Autozulieferer Wie Autobauer ihre mittelständischen Zulieferer auspressen

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Zu viel Druck

Kurzum: Viele Rabatte scheinen bereits vor der Vergabe eines Auftrages festzustehen und nicht das Ergebnis späterer Verhandlungen über mögliche Effizienzgewinne beim Zulieferer zu sein. Damit bewegen sich die Hersteller juristisch auf dünnem Eis. Aber auch für Zulieferer können Nachlässe gefährlich werden. Etwa, wenn von dem Auftrag ein Werk im Ausland profitiert – und die deutsche Zentrale auf Geld verzichtet. Das könnte als Steuerhinterziehung gewertet werden, wenn der Zulieferer mehr Gewinn im niedriger besteuerten Land erwirtschaftet, während Gewinn und Steueraufkommen in Deutschland sinken.

Auch Einkäufer, die zu viel Druck ausüben, bewegen sich an der Grenze zum Verbotenen. „Ein sachlich nicht gerechtfertigtes Eintrittsgeld kann unter Umständen strafrechtlich relevant werden“, sagt Anwalt Egerer. Bestechung? Es sei „offen, ob der Tatbestand der Bestechung auch anwendbar ist, wenn ein Mitarbeiter den Vorteil für sein Unternehmen verlangt“, sagt Compliance-Anwalt Jan Kappel von AGS Legal.

Machtmissbrauch? VW hat seine Einkaufsmacht in Wolfsburg konzentriert. Ein Gremium gibt dort größere Aufträge im Konzern frei. Doch trotz seiner Milliarden-Einkaufspower sieht VW kein Machtproblem. Man habe zwar „auf vereinzelten Beschaffungsmärkten“ oder „gegenüber einzelnen Lieferanten eine gewichtige Marktposition, aber wir sind nicht als marktbeherrschend anzusehen“.

Das Kartellrecht lässt Interpretationsspielraum. Denn Eintrittsgelder können gerechtfertigt sein, wenn sie sich an den mit der Neuaufnahme eines Lieferanten entstehenden Kosten orientieren. Auf keinen Fall darf ein marktbeherrschendes Unternehmen andere auffordern, ihm ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren. Entscheidend sei letztlich, ob eine Vereinbarung das Ergebnis harter Verhandlungen oder des Diktats eines überlegenen Auftraggebers sei, sagt Wettbewerbsexperte Podszun: „Der enorme Druck, den Hersteller auf Zulieferer ausüben, befindet sich kartellrechtlich in einer Grauzone.“ Autobauer dürften sich in der Praxis oft schwertun, nachvollziehbare Gegenleistungen für die erhaltenen Zahlungen zu benennen.

Verfahren aber gibt es bisher keine. „Das ist der Teufelskreis der Abhängigkeit: Wer als Zulieferer stark unter Druck ist, geht nicht zum Kartellamt“, so Podszun. Auch der Chef eines Zulieferers sagt, dass er nie auf die Idee käme, einen Hersteller zu verklagen, von dem sein Überleben abhänge. Drum klagt er: „Die Autoindustrie ist ein weitgehend rechtsfreier Raum.“ Abhilfe könnte allerdings eine Sektoruntersuchung schaffen, bei der das Kartellamt die Branche auch ohne Verdacht gegen ein konkretes Unternehmen durchleuchten könnte.

Doch die ist offenbar nicht in Sicht. Auch, weil sich Missstände schwer belegen lassen. Selten existieren schriftliche Abreden, wie sie die WirtschaftsWoche einsehen konnte. Zahlreiche Insider geben an, dass Zahlungen im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe oft mündlich vereinbart und intern kommuniziert werden. Auch PwC spricht von „fehlender Dokumentation“.

Mehrere Lieferanten berichten, dass sich die VW-Zentrale in Wolfsburg mitunter auch einschalte, wenn sie mit einem Tochterunternehmen über einen Auftrag verhandelten. Wer etwa mit Audi ins Geschäft kommen wolle, müsse bei laufenden Verträgen mit VW Rabatte gewähren, erklären Zulieferer. Das sei juristisch heikel, urteilt Compliance-Anwalt Kappel. VW sagt, dass auch durch einen Auftrag bei einer anderen Marke „weitere Effizienzen beim Lieferanten“ entstehen könnten, weil etwa „Bauteile identisch sind oder Werkzeuge doppelt genutzt werden“.

Demnächst legt VW das Thema Einkauf in neue Hände. Stefan Sommer, Ex-Chef des Zulieferers ZF Friedrichshafen, tritt 2019 als Vorstand für Beschaffung an. Er dürfte den Druck hoch halten. Unter seiner Leitung schrieben ZF-Mitarbeiter Briefe an Lieferanten, in denen Zugeständnisse eingefordert wurden: Wer die ausgegebenen Ziele erfülle, könne neues Geschäft gewinnen. ZF will das nicht kommentieren. Fest steht: Der Geldbetrag, fett gedruckt und unterstrichen, war selbst bei kleineren Lieferanten sechsstellig.

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