicht und Abstandskontrollsysteme, Sensoren, die Scheibenwischer und Beleuchtung steuern, die Bremskraft dosieren oder Airbags auslösen. Ein gut ausgestattetes Mittelklasseauto hat drei Kilometer Kabel und rund 1500 Steckverbindungen unter dem Blechkleid.

Der Kostendruck ist hoch

Die größten Automobilzulieferer
Continental will weiter wachsenTrotz negativer Währungskurseinflüsse und weiter schwacher Konjunktur in Südeuropa hat Continental 2013 deutlich zugelegt. Die Hannoveraner erhöhten ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahr leicht auf rund 33,3 Milliarden Euro. Das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern stieg auf 3,7 Milliarden Euro - es handelt sich noch um vorläufige Eckdaten. Die vollständigen Zahlen und den Nettogewinn will Conti bei der Bilanzvorlage am 6. März nennen. Vorstandschef Elmar Degenhart sagte am Rande der Automesse in Detroit, er erwarte 2014 ein Umsatzplus von mehr als 5 Prozent auf 35 Milliarden Euro. Die deutschen Automobilzulieferer sind im internationalen Vergleich top - doch in puncto Profitabilität läuft ihnen die Konkurrenz aus Korea bereits den Rang ab. Der Zulieferer... Quelle: dpa
... Schaeffler ist dank guter Geschäfte mit seiner Autosparte allerdings ganz ordentlich in das neue Jahr gestartet. Der Bereich sei im Vergleich zu 2012 um drei Prozent gewachsen - der Umsatz der Industriesparte sei dagegen deutlich zurückgegangen. Unter dem Strich habe das fränkische Unternehmen bis Ende März einen Gewinn von 233 Millionen Euro erzielt. Damit ist Schaeffler der profitabelste Automobilzulieferer. Das Ranking der größten Unternehmen der Branche teilen sich jedoch andere. Da noch nicht alle Unternehmen ihre Zahlen für 2013 vorgelegt haben, beziehen sich die Daten in den folgenden Texten auf 2012. Quelle: dpa
Platz 10 - FaureciaDer französische Automobilzulieferer eröffnet die Top Ten der größten Automobilzulieferer der Welt. Die Franzosen fertigen Abgasanlagen, Stoßfänger und Innenräume. (Vorjahr: Platz 11) Umsatz 2012: 17,4 Milliarden EuroMarge: 0,5 Milliarden Euro, das entspricht 3,0% vom UmsatzQuelle: Berylls Strategy Advisors "Global Top Automotive Suppliers" Studie 2012 Beachtung finden Unternehmen, die mindestens 50 Prozent des Umsatzes im Automotive-Bereich erwirtschaften. Dieser Umsatzteil wird auch im Ranking herangezogen. Quelle: Presse
Platz 9 - Johnson ControlsObwohl der nordamerikanische Automarkt 2012 enorm gewachsen ist, konnte der US-Hersteller seine Position vom Vorjahr nicht halten. Die Amerikaner stellen an 1300 Standorten weltweit Elektronik, Batterien, Türen, Innenräume und Sitze her. (Vorjahr: Platz 8) Umsatz 2012: 20,6 Milliarden EuroMarge:1,2 Milliarden Euro; das entspricht 5,6% vom Umsatz Quelle: Presse
Platz 8 - MichelinDer französische Hersteller produziert jährlich über 180 Millionen Reifen und ist mit 69 Produktionsstandorten in 18 Ländern der Welt vertreten. Für Michelin arbeiten mehr als 113.000 Menschen. (Vorjahr: Platz 7) Umsatz 2012: 21,5 Milliarden EuroMarge: 2,4 Milliarden Euro; 11,3% vom Umsatz Quelle: dpa/dpaweb
Platz 7 - Hyundai MobisDas Wachstum des koreanischen Zulieferers ist eng mit den Zuwächsen beim Autobauer Hyundai Kia verbunden. Mobis hat aber auch durch die Übernahmen von Daewoo Motors durch GM und Samsung Motors durch Renault-Nissan Zugang zu den zwei größten OEMs der Welt erhalten. 65 Prozent des Geschäfts von Hyundai Mobis werden heute außerhalb des koreanischen Heimatmarktes getätigt. (Vorjahr: Platz 10) Umsatz 2012: 21,8 Milliarden EuroMarge: 2,1 Milliarden Euro; das entspricht 9,4% vom Umsatz Quelle: Presse
Platz 6 - AisinPumpen, Motorteile, Federung und Sicherheitssysteme sind das Geschäft des japanischen Autozulieferers Aisin Seiki. 2011 knackte der Konzern erstmals beim Umsatz die 20-Milliarden-Euro-Marke und hält sie seither souverän. (Vorjahr: Platz 6) Umsatz 2012: 22,5 Milliarden EuroMarge: 1,5 Milliarden Euro; das entspricht 6,7% vom Umsatz Quelle: Presse

Aber wenn die Architektur steht, können Sie Millionen an Bordnetzen verkaufen.

Nur wenn die Fahrzeuge einer Baureihe immer die gleiche Ausstattung hätten. Das ist längst nicht immer so. Vor allem deutsche Hersteller haben ellenlange Ausstattungslisten, kaum ein Bordnetz ist wie das andere. Das bringt eine hohe Komplexität in unser Geschäft: Bei Fahrzeugen der Premiumklasse kommt man leicht auf mehr als 20 Millionen Varianten. Ebenfalls eine Herausforderung sind die kurzen Lieferfristen von normalerweise zehn, manchmal auch nur vier Tagen nach Bestellung.

Wie sehen Sie das Thema Elektroauto?

Das ist eine wichtige, zukunftsfähige Entwicklung, auch wenn rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge wohl auf absehbare Zeit ein Nischenprodukt bleiben. Optimistischer bin ich bei Hybridfahrzeugen. Die neuen Modelle werden den europäischen Markt zügig erobern. Weil Hybride einen konventionellen und einen elektrischen Antrieb haben und zwei Bordnetze benötigen, bringt uns das auf lange Sicht ein Umsatzplus von 15 bis 20 Prozent pro Auto.

Leoni ist bei Bordnetzen Marktführer in Europa, 70 Prozent aller Autohersteller zählen zu Ihren Kunden. Damit haben Sie eine starke Verhandlungsposition.

Die Marktstellung ist gut, trotzdem ist der Kostendruck seitens der Autobauer hoch. Im Schnitt erwarten die Kunden Preisabschläge von etwa zwei Prozent pro Jahr.

Weltmarktführergipfel

Also müssen Sie weiter automatisieren?

Aktuell ist nur ein sehr kleiner Teil des Wertschöpfungsprozesses automatisiert, nämlich das Zuschneiden der Kabel und das Anbringen der Steckkontakte. Bei den anderen Verarbeitungsschritten bestehen relativ hohe Hürden, da einerseits mit den Kabeln sogenannte biegeschlaffe Bauteile behandelt werden müssen. Andererseits erschwert die hohe Variantenvielfalt eine automatisierte Fertigung. Wir gehen davon aus, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahren insgesamt 20 Prozent der Wertschöpfung automatisierbar werden.

Und wo sollen die notwendigen Produktivitätsfortschritte denn herkommen?

Vor allem durch kürzere Montagezeiten und Gewichtsreduzierung. Heute dauert die Montage 15 bis 18 Minuten pro Kabelbaum, da lässt sich durch effizientere Prozessgestaltung noch einiges herausholen. Und Gewicht sparen können wir durch neue Kupferlegierungen und Aluminium. Da sehe ich Leoni im Vorteil, weil wir mit unserer Kabeldivision der weltgrößte Lieferant einadriger Fahrzeugleitungen sind.

Bei der hohen Abhängigkeit vom Auto macht Ihnen die Krise der Hersteller in Südeuropa sicher Kopfzerbrechen?

Ja und nein. Drei Viertel unseres Geschäfts machen wir mit der Autoindustrie, da ist es unvermeidbar, dass die Probleme der südeuropäischen Volumenhersteller auf uns durchschlagen. Die stehen aber nur für rund ein Drittel unserer Automotive-Umsätze. Der Rest verteilt sich zu je einem Drittel auf Kunden aus Mittelklasse und Premium. Vor allem das Exportgeschäft läuft sehr gut, und das sorgt für Ausgleich.

Wie läuft Ihr Industriegeschäft?

Nicht ganz so gut, die Kunden kommen überwiegend aus Europa, da schlagen die Probleme der Südeuropäer durch.

"Wir wollen 2016 kräftig wachsen"

2013 wird also ein eher schwaches Jahr?

Was die Geschäftsentwicklung insgesamt angeht, sind wir ganz zufrieden. Wir erwarten, dass unser Vorjahresumsatz von 3,8 Milliarden Euro stabil bleibt. Beim Ergebnis vor Zinsen und Steuern können wir die 236 Millionen Euro von 2012 nicht halten, wir rechnen mit rund 170 Millionen Euro.

Das wird Ihre Aktionäre nicht erfreuen.

2013 wird das Ergebnis stark durch Vorlaufkosten für viele neue Projekte belastet. Normalerweise haben wir acht bis zehn Anläufe pro Jahr, in diesem Jahr sind es 16. Das kostet erst einmal Geld, verdienen werden wir daran dann in den Folgejahren.

Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Wir wollen kräftig wachsen und 2016 einen Umsatz von fünf Milliarden Euro erreichen, die Umsatzrendite soll von derzeit rund 4,5 auf 7,0 Prozent steigen.

Wo soll das Wachstum herkommen, wenn das Industriegeschäft schwächelt?

Wenn die Konjunktur in Europa wieder anzieht, wird sich auch das Industriegeschäft erholen. Wir sind Weltmarktführer bei Kabelsystemen von Industrierobotern und europäischer Marktführer bei Kommunikation und Infrastruktur, etwa der Verkabelung von Flughäfen oder Bahnhöfen. Auch im Medizintechnikgeschäft, etwa bei Kabelbäumen für Zahnarztstühle, oder bei Hausgeräten sind wir gut positioniert.

Die europäischen Auto-Volumenhersteller dürften sich aber nicht so schnell erholen.

In der Autoindustrie werden in den nächsten Jahren die Wachstumsimpulse vor allem aus den gut laufenden Märkten in China und den USA kommen. China wird für uns immer wichtiger. Wir sind dort mit zehn Werken vertreten, aber noch stammen 95 Prozent des Bordnetzgeschäfts aus Joint Ventures europäischer und amerikanischer Autobauer vor Ort. Chinesische Produzenten spielen für uns aktuell kaum eine Rolle. Das dürfte sich bald ändern. Chinas Automarkt wird in fünf Jahren so groß sein wie der in Europa und den USA zusammen.

Einfacher wäre es, den Umsatz durch Zukäufe zu erhöhen.

Das haben wir in der Vergangenheit bei passender Gelegenheit gemacht. Durchaus möglich, dass wir 2014 wieder aktiv werden. Das nötige Geld dafür wäre jedenfalls kein Problem.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%