Batteriezellen für E-Autos aus Salzgitter VW-Boss Diess geht einen kühnen, aber notwendigen Weg

VWs Batteriefabrik-Pläne: VW-Boss Diess macht Nägel mit Köpfen

Volkswagen wagt es: Anders als Bosch, Continental, Daimler und BMW will der Autobauer eine milliardenteure Batteriezellenfabrik bauen. Ein durchaus mutiger Plan. Aber VWs Einstieg kommt auf keinen Fall zu früh.

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Für manch einen Automobilfan war es womöglich eine komische Situation: Wer am Dienstag bei der Volkswagen-Hauptversammlung den Worten von VW-Chef Herbert Diess lauschte, konnte glauben, er habe sich auf eine Umweltdemo verirrt. Der Klimawandel sei „die zentrale Herausforderung der Menschheit“, sagte Diess, der damit das Thema E-Mobilität maximal hoch aufhängte. „Wenn wir die CO2-Emissionen nicht signifikant senken, wird das verheerende Folgen für die nächsten Generationen haben.“ Als größter Automobilhersteller der Welt stehe VW besonders in der Pflicht, sagte der VW-Manager.

Etwa 15 Prozent des weltweiten Ausstoßes von klimaschädlichem Kohlenstoffdioxid entfallen auf den Verkehr. Und als einziger Sektor, anders als Industrie und Gebäude, hat der Verkehr seit 1990 nicht ein einziges Kilo CO2 eingespart. Allein die Autos des VW-Konzerns verursachen rund ein Prozent des weltweiten CO2-Austoßes, haben die VW-Leute ausgerechnet. „Dieses eine Prozent wollen wir bis 2050 auf null senken“, sagt Diess. Das hatte er auch früher schon postuliert. Nun aber geht der VW-Chef offenbar daran, seinen Bekenntnissen konkrete Taten folgen zu lassen.

Um sein Ziel wenigstens teilweise erreichen zu können, braucht Diess viele E-Autos. 70 rein elektrische Modelle will VW allein bis 2030 auf den Markt bringen: insgesamt 22 Millionen Batteriefahrzeuge. Die neuen Elektroautos sollen zudem mit grünem Strom produziert und dann idealerweise auch mit Ökostrom gefahren werden. Dazu will VW in die Stromversorgung seiner Werke mit erneuerbaren Energien investieren und sogar einen eigenen Ökostrom-Versorger mit angeschlossenem Ladenetz namens Elli gründen, der die E-Autos mit erneuerbarem Strom betankt.

Doch dahin ist es ein weiter Weg. Größte Hürde bisher: die Batterien. Der Lithium-Ionen-Akku ist das mit Abstand wichtigste Bauteil im E-Auto. Auf ihn entfallen rund 40 Prozent der Kosten und der Wertschöpfung. Auch des Energiebedarfs, weshalb zum Beispiel der US-Pionier Tesla bei seiner Akkuproduktion in Nevada vermehrt auf Photovoltaik setzt.

Doch der Akku stellt nicht nur eine ökologische Herausforderung dar, sondern auch eine ökonomische. In den vergangenen Jahren hat sich auf dem Markt für Lithium-Ionen-Zellen ein asiatisches Oligopol aus wenigen Zellherstellern gebildet, das die Autohersteller seine Marktmacht zunehmend spüren lässt und zuletzt fast nach Belieben die Preise diktierte. Leidtragende war kürzlich unter anderem VW selbst: Die Konzerntochter Audi bekam die Marktmacht des koreanischen Zell-Giganten LG zu spüren, der mitten im Markthochlauf des ersten Audi-Elektroautos e-Tron die Preise erhöhte.

„Grundsätzlich ist es deswegen sehr sinnvoll, Batteriezellen selbst herzustellen und damit die Umklammerung etwas zu lösen“, sagt Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen.

Auch die Politik, besonders Wirtschaftsminister Peter Altmaier, fordert mit wachsender Intensität von der Autoindustrie den Aufbau einer eigenen Zellproduktion. Der Minister sorgt sich um die Zukunftsfähigkeit und damit die Arbeitsplätze der wichtigsten deutschen Industrie. Nicht nur könnten die asiatischen Oligopolisten die Preise erhöhen. Langfristig drohen sie zudem, um die Zelle herum ihr Knowhow zu erweitern und zunächst ganze Akkus, später vielleicht komplette Elektro-Antriebsstränge zu bauen. Damit würden sie mehr als die Hälfte der künftigen Wertschöpfung am Auto aus Deutschland abziehen. Die Schweizer Bank UBS hatte vor einem Jahr den Zellhersteller LG Chem aus Südkorea unter die Lupe genommen und dabei unter anderem festgestellt, dass sich LG bereits rund 52 Prozent der Wertschöpfung an dem e-Auto Chevy Bolt des US-Konzerns GM gesichert hat. In Detroit wird im Grunde noch die Hülle gebaut und der E-Antrieb auf das Auto abgestimmt – für Konzerne wie VW ein Horrorszenario. Auch die Betriebsräte, unter anderem die von VW und BMW, fordern daher vehement eine eigene Zellfertigung auf deutschem oder zumindest europäischem Boden.

Bosch und Conti winken ab, VW macht es nun

Doch die Asiaten haben mehrere Jahre Vorsprung in der Li-Ionen-Technologie. Weil es sich beim nötigen Knowhow weniger um Grundlagenforschung aus dem Labor als um Prozessknowhow handelt, ist der Rückstand ohne eigene Fabrik nicht aufzuholen. Trotz des immensen Drucks aus der Politik, und obwohl Peter Altmaier inzwischen sogar mit Subventionen in Milliardenhöhe winkt, hatten die infrage kommenden deutschen Konzerne zuletzt immer wieder abgewunken. Sowohl Vertreter von Bosch als auch von Continental sitzen zwar seit Jahren in Findungskommissionen der Ministerien für Forschung und Wirtschaft. Doch sie scheuen die hohen Anfangsinvestitionen.

Diess will nun eine Milliarde Euro für das eigene Zellwerk in Salzgitter locker machen. Damit würde die Fabrik aber zunächst nur rund ein Zehntel des Zellbedarfs des größten Autoherstellers der Welt decken. VW fährt daher eine radikale Multi-Sourcing-Strategie. In den USA, wo das Werk in Chattanooga ebenfalls bald Zellen bauen soll, arbeitet VW mit dem koreanischen Konzern SK Innovation zusammen. Daneben beziehen die Wolfsburger auch Zellen von LG und CATL. Der chinesische CATL-Konzern hat sich in kürzester Zeit und mit Rückendeckung des Pekinger Politbüros von der Nummer acht zur Nummer zwei im globalen Zelloligopol hochgearbeitet – und baut gerade in Erfurt die erste Massen-Zellfertigung in Deutschland auf.

Branchenexperten schätzen, dass VW alleine demnächst rund 105 Gigawattstunden Zellkapazität pro Jahr benötigt. Zum Vergleich: Die weltweit größte Zellfertigung von Tesla und Panasonic in Nevada liefert zurzeit rund 35 Gigawattstunden. Tesla versorgt damit rund 500.000 E-Autos pro Jahr.

Nicht ohne einen Partner

„Ein Autobauer kann die Zellproduktion vollständig vertikal integrieren. Ein Zulieferer kann das nicht“, sagte Bosch-Sprecher René Ziegler der WirtschaftsWoche. „Wir haben für uns und unsere Situation entschieden und immer gesagt, dass es für andere Unternehmen anders aussehen kann.“

Anders als Bosch oder Conti geht VW nicht in Konkurrenz zu den Zellherstellern, sondern setzt in Salzgitter auf einen Partner: das schwedische Akku-Start-up Northvolt, an dem sich VW auch mit Eigenkapital beteiligen wird. Im Kern ist das der Weg, den Tesla mit dem Partner Panasonic in der Gigafactory eingeschlagen hat. So geben Tesla und VW zwar einen Teil der Wertschöpfung ab, verhindern aber zugleich, dass der Aufbau einer eigenen Zellfabrik zu lange dauert und zu viel kostet. Auch die VW-LKW-Tochter Scania hat sich bereits einen erheblichen Teil der in Nordschweden geplanten Zellproduktion von Northvolt gesichert.

„VW macht da im Prinzip das einzig Gangbare“, sagt Sven Bauer, Chef des größten unabhängigen Akkuproduzenten BMZ. Auch Bauer arbeitet mit Partnern aus der Industrie an einer eigenen Zellfertigung, das von ihm geführte Konsortium hat sich – wie inzwischen auch Opel mit seiner französischen Mutter PSA – bei Altmaier um die ausgeschriebenen Fördermilliarden beworben.

Dennoch ist Volkswagens Partnerschaft mit dem Start-up Northvolt, das von Ex-Tesla-Batteriefachleuten gegründet wurde und in Nord-Schweden in der Nähe wichtiger Batterierohstoffminen sitzt, riskanter als die Partnerschaft mit einem etablierten Batteriekonzern wie Panasonic. „Die Qualität wird nicht aus dem Stand das Niveau der Etablierten wie Samsung oder Panasonic erreichen“, schätzt Dirk Harbecke, Chairman des kanadischen Lithium-Produzenten Rocktech Lithium. „Aber mit dem Geld von VW können die eher kleinen VW-Partner natürlich einiges anfangen.“ Außerdem, so Harbecke, komme aus den vielen neuen Gigafactorys in China auch nicht „immer gleich Tesla-Qualität.“ VW und seine Partner hätten nun „ein paar Jahre Zeit“, an der Zellfertigung zu arbeiten.

VWs Einstieg komme auf keinen Fall zu früh, meint Professor Martin Winter, Batterieforscher am Helmholtz-Zentrum, der Uni Münster und dem Forschungszentrum Jülich. „Im Gegenteil, es ist eher schon ein bisschen spät, vor allem die chinesischen Hersteller gehen sehr aggressiv vor und werben massiv Fachleute bei den Konkurrenten ab.“

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