Autozulieferer unter Druck Leonis Niedergang ist ein deutliches Warnsignal

Der Zulieferer Leoni versinkt in den roten Zahlen.

Leoni versinkt in den roten Zahlen. Und die gesamte deutsche Autoindustrie muss sich endlich eingestehen: Selbst die namhaften Unternehmen sind keine sichere Bank mehr.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Leonis Zukunft ist rot, zumindest die nähere Zukunft. Der Autozulieferer aus Nürnberg ist im zweiten Quartal noch tiefer in die roten Zahlen gerutscht, schrieb einen Verlust von 44 Millionen Euro. Im Vorjahresquartal war es noch ein Plus von 44 Millionen Euro. Vorstandschef Aldo Kamper bleibt vage: „Wir erwarten, dass die implementierten Maßnahmen in den kommenden Jahren zu nachhaltigen Bruttokosteneinsparungen im mittleren zweistelligen Millionenbereich führen werden.“

Kosteneinsparungen im mittleren zweistelligen Millionenbereich – das klingt nicht beruhigend angesichts von mehr als 300 Millionen Euro Mittelabfluss im ersten und 72 Millionen Euro im zweiten Quartal. Und: Die globale Absatzflaute der Autobranche hat gerade erst begonnen. Wenn Leoni jetzt schon die maue Nachfrage als Grund für die Verluste angibt, will man sich gar nicht ausmalen, wie es den Nürnbergern ergeht, wenn aus der Flaute eine monatelange, vielleicht jahrelange Windstille wird. Und die erwarten viele Experten.

Leoni erregt seit Monaten die Gemüter. Weil das Unternehmen börsennotiert ist. Weil es ein bekannter Zulieferer ist. Weil kein anderes Unternehmen in Deutschland derzeit so sehr im Visier von Shortsellern steht, die auf einen Absturz der Aktie gewettet haben, die sich also nichts sehnlicher wünschen, als schlechte Zahlen und Panik unter den Aktionären.

Doch bei Leoni geht es um noch mehr. Die Nürnberger stehen Pars pro Toto für die Lage der deutschen Autoindustrie. Vergangenheit: großartig. Verdienste ums Automobil: riesig. Marktführerschaft: weltweit. Börsenwert: arg unter Druck. Verfassung: total verunsichert. Zukunft: bedrohlich.

Für Leoni, aber auch für alle anderen, legendären Zulieferer und Autobauer dieses Landes gilt, was Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche und VW-Chef Herbert Diess nicht müde werden zu betonen: Eine großartige Vergangenheit garantiert keine Zukunft. Die Vorreiterrolle der deutschen Industrie im Automobilbau ist nicht gottgegeben.

Die deutsche Autoindustrie ist groß, aber keine sichere Bank mehr.

Kein Unternehmen der Branche illustriert das besser als Leoni. Der Zulieferer hat, was viele nicht ahnen, 92.000 Mitarbeiter. Sucht man international etwas Vergleichbares in der Autoindustrie, landet man etwa bei dem japanischen Autohersteller Mitsubishi, der gut 80.000 Mitarbeiter an Bord hat. Bloß: Leoni schaffte im vergangenen Jahr fünf Milliarden Euro Umsatz, Mitsubishi dagegen 21 Milliarden Euro.

Bei anderen deutschen Zulieferern sieht es nicht viel besser aus. Mahle aus Stuttgart erwirtschaftet mit 80.000 Mitarbeitern rund 13 Milliarden Euro Umsatz. Schaeffler aus Herzogenaurach hat 92.000 Leute und 14 Milliarden Euro Umsatz in den Büchern.

In der alten Autowelt – der ohne Internet, Digitalisierung, Elektroantrieb und selbstfahrenden Autos – konnten Unternehmen mit 92.000 Mitarbeitern und ein paar Milliarden Euro Umsatz bestehen. Doch seit Internet-Konzerne wie die Google-Mutter Alphabet in den Markt eindringen, gelten neue Benchmarks: Alphabet – deren Tochter Waymo weltweit führend ist bei autonom fahrenden Autos – hat nicht wesentlich mehr Mitarbeiter als Leoni, aber einen Börsenwert von 580 Milliarden Euro und damit das rund 2000-fache von Leoni. Der Zulieferer hat noch Barmittel von rund 100 Millionen Euro, bei Alphabet sind es 117 Milliarden Dollar. Die Kalifornier könnten sich Daimler (Börsenwert 45 Milliarden Euro) und Tesla (36 Milliarden Euro) kaufen, noch dazu Leoni und ein paar weitere deutsche Zulieferer – und hätten danach immer noch eine prall gefüllte Kriegskasse.

Das ist eine sichere Bank. In der deutschen Autoindustrie sucht man so etwas inzwischen vergeblich.

Deutschland darf stolz sein auf seine automobile Vergangenheit, muss aber den Hochmut ablegen, was die Zukunft der Branche angeht. Denn über die wird nicht vornehmlich in Deutschland entschieden, sondern im Silicon Valley (autonomes Fahren) oder in Asien (E-Autos). Wenn das eine Erkenntnis aus dem Leoni-Drama ist, dann ist schon viel gewonnen.

Mehr zum Thema: Der konjunkturelle Abschwung und ein drohender Handelskrieg treffen Deutschlands Autokonzerne hart. Das erschwert Investitionen in E-Mobilität und autonomes Fahren – und gefährdet die Zukunft von VW, Daimler und BMW. So stehen die Chancen der Industrie-Ikonen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%