Berlin Wer groß bauen will, muss mit Protest rechnen

Die Baustelle der Tesla Gigafactory in Brandenburg Quelle: dpa

Gigafactory, Google Campus und Amazon Tower: Wer in Berlin und Umland investiert, bekommt mächtig Gegenwind. Wie sollen Investoren damit umgehen?

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Alexander Riederer wird ausgebuht. Riesige Fenster, aus denen man während der Arbeit in den Wald blicken könne, der höchste denkbare Wohlfühlstandard in der Fabrik: So hat Tesla-Sprecher Riederer dem Publikum im brandenburgischen Erkner gerade die Gigafactory beschrieben. Doch genau dieser Wald musste bereits teilweise für die Anlagen des kalifornischen Autobauers weichen – daher der Hohn für den Tesla-Mann. Von wegen Wohlfühlatmosphäre.

Stadthalle Erkner, der Mittwoch dieser Woche: Es ist der erste Tag, an dem Einwände gegen Teslas Pläne für den neuen Produktionsstandort in Grünheide bei Berlin öffentlich diskutiert werden können. Vor der Gemeindeverwaltung und den Tesla-Vertretern sitzen über hundert Bürger, die beim Landesumweltamt einen Einwand eingereicht haben. Insgesamt sind 414 dieser Einwände zusammengekommen, sie drehen sich um Natur- und Wasserschutz bei dem Projekt.

Der Automobilhersteller trägt die Kosten für den Erörterungstermin - und muss sich hier auslachen, sogar beschimpfen lassen. „Das die überhaupt hier bauen wollen“, wundert sich eine Beobachterin vor Ort. Wirkt so ein Widerstand aus der Bevölkerung nicht tatsächlich abschreckend auf internationale Investoren? Und wie kann man hier im Ballungsraum Berlin trotzdem bauen?

Tesla bekommt Konkurrenz


Tesla und dessen Gründer Elon Musk jedenfalls werden von der Berliner und Brandenburger Politik geradezu hofiert, der Fabrikneubau gleichzeitig zum Sinnbild einer Bürokratie stilisiert, die eben doch schnell könne, wenn sie nur wolle. Und Tesla macht unverdrossen Druck, aller Einwände zum Trotz. Doch das ist nicht immer so.

Ein anderer Großinvestor ist bereits öffentlich dem Druck aus der Hauptstadt gewichen. 2016 wollte Google in Berlin ein ehemaliges Umspannwerk zum Start-up-Campus umbauen. Als der Konzern seine Pläne für das Werk in Kreuzberg bekannt machte, protestierten Kritiker und Gentrifizierungsgegner, das Gebäude wurde sogar für einige Stunden besetzt. Die US-Amerikaner machten schließlich einen Rückzieher, was international Wellen schlug – selbst die BBC berichtete darüber. Die Lesart: Google kuscht vor Protesten.

Der Geschäftsführer der Berliner Wirtschaftsförderung, Stefan Franzke, kann die Reaktion von Google heute nachvollziehen: „Google hat das nicht kalt gelassen. Ein Unternehmen, das seine Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt und zu den Guten gehören möchte, bewegt eine solche Ablehnung.“ Schließlich sollen sich auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor Ort wohlfühlen.

Tesla zeigt sich offenbar widerstandsfähiger als Google damals. Das liegt wohl auch an der besonders starken Unterstützung von der Landesregierung in Potsdam. Genau die wird allerdings von den Aktivisten vor Ort beklagt: Seit Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sich für das Projekt ausgesprochen habe, sei die Gigafactory beschlossene Sache. Tesla durfte auch schon ohne endgültige Genehmigung mit dem Bau beginnen. Das Argument des Umweltamtes: Wenn die Genehmigung noch abgelehnt wird, kann Tesla alles einfach zurückbauen. Der Konzern agiert also voll auf eigenes Risiko.

Die Aktivisten in der Stadthalle von Erkner sehen das hingegen vollkommen anders: „Eidechsen können sie nicht wiederbeleben!“, ruft Julia Neigel von der Bürgerinitiative Grünheide. Dafür klatschen viele.
Am ersten Erörterungstag wird bis in den Nachmittag allein über Verfahrensaspekte diskutiert – oft geht es dabei nicht um eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Genehmigungsgenstand. „Zäh“ findet auch der Veranstaltungsleiter die Sache. Der Erörterungstermin werde sich länger als die zwei angedachten Tage ziehen, erklärt er.



Dass es so langsam vorrangeht, ärgert auch einen Lokalpolitiker wie Ralf Schmilewski aus Erkner: „Ich befürchte, dass wir hier Zeit verlieren“, sagt der Grüne. Die Ressourcen der Verwaltung würden doch eher gebraucht, um sich auf die Fabrik vorzubereiten – etwa mit passender Infrastrukturplanung. Schon nächsten Sommer sollen in Grünheide schließlich die ersten E-Autos vom Band rollen.

Auch Schmilewskis Kreisverband (Oder-Spree) hat hier Einwände eingereicht, distanziert sich aber gleichzeitig von der Bürgerinitiative Grünheide, die die Fabrik komplett ablehnt. Die Grünen sehen Tesla wohlgemerkt nicht als Gegner, sondern als Partner, als Teil der Energiewende, wenn auch natürlich der Umweltschutz beim Bau nicht vernachlässigt werden soll. Dass bei der Veranstaltung vor allem Menschen auftreten, die Fabrik komplett ablehnen, kritisiert der Lokalpolitiker: „Die meisten in der Region haben eine andere Meinung.“ Darauf mag auch Tesla setzen: „Wir stehen zu dem Standort“, sagt Alexander Riederer. Er betont die Transparenz, mit der Tesla immer wieder auf alle zugegangen sei. So habe man etwa ein Bürgerbüro und eine Hotline eingerichtet, der Konzern habe zudem die Verbände zu Gesprächen eingeladen.

Berlin rollt nicht jedem den Teppich aus, der Geld verspricht

Zu offensiver Transparenz rät auch Stefan Franzke von der Berliner Wirtschaftsförderung. Wenn er in der Hauptstadt mit Investoren redet, empfiehlt er ihnen, sich frühzeitig bei der Politik, den Anwohnern und den Netzwerken vor Ort vorzustellen. Nur mit Hochglanzbroschüren komme man in Berlin nicht weit: „Wer hier baut, muss den Kiez miteinbeziehen. Wer das nicht macht, riskiert die Farbbeutel“, sagt Franzke. Es sei wichtig, dass auf die Bedürfnisse der Umgebung eingegangen wird: „Die Investoren müssen schauen, was fehlt: eine Kita, ein Seniorenheim oder eine Grünfläche?“

Berlin, so viel wird klar, rollt nicht einfach jedem den Teppich aus, der Geld verspricht. Wer zur Region gehören möchte, muss sich ihr öffnen. Das rät Franzke auch Tesla. In den USA nahm er einmal bei einer Werksführung des Automobilhersteller teil, nun hofft er, dass auch in Grünheide so viel Offenheit an den Tag gelegt werden wird. Er nimmt ohnehin einen Wandel in den vergangenen zehn Jahren wahr: „Früher war einmal im Jahr ein Tag der offenen Tür, heute öffnen Unternehmen sich den Menschen stärker.“

Siemens beispielsweise knüpft in Berlin mit der neuen Siemensstadt nicht nur an eine ehrwürdige Tradition an. Der Konzern plant auch einen offenen Gebäudekomplex mit Schule, Kita und Cafés. Projekte mit geschlossenen, abweisenden Blöcken gehören der Vergangenheit an. „Das geht nicht in einer Stadt, die in der Vergangenheit so schlechte Erfahrungen mit Abschottung gemacht hat“, sagt Franzke. Wenn ein privates Unternehmen sich so verschließe, dass die Bürger nicht einmal reinschauen könnten, sorge das für Ablehnung.


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Auch der Projektentwickler Edge versucht, diesen Weg zu gehen – ob er in diesem Fall aber gelingt, ist noch offen. In Friedrichshain an der Warschauer Brücke, traditionell ein eher links und kapitalismuskritisch geprägter Kiez, plant Edge den „Edge East Side Tower“. Das Projekt ist in Berlin besser als „Amazon Tower“ bekannt, weil der Konzern 2024 mit 3400 Mitarbeitern in das Hochhaus einziehen will.

Die ersten beiden Etagen sollen zwar öffentlich zugänglich sein und über Restaurants, Cafés und Veranstaltungsräume verfügen. Doch damit allein wird Edge die großen Amazon-Gegner wohl nicht überzeugen. Unter „Berlin vs. Amazon“ organisieren sie Protest im Netz und der Straße. Die Aktivisten befürchten Aufwertung und Verdrängung in der Gegend, die heute schon zum Hotspot für Touristen geworden ist.

Allen kann man es nie recht machen, das weiß auch Wirtschaftsförderer Franzke. Aber man könne zu mindestens schauen, wo ein Unternehmen besonders gut in den Kiez passe. Als ein Hemmnis für Investitionen sieht Franzke den Protest nicht, der gehöre nun einmal dazu. Überhaupt stehe der Ballungsraum Berlin im Moment sehr gut da. Durch die Krise käme die Hauptstadt mit einem blauen Auge.

Seine erbittertsten Gegner wird auch Tesla nicht überzeugen können. Als in der Stadthalle Konzernsprecher Riederer seine Präsentation hält, der mit der besonderen Wohlfühlatmosphäre bei der Arbeit, prangt auf einer Seite ein stilisiertes Bild der Fabrik im Sonnenuntergang. Diese polierten Bilder sind offenkundig gar nicht zur Überzeugung der Protestler gedacht, sondern an die zahlreich erschienenen Medienvertreter gerichtet. Die sollen mit dem Verbreiten der Bilder bitteschön die Sehnsüchte der nicht anwesenden Projektbefürworter stillen.

Mehr zum Thema: Die Bundestagsfraktion der Union traf sich zur Klausur. Dabei empfingen sie einen besonderen Gast: Elon Musk.

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